Tendenziöses Gutachten oder Wahrheitsbeleg?
Bei den Fragen der Verteidiger dazu drängte sich der Eindruck auf, sie wollten die Seriosität des Gutachtens anzweifeln. Der Zeuge erzählte, dass er von den Freshfields-Anwälten zuerst am Telefon befragt worden sei, später noch einmal in London einen ganzen Tag lang. Bei diesem Gespräch hätten ihm eine von der Bank gestellte Rechtsanwältin und ein Kollege beigestanden. Am Gesprächsprotokoll, das Freshfields dem Zeugen S. später übersandte, (sieben bis zehn Seiten) korrigierte S. einiges. Weil er „den Gesamtzusammenhang ordentlich darstellen wollte“, und: Damit „meine Aussagen auch stimmten“.
Anwalt Gatzweiler wollte daraufhin von Marc S. wissen, ob es bei der Befragung durch Freshfields um das Sammeln von Fakten gegangen sei? Nein, antwortete der Zeuge prompt. Gatzweiler: Ob ihm Vorhaltungen gemacht worden seien? Ja, so S., es wurde die Vorstandsvorlage zu Omega55 kritisiert und er hatte den Eindruck, dass die Befragungen Alibisitzungen waren, in denen Freshfields vorgefertigte Meinungen abklopfte.
Geheimgutachten zu möglichen Pflichtverletzungen
Das so genannte Freshfields-Gutachten umfasst fast 450 Seiten. Der Aufsichtsratschef der HSH, Wolfgang Peiner, gab es im April 2009 in Auftrag. Es sollte die Sorgfaltspflichten der HSH-Vorstände gemäß § 93 Aktiengesetz untersuchen. Die HSH hütet dieses Gutachten wie ein Staatsgeheimnis. Es listet erhebliche Schwächen der Bank auf und kommt für die Vorstände Rieck, Strauß und Friedrich zu dem Ergebnis, dass sie die Vorstandsentscheidung zu Omega55 auf nicht informierter Basis getroffen haben. Kurz: Sie haben ihre Pflichten verletzt.[23] Die Gutachter kommen aber auch zu dem Schluss, dass weder Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, Berater oder die Aufsichtsbehörden Signale der Vorsicht an die Vorstände ausgesendet hatten.
Marc S. wurde noch einmal für den 2. September geladen.
Anmerkung:
[22] vergleiche Urteil LG Hamburg, vom 9.7.2014, S. 13
[23] Abschlussbericht PUA Landtag Schleswig-Holstein, 15.8.2011, Drucksache 17/1675, S. 129f
Tag 10: Alles wartet auf Dr. No
Mittwoch, 28. August 2013
Wann wird Ex-Finanzvorstand Dirk Jens Nonnenmacher seinen Standpunkt zu den Vorwürfen der Anklage kundtun?
Das ist die große Frage, die sich die Hamburger Presse mit jedem weiteren Prozesstag stellt. Nonnenmacher ist der prominenteste der sechs Angeklagten. Er gilt vielen als das Sinnbild für verantwortungslos handelnde, selbstgefällige Banker, die sich sogar angesichts der Milliardenschäden für die Volkswirtschaft durch ihr Tun von oben herab äußern und ungeniert ihre Boni einstreichen. Im Untreue-Prozess ist Nonnenmacher allerdings einer von sechs Angeklagten, auch wenn der Großteil der Medien ihn zum Hauptbösewicht stilisiert.

Dirk Jens Nonnenmacher mit Verteidiger Otmar Kury (l.)
Anfangs hieß es ...
Nonnenmacher wolle erst einmal abwarten und sich später äußern. Dann hieß es: Dr. No - so nennen ihn die publikumswirksamen Medien oft - werde dann etwas sagen, wenn die Juristen der HSH-Rechtsabteilung befragt worden seien. Vergangene Woche meinte Nonnenmachers Verteidiger Wagner: Für diese Woche habe sein Mandant ein Statement vorbereitet. Richter Tully wiederum sagte: Am 2. September ist noch einmal kurz der erste Zeuge geladen. Danach habe Verteidiger Wagner Zeit für eine „Einlassung“ seines Mandanten. So heißt das bei Gericht, wenn Angeklagte etwas zum Tatvorwurf sagen. Sich einlassen. Gerichtsunerfahrene mögen hier grinsen. Wie ich.
Nonnenmachers Versteckspiel ...
… ist nicht nachvollziehbar. Er muss eigentlich ein Interesse daran haben, seine Sicht in den Zeitungen, Magazinen und im Internet zu lesen. Denn was dort steht, hält Einzug in die Archive. Auf der anderen Seite: In den Vernehmungen der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Kiel und Hamburg zur Aufarbeitung der HSH-Krise hat er offen Schwächen der Bank und Mängel bei Omega55 zugegeben. Seine Selbstverteidigung vor Gericht wird dagegen kaum in diese Richtung laufen. Hier einige Aussagen Nonnenmachers, zitiert in den Abschlussberichten der Parlamentarischen Ausschüsse:
Zum Geschäft Omega55:
„Die Bank hätte die aufsichtsrechtlichen Mindesteigenkapitalquoten auch ohne das Geschäft Omega 55 eingehalten. Ziel sei es gewesen, selbst gesteckte Ziele im Hinblick auf die Eigenkapitalquoten zum 31. Dezember 2007 und den weiteren Stichtagen einzuhalten. [...] Gleichwohl habe die Bank sowohl bei der Eingehung dieser Transaktionen wie bei ihrer späteren Handhabung nicht so agiert, wie sie es hätte tun sollen. Die Kreditvorlage an den Vorstand habe - nach heutiger Kenntnis - Mängel aufgewiesen. [...] Die Omega-Transaktion sei aber ein Symbol für die damaligen Schwächen in den Kernprozessen der Bank. Das interne Kontrollsystem habe versagt.“
(Bericht PUA Hamburgische Bürgerschaft, 3.3.2011, Drucksache 19/8300, S. 108)
Zum Risikomanagement der HSH:
„Schon nach wenigen Wochen und Monaten in der Bank sei ihm klar geworden, dass im Bereich des Risikomanagements 'ungeheurer Weiterentwicklungsbedarf' bestanden habe. So sei ihm sofort aufgefallen, dass die Bank beispielsweise kein Kreditkomitee und kein von den Aufsichtsbehörden freigezeichnetes internes Marktrisikomodell hatte. Mit der Funktionstrennung von CRO und CFO ab Oktober 2007 sei man 'rein funktional' schon weitergekommen. Wie der Aufsichtsrat im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Risikofunktion eingebunden war, vermochte Herr Prof. Dr. Nonnenmacher nicht zu sagen: 'Dass da Schwächen sind, hat sicherlich die Flowers-Gruppe sehr klar beurteilen können mit Blick auf den Börsengang.'“
(Abschlussbericht PUA Landtag Schleswig-Holstein, 15.8.2011, Drucksache 17/1675, S. 177)
„... dass die HSH Nordbank bis zum Jahr 2008 erhebliche Schwächen in Bezug auf das Risikomanagement aufgewiesen hat. Das betraf vor allem die gesamte Risikokultur der Bank. Eine Risikokultur, die sich sowohl negativ auf die Organisation und die Prozesse zur Risikoüberwachung als auch auf Einzelfallentscheidungen ausgewirkt hat.“
(Abschlussbericht PUA Landtag Schleswig-Holstein, 15.8.2011, Drucksache 17/1675, S. 321)
Tag 11: „Omega55 war intellektuell interessant.“
Freitag, 30. September
Endlich der zweite Zeuge. Es geht voran beim Sammeln der Puzzleteile.
Geladen war Dr. Michael S., ein ehemaliger Jurist der HSH. 2007 arbeitete Dr. S. als Gruppenleiter in der Immobiliensparte in Hamburg und war damit dem Angeklagten Rieck unterstellt. Michael S., um die 40, sah jungenhaft aus, lächelte oft leicht unsicher und stockte bei manchen Fragen. Im Schlepptau hatte auch dieser Zeuge einen Anwalt, einen so genannten Zeugenbeistand.
Die Immobiliensparte hatte 2007 enorm viele Kredite neu vergeben. Damit beanspruchte die Sparte einen großen Teil des Eigenkapitals der HSH für sich, einen zu großen Teil mit Blick auf den Börsengang. Denn das hieß auch: Die Sparte hatte zuviel Risiko in die Bücher gepackt. Also erhielt Michael S. den Auftrag, „London“ anzusprechen, wie man die Kredite und die damit verbundenen Verlustrisiken zum Jahreswechsel 2008 loswerden könnte.
London mit Kontakten in die Zockerbanken
Am 10. und 11. Prozesstag wollten die Richter von Dr. S. unter anderem wissen, wer ihm in der Bank gesagt habe, dass er sich an die Londoner Niederlassung wenden solle? Für Kapitalmarktgeschäfte a la Omega55 seien doch die Mitarbeiter in Kiel zuständig gewesen? Wer ihm das gesagt habe, daran erinnerte sich der Zeuge nicht mehr; er meinte aber, es wäre sein unmittelbarer Vorgesetzter gewesen, sowie Spartenvorstand Peter Rieck. Zu Rieck hatte der Zeuge wohl einen kurzen Draht, weil sie an anderer Stelle in der HSH schon zusammengearbeitet hatten. Ohne die Auslagerung von Verlustrisiken zum Beispiel aus der Immobiliensparte wäre die HSH in eine problematische Situation gekommen, meinte der Zeuge, weil das auf das Rating der Bank gedrückt hätte. Und ein niedrigeres Rating wäre für die HSH ein teureres Problem gewesen als eine Transaktion wie Omega55.
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