»So, hier wären wir.« Gröber hielt vor der mit Kleiner Sitzungsraum beschrifteten Tür an, wartete noch einige Sekunden, als ob er Sarah Zeit zum Sammeln geben wollte, und drückte dann die Klinke herunter. Sarah versuchte, als sie den Raum betrat, so selbstbewusst wie möglich, gleichzeitig jedoch offen und verbindlich zu wirken. Die kurze Vorstellung, die Henning Gröber an seine Mitarbeiter richtete, hörte sie indes nur beiläufig, weil sie sofort die vier Personen musterte, die an dem Konferenztisch saßen. An der linken Seite, der Tür am nächsten, saß ein übergewichtiger Mann Ende fünfzig, der sie freundlich anlächelte. Das musste Hans Pfefferle sein, der Dienstälteste, der so wie ihr Partner Thomas Bierman den Rang eines Kriminalhauptkommissars bekleidete. Sarah lächelte ein wenig verhalten zurück und wandte den Blick auf die neben Pfefferle sitzende Frau. Da sie die einzige weibliche Person im Team war, musste dies Karen Polocek sein, die Jüngste der Ermittlergruppe, der Gröber eine hervorragende Intuition und ein ziemliches Temperament bescheinigt hatte. Die kleine, schwarzhaarige Frau grinste breit und hob die linke Hand zu einem kurzen freudigen Winken. Sarah erwiderte den Gruß mit einem einladenden Nicken, dann wanderte ihr Blick auf die andere Seite des Tisches, wo ein gutaussehender Mitdreißiger sie unverwandt interessiert anstarrte und, als sich ihre Blicke trafen, Sarah süffisant lächelnd zuzwinkerte.
Oh shit , dachte sie innerlich. Er weiß um sein Aussehen und schämt sich nicht, sich als Macho zu geben . Folglich musste es sich bei ihm um Nico Berner handeln. Bei ihm wurde ihr Lächeln ein kaum spürbares Maß reservierter, bevor sie sich der letzten am Tisch sitzenden Person zuwandte. Ihr neuer Partner Thomas Bierman musterte sie. Seiner Miene konnte man lediglich eine gewisse Neugier entnehmen, sie war weder übermäßig freudig, noch in irgendeiner Weise feindselig und wohl am ehesten als neutral zu bezeichnen. Einen kurzen Augenblick schien er zu überlegen, welche Art der Begrüßung wohl angemessen wäre. Dann nickte er kurz mit dem Kopf und es kam ein knappes Hallo über seine Lippen.
Aha , dachte Sarah bei sich, nicht sehr aufgeschlossen, so wie Gröber es beschrieben hat .
Nichtsdestotrotz ging sie um den Tisch herum auf ihren neuen Partner zu, lächelte charmant und streckte ihm die Hand entgegen.
»Hallo«, sagte sie. »Ich freue mich sehr, hier zu sein.«
Bierman schien etwas verunsichert, stand dann aber doch auf und schüttelte ihre Hand. Ein fester, sehr sachlicher Händedruck.
»Äh, ja, wir uns selbstverständlich auch.«
Sein Blick hielt dem ihren stand und Sarah glaubte in seinen Augen einen Funken freudiger Erwartung aufblitzen zu sehen, seine Mundwinkel zeigten die Andeutung eines Lächelns. Sarah nahm neben ihrem neuen Partner Platz und sah wie die anderen in gespannter Erwartung zu Gröber.
»Frau Hansen kommt aus Flensburg zu uns. Und wir dürfen uns sehr freuen, eine junge und sehr kompetente Kollegin in unseren Reihen zu begrüßen. Frau Hansen war maßgeblich an den Ermittlungen zum Monster von Büsum beteiligt. Sie erinnern sich sicher an die Schlagzeilen vor ein paar Wochen.«
Sarah errötete leicht und versuchte, den Blicken ihrer neuen Kollegen auszuweichen. Den psychopathischen Serienmörder, den sie und ihre Husumer Kollegen vor einigen Wochen zur Strecke bringen konnten, hatte die Presse erst im Nachhinein als Monster von Büsum bezeichnet, da erst während der Ermittlungen klargeworden war, dass er im Laufe der Jahre mindestens sieben junge Frauen entführt und getötet hatte. Dass dieser Fall auch hier im Südwesten bekannt geworden sein musste, entnahm sie den Reaktionen der Kollegen. Während Nico Berner einen anerkennenden Pfiff von sich gab und Hans Pfefferle beeindruckt mit dem Kopf nickte, hob Karen Polocek den Daumen und flüsterte ein Wow in Sarahs Richtung.
Lediglich Thomas Bierman regte sich nicht und Sarah vermutete, dass er über diesen Sachverhalt bereits Bescheid wusste. Gröber, von dem Interesse, auf das die Worte bei seinen Mitarbeitern stießen sichtlich beflügelt, ergriff die Chance, die Ansprache fortzuführen.
»Auch wenn wir Ihnen hier im Schwarzwald solch spektakuläre Fälle nicht bieten können, so bin ich doch zuversichtlich, dass Sie sich hier wohlfühlen werden. Die Stadt und Regio bieten auch in der Freizeit…«
Sarah schaltete ab. Wie immer ihr neuer Vorgesetzter jetzt die Vorzüge Südbadens beweihräuchern würde, sie wollte alles selbst herausfinden und erkunden. Vielmehr musterte sie ihre Kollegen und erkannte an deren Mienen, dass auch sie ganz offensichtlich den Worten des Chefs kein Interesse entgegenbrachten. Karen Polocek, mit deren Blicken sich die ihren trafen, lächelte verschmitzt und verdrehte leicht die Augen nach oben. Sarah grinste wissend zurück. Als Gröber schließlich nach zwei Minuten fertig war, sah sie sich genötigt, aufzustehen und ihm für den herzlichen Empfang zu danken und auch ihrerseits der Zusammenarbeit freudig entgegenzusehen. Dann war die Vorstellung beendet und Gröber ließ die Ermittler allein.
Es war der Wasserwerfer, dessen
Einsatz die Stimmung bei der Demonstration eskalieren ließ. Anfangs wurden die Teilnehmer von dem kalten Strahl nur in die Flucht geschlagen. Jetzt war die Wasserfontäne, die gezielt auf die Personen gerichtet wurde, welche sich den Polizeihundertschaften näherten, so hart und konzentriert, dass die Menschen förmlich weggespült wurden. Kleidung zerriss, mit aufgeschlagenen Knien und gebrochenen Rippen traten die Getroffenen den Rückzug an. Manch einer konnte nur noch durch den Matsch kriechen, um zurück in den Schutz der skandierenden Menge zu gelangen. Der Uniformierte in der ersten Reihe, dem die Demonstranten mehrfach sehr nahegekommen waren, blickte skeptisch auf den gepanzerten Wasserwerfer. Immer wieder lösten sich einige Menschen aus dem Pulk, deren Versuch, sich den Einsatzkräften zu nähern, sofort mit einem Schwall Wasser abgestraft wurde.
Warum musste die Situation derart entgleiten? fragte sich der Polizist. Die Demonstration bot zwar einiges an Konfliktpotential, war bis zu diesem Zeitpunkt aber friedlich verlaufen. Und das Anliegen der aufgebrachten Menge war durchaus hehr.
Gegen die Sammlung privater Daten!
Stopp dem Zugriff der Geheimdienste!
Keine totale Überwachung!
Recht auf Anonymität!
Das Volk wird verkauft!
Mein Privatleben gehört mir!
Die Plakate und Banner waren mannigfaltig und zielten al-le auf dasselbe Thema ab: die zunehmende Überwachung der Kommunikation und des öffentlichen Raumes sowie die Speicherung der Daten seitens der Behörden. Entfacht worden war die Diskussion, als die EU-Länder als Reaktion auf die Anschläge auf die Züge in Madrid weitgehende Maßnahmen angekündigt hatten. Neben der Vorratsdatenspeicherung, dem Ausbau der öffentlichen Überwachung und des verbesserten Informationsaustausches zwischen den Geheimdiensten, war es auch die Neuausrichtung des Joint Situation Center kurz JSC , die den Unmut der Kritiker hervorrief. Der Polizist war gut informiert. Allzu gerne wäre er auf der anderen Seite der sich immer mehr verhärtenden Fronten, denn auch seiner Meinung nach war die Konzentration und Vernetzung von privaten Daten eine sehr diffuse, jedoch ernstzunehmende Bedrohung der freien Gesellschaft. Insofern konnte er nicht verstehen, warum in dieser Härte gegen die Demonstranten vorgegangen wurde. Jenseits der schlammigen Wiese waren auch Mütter mit Kinderwagen, Jugendliche, ältere Menschen, ein Querschnitt aus allen Bevölkerungsgruppen, die mit ihrer Anwesenheit und ihrer Stimme der Sorge um eine Zukunft in Freiheit und ohne staatliche Kontrolle Ausdruck verleihen wollten.
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