Polar-Watch , und nahm sein Training wieder auf. Das Gipfelkreuz ließ er hinter sich und lief, um seine Knie zu schonen, etwas langsamer durch den
Soledad Park hinunter. Als er an der
Via Capri ankam, lief ihm bereits wieder der Schweiß durch das Gesicht. Die Abbiegung zur
Hidden Valley Road war einer seiner Messpunkte, und als er abbog, sah er auf seine
Polar am Handgelenk. Da er fast vierzig Sekunden über seiner Durchschnittszeit lag zog er das Tempo merklich an. Als er sich von hinten einem am Straßenrand geparkten schwarzen Chevrolet
Tahoe näherte, bemerkte er ein undefinierbares Gefühl in der Herzgegend. Er maß dem keinerlei Bedeutung bei und lief unverändert weiter, doch das Gefühl wurde stärker. Mit einem Mal glaubte er, sein Herz sei etwas aus dem Rhythmus gekommen. Auch solche Aussetzer beunruhigten ihn nicht. Er hatte dies bereits von einem Kardiologen untersuchen lassen, der ihm versichert hatte, dass nichts so besorgniserregend sei wie ein Herz, das immer stur seinen monotonen Takt schlug. Ein paar Hüpfer waren folglich sogar gesund und mit diesem Gedanken lief er stoisch vor sich auf den Boden blickend weiter. Selbst als das Organ endgültig seinen Dienst einstellte, die Welt um ihn herum dunkel zu werden schien und er aus vollem Lauf auf dem Asphalt zusammenbrach, spürte er keinerlei Schmerzen.
Freiburg im Breisgau, sechs Monate später
Immer näher kamen sich die beiden Gesichter.Inmitten des lauten Tumultes, der sie umgab, zeigte der eine der beiden Männer eine konzentrierte Wachsamkeit, während der andere durch den Sehschlitz seiner schwarzen Wollmütze eine zunehmende Aggression erkennen ließ. Bis auf wenige Zentimeter hatte er seine Nase bereits der seines abwartenden Gegenübers genähert, und wäre da nicht die Plexiglasscheibe zwischen den beiden gewesen, hätte er auch vor einer Berührung nicht zurückgeschreckt. Der Polizist, der den Schild zwischen sich und dem vermummten Mann hochhielt, vermied den direkten Blickkontakt: Er wollte den anderen unter keinen Umständen provozieren, sei es durch ein Signal der Stärke, noch durch die Offensichtlichkeit von Schwäche oder gar Angst. So lag seine Konzentration darauf, in einer Linie mit seinen Kollegen zu bleiben und dem physischen Druck der Menschen vor ihnen standzuhalten, ohne jedoch mit zuviel Dominanz den Schild der aufgebrachten Menge entgegenzuschlagen. Wie lange eine Eskalation durch dieses Verhalten noch verhindert werden konnte, stand für ihn jedoch in den Sternen.
Das Rufen um sie herum wurde lauter, die Stimmung immer explosiver. Plötzlich ging ein Wasserschwall mit der Härte einer Keule über den Mann mit der Wollmütze und seine ebenfalls vermummten Mitstreiter nieder.
Also doch die Wasserwerfer , dachte der Beamte und zog reflexartig die Schultern ein wenig nach oben. Der zwölf Bar starke Strahl trieb die Gruppe vor ihm mit großer Präzision nach hinten. Der Druck auf dem Schild ließ augenblicklich nach. Als klar war, dass sich niemand mehr der phalanxähnlichen Linie der Uniformierten nähern würde, atmete auch der äußerlich immer noch gelassen wirkende Polizist auf und ließ seinen Schild fürs Erste sinken.
»Kann mir vielleicht jemand sagen, warum Gröber uns ins Sitzungszimmer bestellt hat?« Nico Berner knallte, nachdem er sich mit einem kurzen Blick durch den Raum von der Abwesenheit seines Chefs überzeugt hatte, die Tür ins Schloss. Von den drei Beamten, die bereits an dem langen Besprechungstisch saßen, zeigte zunächst keiner eine Regung. Dann lud ihn Thomas Bierman jedoch mit einer knappen Geste zum Sitzen ein. Der Kriminalhauptkommissar war kein Freund vieler Worte, deswegen sagte er nur:
»Die neue Kollegin!«
Nico Berner nahm neben Bierman Platz, ihm gegenüber saßen seine Partnerin Karen Polocek und der dienstälteste Beamte des Dezernats, Hans Pfefferle.
»Aha«, murmelte Berner, »hoffentlich hat er sie nicht persönlich ausgesucht.«
Allein der Tonfall ließ seine Skepsis bezüglich der neuen Kollegin und seine Abneigung gegen den Ressortleiter erkennen. Henning Gröber war, ganz den Klischees eines Chefs entsprechend, ein cholerischer Opportunist, der seinem akademischen Titel zufolge über ein abgeschlossenes Jurastudium verfügte. Was die polizeiliche Ermittlungsarbeit anging, war er jedoch keine große Leuchte. Auch wenn er, bedingt durch die Umstrukturierung der Abteilung und das Ausscheiden des allseits beliebten Leiters Peter Schmitthenner, von Beginn an einen schweren Stand hatte, so trug er durch seine Art keinesfalls dazu bei, die Vorurteile gegen seine Person abzubauen oder seine Untergebenen gar von seinen positiven Seiten zu überzeugen. Allerdings hatten die Ermittler um Thomas Bierman schnell begriffen, dass Henning Gröber kein Rückgrat besaß und sie im Prinzip wie unter der lockeren Führung von Peter Schmitthenner weiterarbeiten konnten. Ankündigungen und Drohungen liefen regelmäßig ins Leere und so hatte sich die Gruppe mit dem neuen Posten des Ressortleiters und der Person Henning Gröber arrangiert.
»Soweit ich weiß, kommt sie irgendwo aus dem Norden und hat ihre Versetzung aufgrund der Härtefallregelung genehmigt bekommen,« teilte Pfefferle in seiner gewohnt gemütlichen Art mit. »Und da bei uns die Planstelle frei war und sie auch unbedingt zu uns wollte, lief das reibungslos durch. Mehr Informationen habe ich auch nicht. Weißt du irgendetwas, Thomas?«
KHK Bierman schüttelte den Kopf.
»Nicht mehr als das, was du gerade gesagt hast.«
»Na, wenigstens handelt es sich um eine Kollegin«, stellte Karen Polocek fest. »Dann bekomme ich hier endlich mal etwas weibliche Unterstützung.«
»Als ob du die nötig hättest“, meinte Nico Berner, der sich bei der aufgeweckten und schlagfertigen Kollegin schon die ein oder andere verbale Ohrfeige geholt hatte, trocken. Er schaute auf die Uhr.
»Mal sehen, ob das so ein karriereversessenes, lesbisches Mannweib ist. Ich würde ja allzu gerne...«
Was er allzu gerne würde, erfuhr niemand mehr, denn noch bevor Thomas oder Karen den sexistischen Redeschwall unter Protest abwürgen konnten, öffnete sich schwungvoll die Tür zum Sitzungszimmer und die hagere, ausgemergelte Figur Henning Gröbers erschien zwischen den weißlackierten Zargen. Der Ressortleiter trat nur halb in den Raum und hielt die Türe für seine Begleitung offen. Unter den abschätzigen Blicken der Tischrunde betrat eine etwa achtundzwanzigjährige schlanke Frau mit langen blonden Haaren den Raum und sah sich offenen Blickes mit einer gewissen Neugier um. Und während Thomas Bierman verblüfft die Augenbrauen hob und Nico Berner der Mund offen stehen blieb, sagte Gröber:
»Meine Dame, meine Herren, darf ich Ihnen Ihre neue Kollegin Sarah Hansen vorstellen?«
Mit ein wenig Herzklopfenfolgte Sarah ihrem neuen Vorgesetzten Henning Gröber den Flur entlang. Gleich würde sie ihre neuen Kollegen kennenlernen. Nach all den Anstrengungen, die es gekostete hatte, endlich hier im K11 der Kriminalpolizei Freiburg angenommen zu werden, waren ihre neuen Partner ein erstes Indiz, ob sich all die Mühen gelohnt hatten. Der Leiter, den sie schon zuvor in zwei Gesprächen begutachten konnte, war freundlich aber auf irgendeine Art unangenehm gewesen. Allein seine Warnung vor ihrem neuen Partner Thomas Bierman, den er als ungehobelt, undiszipliniert und eigenbrötlerisch beschrieben hatte, war ihr seltsam aufgestoßen. Wobei diese Anmerkung eher ihre bis dahin unterschwellige Abneigung gegen Gröber nährte, als ihren neuen Partner Bierman zu diskreditieren. Im Gegenteil, die Neugier auf den Mann, mit dem sie zumindest für die nächsten ein, zwei Jahre eng zusammenarbeiten sollte, wurde dadurch noch mehr geweckt. Auch die anderen Kommissare der Gruppe hatte Gröber kurz angesprochen und in groben Zügen soweit beschrieben, dass sich Sarah sicher war, die vier Kollegen bei ihrer ersten Begegnung zu erkennen. Über keinen der anderen drei hatte Gröber etwas Negatives geäußert und zu guter Letzt auch Thomas Bierman bescheinigt, dass seine Erfolge überdurchschnittlich seien... und sie sich glücklich schätzen dürfe, im Kreis dieser erfolgreichen Gruppe arbeiten zu können. Für Sarah wäre dies die übliche Lobhudelei des Chefs gegenüber der neuen Mitarbeiterin gewesen, hätte sie sich nicht im Vorfeld über das Team erkundigt. So waren ihr bereits die zum Teil spektakulären Ergebnisse zu Ohren gekommen, welche die ihrer Meinung nach höchst heterogene Gruppe in der Vergangenheit hervorgebracht hatte. Vielfalt schafft eben doch immer wieder Vorteile, dachte sie bei sich.
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