Rodica schnaubte verächtlich, packte die Griffe der Schubkarre und schob sie aus dem Stall zum Misthaufen. Was dachte sie überhaupt über all dies nach? Sie wusste doch noch nicht einmal, was Maksim für sie empfand!
»Was?« Maksim blickte verwirrt auf.
Es war zehn Nächte nach Rodicas Kuss. Nach Rodicas Kuss, das war seine neue Zeitrechnung. Er konnte die Erinnerung an diesen Kuss nicht verbannen, und spürte jedes Mal das Brodeln des Bluts in seinen Adern, wenn er sie nur von Ferne sah.
»Ich sagte, dass ich neben Zelinkan auch Hroar Gisher in den Rat der Stämme aufnehmen werde. Als Gegenpol zu Raiden Tyr und Aibek.« Alaric runzelte die Stirn. »Was ist los mit dir? Du bist abgelenkt.«
»Entschuldige.« Maksim seufzte. »Ja, ich denke, das ist eine gute Idee. Wie wäre es noch mit der Fürstin Shazad?«
»Die ist bereits Ratsmitglied«, sagte Alaric. »Also, was ist los? Und sage jetzt nicht ›nichts‹, ich bin dein Vater, ich kenne dich.«
Maksim starrte auf die hölzerne Tischplatte zwischen ihnen. Vater würde nicht lockerlassen, bis er erzählt hatte, was ihm im Kopf umherging. Aber Rodica wollte er bestimmt nicht mit Vater besprechen. Er wusste nur zu gut, was Alaric entgegnen würde. Also war der Zeitpunkt gekommen, seine Ideen anzusprechen. »Du weißt, dass ich viel von Zelinkan gelernt habe. Er ... er hat viele gute Vorschläge gemacht, was die Zukunft der Stämme angeht.«
»Ich verstehe.« Alaric schob seinen Stuhl nach hinten und schlug die Beine übereinander, legte die Hände locker gefaltet auf die Oberschenkel. »Er hat mit dir über die Abschaffung der Sklaverei gesprochen.«
Maksim war überrascht. »Du weißt ‒?«
»Du bist nicht der Einzige, mit dem Zelinkan seine Vorstellungen für die Zukunft teilt. Auch ich habe lange Gespräche mit ihm geführt. Und ja, seine Ideen ergeben einen Sinn, aber ‒.«
»Natürlich ergeben sie einen Sinn!«, fiel Maksim eifrig ein, dankbar, dass er sich auf etwas anderes als seine verwirrenden Gefühle für Rodica konzentrieren konnte. »Ich glaube fest, dass dies der einzige Weg ist, wie wir Vampire überleben können! Wie lange wird es dauern, bis keine Menschen mehr im Gebirge oder im Niemandsland leben? Bis alle Menschen in die Städte geflohen sind? Was wird dann aus uns?«
»Ich denke nicht, dass alle Menschen vor uns fliehen«, entgegnete Alaric. »Es gibt genug, die bleiben, gerade im Niemandsland.«
»Meinst du wirklich?«, beharrte Maksim. »Werden sie nicht irgendwann der Überfälle und Entführungen müde sein?«
»Ich bin der Ansicht, dass Sklaven keinen Anreiz zur Flucht haben, wenn wir vernünftig mit ihnen umgehen. Du siehst es hier, auf der Festung. Wir haben noch nie einen Fluchtversuch erlebt. Den Menschen geht es gut. Sie fühlen sich sicher.«
Genau das hatte Rodica gesagt. Es ärgerte ihn, dass Vater denselben Einwand vorbrachte. »Weil sie nichts anderes kennen! Und ja, hier fühlen sie sich sicher, auch wenn sie Gefangene sind. Aber was ist mit Sklaven von Fürsten wie Aibek? Oder Raiden Tyr?«
»Das stimmt«, räumte Alaric ein. »Aber ist es nicht besser, bei diesen Fürsten auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Sklaven hinzuwirken, als auf die Abschaffung des Sklaventums zu drängen? Ein großer Teil der Stämme wird die Sklaverei nicht beenden wollen, schon allein, weil sie das teuer zu stehen käme. Blutdiener kosten Gold. Doch wenn wir vorleben, wie man mit Sklaven vernünftig umgeht, werden sie eher willens sein, über eine Veränderung nachzudenken, und sei es zunächst, dass sie ihre Sklaven besser behandeln. Vielleicht ist das sogar der Anfang vom Ende der Sklaverei, wer weiß. Mein Punkt ist, dass Zelinkans und dein Vorschlag ein rabiater Schritt ist. Ich glaube, eine Anzahl kleiner Veränderungen ist zielführender als ein drastischer Bruch mit unseren Traditionen.«
»Die Blutdienerschaft war eine Tradition, mit der wir gebrochen haben«, erinnerte Maksim ihn.
»Ich weiß. Doch die Sklaverei funktioniert für viele Stämme sehr gut. Selbst wenn ich von dem sofortigen Wechsel zur Blutdienerschaft überzeugt wäre – was ich nicht bin – würde der Rat der Stämme dem nicht zustimmen.« Er lächelte Maksim an. »Aber das heißt nicht, dass du deine Ideen nicht verfolgen sollst. Auch wenn ich nicht überzeugt bin, ist einiges von dem, was Zelinkan sagt, durchaus nicht falsch. Doch ihr könnt die Dinge nicht übers Knie brechen und braucht die Unterstützung des Rats.«
Maksim nickte langsam. »Ich habe verstanden. Ich werde versuchen, Mitstreiter im Rat zu finden.« Er warf einen Blick aus dem Fenster, wo der tief stehende Mond das nahende Ende der Nacht ankündigte. »Entschuldige, Vater. Vidar und ich wollen vor Sonnenaufgang noch einen Waffengang absolvieren. Erlaubst du, dass ich mich entferne?«
»Geh nur, wir sind hier fertig. Der Rat der Stämme ist vollständig. Jetzt müssen wir das Datum der ersten Sitzung festlegen.« Alaric stand gleichzeitig mit ihm auf. »Wir müssen den Räten genügend Zeit zur Übergabe ihrer Verpflichtungen an ihre Stellvertreter und für die Anreise geben. Die erste Sitzung wird wohl erst im Frühjahr stattfinden.«
Das gab ihm die Zeit, sich eine Strategie zurechtzulegen, um Unterstützer für seine Ideen zu finden. Er verabschiedete sich von Alaric und eilte in sein Gemach. Es stimmte, er plante einen Waffengang mit Vidar. Doch seine Gedanken kreisten wieder um Rodica. Es war nicht nur die Hitze ihres Kusses. Als sie zusammen vor dem Kaminfeuer saßen, er ihr von seinen Ideen erzählte, hatte er sich wohlgefühlt. Dass sie ihm zuhörte und mit ihm diskutierte, gab ihm Ansporn, seine Ideen zu verwirklichen. Nie hatte er so in der Gegenwart einer Frau empfunden und das verwirrte ihn.
Er war sicher, dass es ihr mit ihm ähnlich erging. Nach dem Kuss erschien sie atemlos und eine plötzliche Röte war in ihre Wangen gestiegen. Ihre Verlegenheit, wenn sie sich sahen, sprach Bände.
Es war Wahnsinn. Sie war ein Mensch, eine Sklavin. Sie würde alt werden und sterben. Sein Vater würde einer Verbindung mit ihr niemals zustimmen. Er würde sein Erbe verlieren, falls er Rodica zur Gefährtin nahm. Doch all das war ihm egal. Ihm verlangte so sehr nach ihr, dass es schmerzte.
Es hatte gedauert, bis er den Entschluss gefasst hatte. Er war ihm nicht leicht gefallen, wusste er doch, zu was das führen konnte.
Er würde sie zu sich bitten, um sich von ihr zu nähren.
Rodica brachte Rüben aus dem Schuppen in die Küche, als Vazha ihr sagte: »Der junge Herr will, dass du zu ihm kommst. Er muss sich nähren.«
Maksims Lippen würden ihr Handgelenk berühren! Sie senkte den Kopf, ließ sich nicht anmerken, dass ihr Herz zu rasen begonnen hatte. Zugleich wünschte sie sich weit weg, ohne zu verstehen warum.
Sie wusch sich Hände und Arme unter der Pumpe und ging mit klopfendem Herzen zu Maksims Gemach. Kaum erschien sie auf der Schwelle, rief er: »Komm herein und schließe die Tür.«
Sie gehorchte und blieb unschlüssig stehen. Er saß am Tisch, vor sich Karten des Gebirges, in der Hand eine Feder.
»Rodica.« Er lächelte und legte die Feder weg. »Komm, setz dich hierher. Ich benötige Blut.«
»Natürlich«, sagte sie und sank auf den Stuhl ihm gegenüber. Ihre Knie berührten sich, was den schnellen Schlag ihres Herzens weiter beschleunigte.
Er nahm ihre Hand mit einem sanften Griff und zog mit dem Daumen eine sinnliche Spur über ihre Haut. Sie holte heftig Atem.
»Deine Haut ist so weich«, sagte er leise, hob die Hand und legte seine Lippen auf ihr Handgelenk. Fast erschien ihr diese Berührung wie ein zärtlicher Kuss. Feuer flammte in ihr auf und es gelang ihre kaum, ein Keuchen zu unterdrücken. Dann bohrten sich seine Zähne in ihre Haut. Sie musste ihn einfach unverwandt ansehen und ließ sich von seinen tiefen dunklen Augen gefangen nehmen, auch wenn die Stimme der Vernunft ihr zuflüsterte, dass es nicht sein durfte. Wie bei Delia spürte sie keinen Schmerz, nur einen sanften Druck, wo seine Zähne die Haut durchstießen. Und wie bei Delia war die Blutaufnahme vorbei, bevor sie sich sammeln konnte.
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