1 ...6 7 8 10 11 12 ...28 Es war an einem Sonntag früh, als Bancroft aufbrechen wollte. Er hielt es für nötig, vorher einen Abschiedstrunk zu tun, an welchem sich alle beteiligen sollten. Ich allein wurde nicht dazu eingeladen, und Hawkens, Stone und Parker folgten der an sie ergangenen Aufforderung nicht. Der Trunk zog sich, wie ich gleich geahnt hatte, so sehr in die Länge, dass er erst dann aufhörte, als Bancroft kaum mehr lallen konnte. Seine Zechgenossen hatten gleichen Schritt mit ihm gehalten und waren nicht minder betrunken als er. Von dem beabsichtigten Ritte konnte für jetzt keine Rede sein. Die Kerls taten, was sie in diesem Zustande stets getan hatten: sie krochen hinter die Büsche, um auszuschlafen.
Was nun tun? Der Bote musste fort, und diese Menschen schliefen nun jedenfalls bis weit in den Nachmittag hinein. Es war am besten, ich unternahm den Ritt; aber konnte ich fort? Ich war überzeugt, dass bis zu meiner Rückkehr nach voraussichtlich vier Tagen von Arbeit keine Rede sein werde. Während ich mit Sam Hawkens mich darüber beriet, deutete er mit der Hand nach Westen und sagte:
„Wird nicht nötig sein, dass Ihr reitet, Sir. Könnt die Botschaft den Beiden mitgeben, welche dort kommen.“
Als ich in die angegebene Richtung blickte, sah ich zwei Reiter, welche sich uns näherten. Es waren Weiße, und in dem einen erkannte ich einen alten Scout, welcher schon einige Male bei uns gewesen war, um uns von der nächsten Sektion Nachricht zu bringen. Neben ihm ritt ein jüngerer Mann, welcher nicht wie ein Westläufer gekleidet war. Den hatte ich noch nicht gesehen. Ich ging ihnen entgegen; als ich sie erreichte, hielten sie ihre Pferde an, und der Unbekannte fragte mich nach meinem Namen. Als ich ihm denselben genannt hatte, betrachtete er mich mit freundlich forschendem Blicke und sagte:
„So seid Ihr also der junge, deutsche Gentleman, der hier alle Arbeit tut, während des Anderen auf der faulen Haut liegen. Ihr werdet wissen, wer ich bin, wenn ich Euch meinen Namen sage, Sir. Ich heiße White.“
Das war der Name des Dirigenten der westlich nächsten Sektion, zu welchem der Bote hatte geschickt werden sollen. Dass er selbst kam, musste einen Grund haben. Er stieg vom Pferde, gab mir die Hand und ließ sein Auge suchend über unser Lager schweifen. Als er die Schläfer hinter den Büschen und dann auch das Branntweinfaß erblickte, ging ein verständnisvolles, aber keineswegs freundliches Lächeln über sein Gesicht.
„Sind wohl betrunken?“ fragte er.
Ich nickte.
„Alle?“
„Ja. Mr. Bancroft wollte zu Euch, und da hat es einen kleinen Abschiedstrunk gegeben. Ich werde ihn wecken und“
„Halt!“ fiel er mir in die Rede. „Lasst sie schlafen! Es ist mir lieb, dass ich mit Euch reden kann, ohne dass sie es hören. Gehen wir zur Seite, und wecken sie nicht auf! Wer sind die drei Männer, die dort bei Euch standen?“
„Sam Hawkens, Will Parker und Dick Stone, unsere drei zuverlässigen Scouts.“
„Ah, Hawkens, der kleine, sonderbare Jäger. Tüchtiger Kerl; habe von ihm gehört. Die Drei mögen mit uns kommen.“
Ich folgte dieser Aufforderung, indem ich sie zu uns winkte, und erkundigte mich dann:
„Ihr kommt selbst, Mr. White. Ist's etwas Wichtiges, was Ihr uns bringt?“
„Nichts weiter, als dass ich hier einmal nach dem Rechten sehen und mit Euch, grad mit Euch reden wollte. Wir sind mit unserer Sektion fertig, Ihr mit der Eurigen noch nicht.“
„Daran tragen die Schwierigkeiten des Terrains die Schuld, und ich will“
„Weiß, weiß!“ unterbrach er mich. „Weiß leider alles. Wenn Ihr Euch nicht dreifach angestrengt hättet, so stände Bancroft noch da, wo er angefangen hat.“
„Das ist keineswegs der Fall, Mr. White. Ich weiß zwar nicht, wie Ihr zu der irrtümlichen Ansicht gekommen seid, dass ich allein fleißig gewesen sein soll, doch ist es meine Pflicht“
„Still, Sir, still! Es sind Boten zwischen Euch und uns hin und her gegangen; die habe ich ausgehorcht, ohne dass sie es bemerkten. Es ist sehr edelmütig von Euch, dass Ihr diese Säufer hier in Schutz nehmen wollt, aber ich will die Wahrheit hören. Und da ich sehe und höre, dass Ihr zu nobel seid, sie mir zu sagen, werde ich nicht Euch, sondern Sam Hawkens fragen. Setzen wir uns hier nieder!“
Wir waren nach unserm Zelte gegangen. Er setzte sich vor demselben in das Gras und winkte uns, dasselbe zu tun. Als wir dieser Aufforderung nachgekommen waren, begann er, Sam Hawkens, Stone und Parker auszufragen. Sie erzählten ihm alles, ohne zur Wahrheit ein überflüssiges Wort zu fügen; dennoch warf ich hier und da eine Bemerkung ein, um gewisse Härten zu mildern und meine Kollegen zu verteidigen, doch verfehlte dies den beabsichtigten Eindruck auf White. Er bat mich im Gegenteil wiederholt, diese meine Bemühungen einzustellen, da sie vollständig erfolglos seien.
Dann, als er alles wusste, forderte er mich auf, ihm unsere Zeichnungen und das Tagebuch zu zeigen. Ich brauchte ihm diesen Wunsch nicht zu erfüllen, tat es aber dennoch, weil ich ihn sonst beleidigt hätte, und ich sah doch, dass er es gut mit mir meinte. Er sah alles sehr aufmerksam durch, und als er mich danach fragte, konnte ich nicht leugnen, dass ich allein der Zeichner und Verfasser war, denn keiner von dem Anderen hatte einen Strich getan oder einen Buchstaben geschrieben.
„Aber aus diesem Tagebuche ersieht man nicht, wie viel oder wie wenig Arbeit auf den Einzelnen kommt,“ sagte er. „Ihr seid in Eurer löblichen Kollegialität viel zu weit gegangen.“
Da bemerkte Hawkens mit pfiffigem Gesichte:
„Greift ihm doch mal in die Brusttasche, Mr. White! Da steckt ein blechernes Dings, worin Ölsardinen gewesen sind. Die Sardinen sind heraus, aber dafür steckt etwas Papiernes drin. Wird wohl sein Privattagebuch sein, wenn ich mich nicht irre. In diesem wird es ganz anders lauten als hier in dem offiziellen Berichte, in dem er die Faulheit seiner Kollegen vertuscht.“
Sam wusste, dass ich mir private Aufzeichnungen gemacht hatte und sie in der leer gewordenen Sardinenbüchse bei mir trug. Es war mir unangenehm, dass er es sagte. White bat mich, ihm auch das zu zeigen. Was sollte ich tun? Verdienten es meine Kollegen, dass ich mich für sie plagte, ohne Dank zu finden, und dies dann auch noch verschwieg? Ich wollte ihnen keineswegs schaden, aber auch nicht unhöflich gegen White sein. Darum gab ich ihm mein Tagebuch, doch unter der Bedingung, dass er zu niemand von dem Inhalte spreche. Er las es durch, gab es mir dann zurück und sagte:
„Eigentlich sollte ich die Blätter mitnehmen und an der betreffenden Stelle abgeben. Eure Kollegen sind ganz unfähige Menschen, denen kein einziger Dollar mehr ausbezahlt werden sollte; Euch aber müsste man dreifach bezahlen. Doch, wie Ihr wollt. Nur mache ich Euch darauf aufmerksam, dass es gut für Euch sein wird, diese Privatnotizen gut aufzuheben. Sie können Euch später leicht von großem Nutzen sein. Und nun wollen wir die famosen Gentlemen wecken.“
Er stand auf und schlug Lärm. Die ›Gentlemen‹ kamen mit stieren Augen und verstörten Gesichtern hinter ihren Büschen hervor. Bancroft wollte darüber, dass man ihn im Schlafe gestört hatte, grob werden, zeigte sich aber höflich, als ich ihm sagte, dass Mr. White von der nächsten Sektion angekommen sei. Die Beiden hatten sich noch nicht gesehen. Das Erste war, dass er ihm einen Becher Brandy anbot; aber damit kam er an den unrechten Mann. White benutzte dieses Anerbieten sofort als Anknüpfungspunkt zu einer Strafrede, wie Bancroft gewiss noch keine gehört oder gar selbst erhalten hatte. Dieser hörte sie, vor Erstaunen wortlos, eine Weile an, dann fuhr er auf den Redner los, fasste ihn am Arme und schrie ihn an:
„Herr, wollt Ihr mir wohl gleich sagen, wie Ihr heißt?“
„White heiße ich; das habt Ihr ja gehört.“
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