Er strich mit dem Finger über die beiden kleinen Wunden, hielt ihre Hand weiter umfasst, als wolle er verhindern, dass sie davonlief. Sie dachte gar nicht daran. Die Nähe zu ihm war überwältigend und viel zu kostbar.
»Hattest du Schmerzen?« Seine Stimme klang besorgt, unsicher.
Sie schüttelte schnell den Kopf und sagte hastig: »Nein, es … es ist nur, ich … bin das noch nicht gewöhnt. Ich meine … Delia … sie hat ein paar Mal mein Blut getrunken. Ich ‒.«
Er ließ ihre Hand los und legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen. Sie stockte in ihrem sinnlosen Redefluss, hielt zitternd den Atem an. Er strich ihr langsam über die Wange, seine Hand glitt durch ihr Haar, legte sich um ihren Hinterkopf und zog sie sanft aber bestimmt zu sich.
»Maksim«, flüsterte sie, als seine Lippen näherkamen und sie in seinen Augen zu versinken drohte. Sie schluckte trocken.
»Ja?« Seine Stimme war vor Verlangen rau.
Es war der letzte Rest an Verstand, der sie dazu brachte zu sagen: »Wir sollten ... nicht ‒.«
»Ich weiß.« Er küsste sie.
Sie keuchte auf, öffnete unwillkürlich die Lippen, damit er ihren Mund in Besitz nehmen konnte. Der Griff seiner Hand verstärkte sich. Sie folgte ihm willig, legte ihre Arme um seinen Hals. Der Schlag ihres Herzens, vorher ein unruhiges Pochen, schwoll an zu einem Tosen.
Nie hatte sich ein Kuss so angefühlt. Er begann süß und atemberaubend und wurde besitzergreifend, riss sie mit sich wie eine winterliche Schneelawine, gewaltig und unaufhaltsam. Sie vergrub die Finger in seinen Haaren, wollte ihn mit allen Sinnen spüren. Seine freie Hand begann, ungeduldig an den Knöpfen ihres Kleids zu zerren, öffnete einen nach dem anderen. Feuerströme fegten durch ihre Adern, als er dabei zart ihre Haut streifte.
Seine Lippen wanderten zu ihrem Hals, während seine Hand in den Ausschnitt ihres Kleids glitt und sie sanft streichelte. Als sie aufstöhnte, zog er seine Hand plötzlich zurück und richtete sich auf.
Sie protestierte schwach. »Maksim ‒.«
Er wandte seinen brennenden Blick ab. »Verzeih, ich … ich hätte das nicht ‒.«
Diesmal war sie es, die ihm den Finger auf die Lippen legte und zum Verstummen brachte. »Mir geht es doch genauso«, flüsterte sie. »Seit ‒.«
»Du mich auf die Wange geküsst hast.«
»Ja. Ich … es war nicht überlegt.«
»Es war wunderschön«, sagte er mit belegter Stimme. »Seitdem muss ich immer an dich denken.«
»Und ich an dich.«
Er lachte leise und schüttelte den Kopf. »Wie dumm von uns. Da sind wir nächtelang aneinander vorbeigelaufen, und dabei ‒.«
Sie beugte sich vor, wollte ihn nur kurz küssen, doch seine Antwort war leidenschaftlich. Der Raum versank. Es gab keine Zweifel oder Bedenken mehr. Sie gehörte ihm und er ihr. Seine Finger zogen ihr das Oberteil von den Schultern, liebkosten ihre Brüste. Sie stöhnte gegen seine Lippen, als Verlangen sie wie ein Waldbrand durchfuhr.
»Rodica, ich will ‒.«
»Ja«, flüsterte sie heiser, woraufhin er sie in seine Arme riss, hochhob und zum Bett trug.
Für Rodica vergingen die langen Winternächte wie in einem Traum. Maksim und sie trafen sich heimlich. Ihnen war klar, was sie zu erwarten hatten, sollte ihre Liebe bekannt werden. Sowohl Emese als auch Alaric würden sie ihnen sofort verbieten.
Rodica erledigte ihre Arbeiten und den Blutdienst, während Maksim Besprechungen mit seinem Vater hatte und an den Kampfübungen der Krieger teilnahm. Wenn sie die Gelegenheit hatten, trafen sie sich in einem unbewohnten Raum in dem Turm, der am weitesten von den Wohngemächern entfernt lag. Bis auf die Krieger, die bei Wachwechsel über die Treppe zur Wehrmauer hinaufstiegen, kam niemand hierher. Die Turmräume waren klein und wurden nur bewohnt, wenn es keine andere Möglichkeit gab. In dem, den sie sich ausgesucht hatten, standen ein altes Bett und einige verstaubte Sessel. Sie hatten Decken und Felle gegen die Kälte auf das Bett gelegt, unter denen sie eingekuschelt lagen, denn sie wollten kein Feuer entzünden, damit man nicht auf sie aufmerksam wurde.
»Wir werden uns hier bald nicht mehr treffen können«, sagte Maksim eines Nachts, nachdem sie sich geliebt hatten und in den Armen hielten, ihr Kopf auf seine Brust gelegt. »Diese Räume werden den Räten zugewiesen, wenn sie zu Beginn des Frühjahrs auf die Festung ziehen. Ich glaube, dieser Turm soll am Ende des Mondes hergerichtet werden.«
Rodica schmiegte sich an ihn. »Lass uns jetzt nicht darüber nachdenken. Wir haben den Winter und sollten ihn nutzen.«
Er küsste sie auf das Haar. »Auf jeden Fall. Trotzdem müssen wir irgendwann einmal darüber sprechen, was mit uns werden soll.« Er seufzte. »Im Augenblick ist es leicht, sich heimlich zu treffen, aber wenn die Festung voll wird ‒.«
»Dann suchen wir uns einen anderen Platz.«
»Hm«, machte er. »Vielleicht außerhalb der Festung? Es gibt da einige Höhlen.«
»Dann müsste ich aber die Burg verlassen.« Rodica schüttelte sich. »Und in den Höhlen sind bestimmt Bären!«
Er drückte sie fest an sich. »Ich werde dich gegen Bären verteidigen! Und was das Verlassen der Burg angeht: Ich könnte dafür sorgen, dass du zur Feldarbeit eingeteilt wirst.«
»Aber dann müssen wir den Kriegern entgehen, die die Feldarbeiter beaufsichtigen. Sie werden nicht zulassen, dass ich so ohne Weiteres verschwinde.«
Maksim lachte. »Nein, sicher nicht. Da hast du recht. Aber vielleicht maskiere ich mich, komme auf meinem Pferd angeprescht und entführe dich! Ich werde so schnell sein, dass keiner der Krieger reagieren kann!«
Sie kicherte. »Und was dann?«
»Dann? Dann reiten wir weg. In den Süden des Gebirges.«
»Was ist im Süden?«
»Keine Ahnung. Das werden wir herausfinden.«
Jetzt musste sie lachen, wusste sie doch, dass dies Spinnereien waren.
»Nein, im Ernst«, sagte Maksim und strich ihr liebevoll das Haar aus dem Gesicht. »Das zeigt mir, dass ich recht habe. Mehr als all die Diskussionen mit Zelinkan hast du mir die Augen geöffnet. Die Sklaverei muss beendet werden. Weil ich dich liebe und dich als meine Gefährtin möchte.«
Sie sah ihn zärtlich an. »Ich liebe dich auch, Maksim.«
Er neigte den Kopf und küsste sie. »Ich habe noch etwas Zeit, bis ich zu Vater muss. Wir sollten das ausnutzen«, murmelte er und streichelte über ihre Brüste, um dann die Hand zwischen ihre Schenkel gleiten zu lassen. Sie seufzte entzückt. »Ich nehme an, dieses Geräusch bedeutet, dass du nichts dagegen einzuwenden hast?«
Ihre Finger umfassten seine Männlichkeit, was er mit einem scharfen Atemzug beantwortete. »Nein«, sagte sie. »Ganz und gar nicht.«
Rückblickend sollte ihm das Beisammensein mit Rodica flüchtig erscheinen, etwas, das einem unaufhaltsam durch die Finger glitt und im Dunkel der Zeit entschwand. Sie liebten sich in dem kleinen Raum im Turm. Häufig sprachen sie darüber, wie es weitergehen sollte, doch kamen sie nie zu einem Ergebnis. Sie lebten von Tag zu Tag, gaben sich trotz, oder gerade wegen der Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellten, ganz ihrem Liebesabenteuer hin. Er nährte sich nur noch von Rodica und vermutete aufgrund einiger Äußerungen, die sie machte, dass Delia die Romanze zwischen ihnen ahnte. Niemandem sonst schien etwas aufzufallen und seine Tante würde sie nicht verraten, da war er sicher.
In einer kalten Nacht, der Winter neigte sich seinem Ende zu, stand er im Hof und wusste, dass es Probleme geben würde, an die er nie gedacht hätte. Schwere nasse Flocken rieselten vom dunklen Nachthimmel herab, verschmolzen mit der Schneedecke, die sich über die Festung gelegt hatte, oder vergingen mit einem leisen Zischen in den Flammen der Fackeln. Die Pferde der Besucher aus dem Osten schnaubten und schüttelten die feuchten Mähnen.
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