Marc Pain - Das letzte Bild
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Eine schnelle und packende Geschichte, mit Spannung bis zur letzten Seite.
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Anneliese nickte zustimmend, während ich sprach, und antwortete erst nach einigen Sekunden Pause, nachdem ich den letzten Satz beendet hatte.
»Nein, mir tut es leid, Frau Walkina - mir tut es leid. Machen Sie sich keine Sorgen, was mich betrifft, ich werde schon eine neue Mutter finden, die meine Hilfe benötigt. Sie müssen jetzt erst einmal für sich und Aaron sorgen. Sie sind eine gute Mutter. Wenn Sie trotzdem meine Hilfe benötigen, melden Sie sich doch einfach bei mir.«
Dass Anneliese so gefasst reagierte, kam mir nur zugute und ich brauchte kein schlechtes Gewissen haben, weil ich sie nicht weiter beschäftigen konnte. Sie verabschiedete sich mit einer herzlichen Umarmung und sagte: »Das wird schon alles wieder, da bin ich mir ganz sicher.«
Ich hoffte zutiefst, dass sie damit recht behalten würde.
Als die Uhr acht schlug, brachte ich meinen Sohn ins Bett und gab ihn einen Kuss auf die Stirn. Danach rief ich meine beste Freundin an und erzählte ihr von meinem Dilemma. Empört und entsetzt über die unmenschliche Art meines Chefs, sagte Lisa zu, sich direkt auf den Weg zu mir zu machen.
Es vergingen gerade mal 20 Minuten, bis es an der Tür läutete. Ich nahm den Hörer meiner Gegensprechanlage ab und fragte, wer dort sei. Es war Lisa und ich drückte den Knopf zum Öffnen der Eingangstür. Dann sah ich durch den Türspion, bis Lisa im Treppenhaus erschien, und erst dann öffnete ich die Wohnungstür.
Lisa lächelte und umarmte mich zur Begrüßung. In ihrer linken Hand hielt sie eine große Sektflasche und drückte mir diese zugleich in die Hand, um sich ihre Jacke zu entledigen. Ich lief in die Küche und nahm aus dem Schrank über der Spüle zwei Sektflöten.
»Ich bin echt entsetzt über deinen Chef«, sagte sie, setzte sich auf meine Couch und öffnete danach die Sektflasche.
»Ich muss so schnell wie möglich eine neue Arbeit finden.«
Lisa schenkte uns beiden ein und nahm eines der Gläser in die Hand.
»Das sehe ich nicht anders aber heute kannst du eh nichts mehr erreichen.«
Wir stießen an und ich leerte das Sektglas in einem Zug aus.
»Komm jetzt erst mal zur Ruhe und mach dir nicht so einen Druck. Du wirst sicherlich einen neuen Job gefunden haben, bevor Aaron etwas davon mitbekommt. Außerdem ist Aaron keiner, der das Geld vermissen wird, sondern deine Liebe und die gibst du ihm täglich.«
Lisa verstand es mich wieder aufzubauen und nach dem dritten Glas konnte ich meiner Wut auch endlich etwas Luft machen. Ich erzählte meiner Freundin von den vielen Gemeinheiten, die ich während der zwei Jahre auf der Arbeit über mich ergehen lassen musste. Einerseits war es sehr befreiend, zu wissen, dass ich am nächsten Tag nicht mehr zu Herrn Friedrichs in die Filiale musste. Andererseits plagten mich Existenzängste aufgrund des verlorenen Arbeitsplatzes.
Bis spät in die Nacht blieben Lisa und ich noch wach und ich holte eine weitere Sektflasche von der gegenüberliegenden Tankstelle. Gegen 1 Uhr nachts verließ Lisa mich und ich legte mich im Wohnzimmer auf die Couch und schlief sofort ein.
Eine vielversprechende Anzeige
Ich wurde um Punkt 6 Uhr von meinem Handywecker aus dem Schlaf gerissen und fühlte mich fürchterlich. Dass ich gestern noch eine zweite Sektflasche gekauft hatte und dass ich noch so lange wach geblieben bin, bereute ich jetzt zu tiefst.
Nachdem ich die Pausenbrote für meinen Sohn geschmiert und belegt hatte, weckte ich ihn, machte ihn für die Schule fertig und brachte ihn zur Bus-Haltestelle.
Wieder zu Hause stellte ich meinen Handywecker auf 10:30 Uhr und legte mich erneut schlafen.
Der Schlaf hatte mir gutgetan und ich den Kater konnte ich so fast auskurieren. Ich schaltete den PC ein und füllte Kaffee in den Filter der Kaffeemaschine. Als der Computer endlich hochgefahren war, setzte ich mich mit meinem Becher in der Hand vor die Tastatur und rief die Internetseite der Bundesagentur für Arbeit auf, um dort nach freien Arbeitsplätzen zu suchen.
Martin hatte natürlich recht - der Einzelhandel war nicht das Richtige für mich, dennoch schrieb ich alle Stellen heraus, die in eben diese Richtung gingen. Ich hatte meine Ausbildung, leider zur Liebe meiner Eltern, in diesem Bereich gemacht, und weil ich kurz nach Beendigung der Ausbildung Tim geheiratet hatte, und dadurch nur sehr wenige praktische Erfahrungen sammeln konnte, würde es selbst im kaufmännischen Bereich nicht gerade leicht für mich werden, einen neuen Job zu finden. Die einzigen praktischen Erfahrungen hatte ich in den letzten zwei Jahren, nach der Scheidung, in dem Super-Markt von Herrn Friedrichs sammeln können.
Und wer stellte schon gerne eine 31-jährige, alleinstehende Mutter, mit geringer Berufserfahrung ein? , fragte ich und war zugleich frustriert. Doch blieb mir nichts anderes übrig. Nach der ersten Kanne Kaffee kochte ich mir eine zweite, und schrieb weitere freie Stellen heraus, um anschließend die Bewerbungsschreiben zu erstellen. Kopien meiner Abschlusszeugnisse und Lebensläufe hatte ich noch zu Genüge vorrätig.
Gegen Mittag machte ich mich auf den Weg in das Einkaufszentrum meines Stadtteils, um Bewerbungsmappen und Versandtaschen zu besorgen. Zwar hätte ich noch einiges an Geld sparen können, wenn ich die Bewerbungen als E-Mail versendet hätte – doch rechnete ich mir so größere Chancen auf ein Bewerbungsgespräch aus. Zudem würde ich nicht einfach im Spamordner eines Großkonzerns landen.
Auf dem Rückweg wollte ich zur Post gehen, um die Bewerbungen frankieren und abschicken zu lassen. Ich besaß zwar einen Führerschein doch konnte ich mir kein eigenes Auto leisten. Somit war ich auf Bus und Bahn angewiesen, was in der Stadt nicht gerade von Nachteil war. In den meisten Fällen war man mit der Bahn weitaus schneller unterwegs, als mit dem Auto. Allein die rücksichtslosen und meist grimmig dreinschauenden Fahrgäste gestalteten das Bus- und Bahnfahren nicht wirklich angenehm.
***
Als mein Sohn am Nachmittag heimkehrte, war er zwar verwundert, aber überglücklich mich anstelle von Anneliese anzutreffen. Ich erzählte ihm, dass ich diese Woche nicht arbeiten musste, weil ich mir freigenommen hatte. Dass wir nun den gesamten Nachmittag und Abend zusammen verbringen würden, erfüllte mich genau so mit Freude wie Aaron. Dennoch plagten mich die Sorgen um das Geld für die bevorstehende Miete, die schon in einer Woche fällig sein würde.
Wenn es nicht anders ging, musste ich Wohl oder Übels Lisa um etwas Geld bitten. Was ich äußerst ungern tat.
Herr Friedrichs hatte mich in der letzten Juniwoche gefeuert und ich traute mich kaum zur Bank zu gehen, um einen Blick auf mein Konto zu riskieren. Mein Sohn hatte sich als Belohnung für seine hervorragende Mathearbeit einen Kinobesuch gewünscht. Er wollte sich zusammen mit mir den neuen Harry-Potter-Film anschauen. Ich hab ihm alle Bücher vorgelesen und wir hatten bereits die ersten beiden Filme zusammen gesehen.
In der ersten Woche lag keine Post in meinem Briefkasten. Es hätte mich gewundert, wäre dem nicht so gewesen. Trotzdem schaute ich jeden Tag nach, ob nicht doch eine Antwort auf eine meiner Bewerbungen eingegangen war. Morgen, am Samstag, wollten Aaron und ich ins Kino gehen und ich MUSSTE daher zu meiner Bank und einen Blick auf mein Konto werfen.
***
Es war kurz nach 22 Uhr - mein Sohn lag bereits im Bett. Ich zog mir meine schwarzen Stiefel und den langen braunen Mantel an. Leise schloss ich die Wohnungstür und schritt die Stufen des Treppenhauses hinab. Um zur Bank zu gelangen, musste ich ein kurzes Stück durch einen Park gehen und an einer kleinen Kirche vorbei. Ich hörte den Gospelchor, der ein fröhliches Lied sang. Der Gesang drang durch die geöffneten Flügeltüren nach draußen. Zuletzt musste ich noch eine Ampel überqueren. Während ich am Straßenrand stand und darauf wartete, dass es endlich grün wurde, kam ein älterer Mann dazu und stellte sich ungewöhnlich nah an mich heran. Aus dem Augenwinkel beäugte ich den Herrn, der einen aschgrauen Tweedmantel trug und seine Hände in dessen Taschen verbarg. Sein Mund wurde von einem bordeauxroten Schal verdeckt, den er um den Hals trug. Weil es mir unangenehm war, wie nah er an mich herangetreten war, wich ich einige Schritte zur Seite. Als die Ampel auf Grün sprang und ich einen Fuß auf die Straße setzen wollte, sprach er zu mir: »Quin ultimum simulacrum!«
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