1 ...6 7 8 10 11 12 ...27 Mit dieser Deutung war der Sergeant nicht einverstanden, seine Haltung und Miene drückten es aus. „Ich erlaube mir alleruntertänigst darauf hinzuweisen“, sagte er (und besaß sogar die dreiste Stirn, dabei völlig ernst zu bleiben), „dass zwei von vier möglichen Erklärungen Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit entgangen sind, also volle fünfzig Prozent!“ Er zwinkerte seinem Vorgesetzten triumphierend zu.
„Möglichkeit drei: Elga Ashburton, die Anonyma aus dem Lande hinter dem eisernen Vorhang, hat bei Marie-Anne (Marihuana: Fachjargon) selbst kräftig mitgemischt und sich kürzlich aus triftigen Gründen abgesetzt. In diesem Fall wäre Benhams Story — vermutlich! — blooming nonsense, zu einem Zweck in Umlauf gesetzt, den wir noch eruieren müssten. Gegen diese Darstellungen spricht“, schränkte er seine Überlegungen ehrlich selbst sofort ein, „dass Benham postwendend seine Desavouierung durch Miss Peacock befürchten musste ...“
„... oder auch nicht!“, meinte Taggart gedankenvoll. „Dann nämlich nicht, wenn die tüchtige Miss Peacock in alles eingeweiht und von ihrem famosen Verlobten entsprechend präpariert war. Dass sie mir etwas völlig anderes erzählt hat, will gar nichts besagen“, fuhr er geringschätzig fort, „denn die durch Benhams Freitod völlig veränderten Verhältnisse mögen sie geradezu dazu eingeladen haben, um 180 Grad einzudrehen und flugs ihr Mäntelchen nach dem Wind zu hängen. Aber zunächst ist diese Hypothese für meinen Geschmack etwas zu sehr mit Wenn, Aber und Fragezeichen behaftet. Kommen wir lieber zu Möglichkeit vier, Chris.“
„Zu Befehl!“, sagte der Sergeant schmunzelnd. „Möglichkeit vier: Ein aktiver Offizier, der Dienststellung und Kuriertätigkeit schamlos dazu missbraucht, fortgesetzt schwere Verbrechen zu begehen — vielleicht Rauschgiftschmuggel — dürfte eine seltene Ausnahmeerscheinung sein und sich auch vor jedem andern lukrativen Verbrechen nicht scheuen. Captain Benham steckte also vielleicht mit Mrs. Elga unter einer Decke und hat ihr entweder bei ihrer Flucht geholfen oder sie gegen ihren Willen entführt. Zutreffendenfalls wäre seine Story frei erfunden, in der Absicht, eine faustdicke Fehlspur zu legen, die von der eigenen Person wegführte. Er mag den Verdacht nicht völlig grundlos auf den Besitzer von Dunster Castle gelenkt haben. Diese Erkenntnis zwingt uns, Mister Hammond Waynal unter die Lupe zu nehmen, ganz gleich, ob sich Mrs. Ashburton nun de facto am Abend des Dreiundzwanzigsten in der Umgebung von Dunster Castle aufgehalten hat, oder nicht.“
„Waynal nehmen wir uns gemeinsam vor“, versprach Taggart. „Vorher möchte ich allerdings Miss Craigie in Epsom aufsuchen. Wie steht es übrigens mit dem inoffiziellen Ermittlungsauftrag, den ich Ihnen ...?“
„Marschiert, Sir, marschiert!“, unterbrach ihn der Sergeant stolz und streichelte selbstgefällig sein Kinn. „War gestern Abend mit Claire Egham im Kino im 'Palladium'; 'Die Bande kam vom Uranus' haben sie gegeben; hab' jetzt noch Magenkrämpfe davon ...“
„Erstens“, murmelte Taggart verweisend, „nimmt ein Gentleman bei der Beschreibung einer Dame nicht seine Hände zu Hilfe, zweitens: Ausspreche Anerkennung für schnelle Kontaktaufnahme! und drittens: Wer ist Claire Egham?“
„Teils Mrs. Ashburtons dirigierendes Hausmädchen ...“
„Dirigierendes Hausmädchen finde ich köstlich!“
„... teils ihre Zofe. Ergebnis der ersten Runde Hulbert kontra Egham: Elga Ashburton hat nach den ersten drei oder vier Monaten ihrer Ehe damit begonnen, pünktlich an jedem Fünfzehnten einen dicken Brief ohne Absenderangabe nach Worcester zu schicken. An eine Postlageranschrift, die ich auch noch herauszubringen hoffe. Was die Spesen betrifft ...“
„So stehe ich dafür voll und ganz gerade!“, versprach der Inspector lächelnd und griff zum Telefonhörer, weil es geklingelt hatte. Aus seinem Gesprächsbeitrag wurde Hulbert nicht recht schlau. Nachdem Taggart mit den Worten: „All right, Masters, weitermachen!“ das Gespräch beendet und aufgelegt hatte, sagte er verdrossen:
„Wie ich mir's gedacht hatte! Masters berichtet, dass die Peacock bis zur Stunde ihr Zimmer in Ealing nicht verlassen hat. Um vier Uhr dreißig konnte endlich auch die Telefonüberwachung einsetzen; um acht Uhr siebzehn hat sie sich bei ihrer Dienststelle krank gemeldet; um neun Uhr sechsundzwanzig stoppte der Dienstwagen Major Coolgate's vor ihrem Haus und ein Zivilist mittleren Alters — vermutlich der Major höchstpersönlich — begab sich zu ihr.
„... und was meine Wenigkeit betrifft“, fuhr er seufzend fort, „so ist jetzt der Besuch in Epsom fällig. Erfolg gleich null, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen, aber die Routinetour muss geritten werden, wenn der Mast auch bricht.“
„Typische Verquickung von Surf- und Segelsport!“, stellte der Sergeant grinsend fest. „Ich werde mir inzwischen ausdenken, was Mrs. Ashburton alles passiert sein kann ...“
„... womit Sie bis zur Erreichung des Pensionsalters zu tun haben werden“, meinte der Inspector, und erhob sich. „Well, ich fahre. Werde gegen sechzehn Uhr zurück sein, schätze ich. Halten Sie solange die Stellung, Chris, und schreiben Sie jede wichtige Meldung auf.“
*
Gegen halb zwölf stoppte der schwarze Cisitalia nach einer Fahrt, während der die Protektoren aller vier Reifen etliche Millimeter Gummi verloren hatten, vor einem grün gestrichenen Gartenzaun, hinter dem eine wild wuchernde Hortensienhecke eine viktorianische Villa, ein wahres Monstrum an Scheußlichkeit, teilweise den profanen Blicken zufälliger Passanten verbarg. Taggart öffnete die Gittertür, schlenderte über einen mit Kies üppig bestreuten Weg zum Haus und nahm die drei Marmorstufen in einem Satz, die zum Eingang führten. Auf sein Klingeln öffnete eine dicke, gemütlich wirkende Frau mittleren Alters und taxierte seine äußere Erscheinung wohlwollend ab. „Guten Tag, Sir, womit kann ich Ihnen dienen?“, sagte sie. Beim Sprechen tanzten die Sommersprossen auf ihrer etwas zu breit geratenen Nase Samba.
Der Inspector nannte Namen und Dienstgrad und fügte hinzu, er wünsche Miss Craigie zu sprechen. Miss Helen Craigie.“
„Sicher“, murmelte das Mädchen, „wir haben ja nur eine! — Wenn Sie bitte eintreten wollten, Sir!“
Taggart wurde in eine mit bizarrem Geschmack eingerichtete Halle geführt und zum Platznehmen aufgefordert. Während das Hausmädchen ihn anmelden ging, besah er sich mit gemischten Gefühlen das Vestibül, dessen Boden von einem geradezu monströsen Teppich von einmalig türkisblauer Farbe bedeckt war. Billige, teilweise beschädigte Schleiflackmöbel passten dazu wie die Faust aufs Auge, aber die Wände waren mit kostbaren Seidentapeten beklebt, und die Bilder, die dort hingen, nötigten dem Inspector einen geistigen Salto mortale ab. Kernstück war ein früher Matisse, den Taggart für echt hielt. Rechts daneben hing die abstrakte Komposition eines unbekannten Meisters des zwanzigsten Jahrhunderts, und zwischen beiden Gemälden eine gute Kopie des Dürer'schen Hasen, dem man freilich bei dieser Umgebung neurotische Angstzustände nicht hätte verargen mögen. Gegenüber hatten drolligerweise ein Manet und ein Monet — beides Kopien — wie Zwillinge nebeneinander Platz gefunden, und die vier weiteren Gemälde, die augenscheinlich alle vom gleichen Pinsel stammten, konnte der kunstverständige Inspector bei bestem Willen nicht klassifizieren, da sie alle so aussahen, als habe sie Gainsborough begonnen, Tizian fortgeführt und Picasso vollendet. Ein dezenter Mensch wie Raymond Taggart konnte da nur gequält die Augen schließen und an etwas Schönes denken —
„Miss Craigie lässt bitten, Sir!“, sagte die Stimme der Sommersprossigen mit mildem Vorwurf.
Taggart fuhr auf und blickte sich verwirrt um. Heavens — der Hase schien ihm zuzublinzeln.
Читать дальше