1 ...7 8 9 11 12 13 ...28 „Und was Ihr seid?“
„Oberingenieur der benachbarten Sektion.“
„Hat jemand von uns Euch dort etwas zu befehlen?“
„Ich denke, nein.“
„Nun wohl! Ich heiße Bancroft und bin Oberingenieur der hiesigen Sektion. Es hat mir kein Mensch etwas zu befehlen, am allerwenigsten aber Ihr, Mr. White.“
„Es ist richtig, dass wir uns vollständig gleichstehen,“ antwortete dieser ruhig. „Befehle von dem Andern anzunehmen, hat keiner von uns Beiden nötig. Aber wenn der Eine sieht, dass der Andere das Unternehmen, an welchem beide arbeiten sollen, schädigt, so ist es seine Pflicht, den Betreffenden auf seinen Fehler aufmerksam zu machen. Eure Lebensaufgabe scheint im Brandyfasse zu stecken. Ich zähle hier sechszehn Menschen, welche alle betrunken waren, als ich vor zwei Stunden hier ankam, und so“
„Vor zwei Stunden?“ fiel ihm Bancroft in die Rede. „So lange seid Ihr schon hier?“
„Allerdings. Ich habe mir die Aufnahmen angesehen und mich darüber unterrichtet, wer sie gemacht hat. Das ist ja das reine Schlaraffenleben hier gewesen, während ein Einziger und noch dazu der Jüngste von Euch allen, die ganze Arbeit zu bewältigen hatte!“
Da fuhr Bancroft zu mir herum und zischte mich an:
„Das habt Ihr gesagt, Ihr und kein anderer! Leugnet es einmal, Ihr niederträchtiger Lügner, Ihr heimtückischer Verräter!“
„Nein,“ antwortete ihm White. „Euer junger Kollege hat als Gentleman gehandelt und nur Gutes über Euch gesprochen. Er hat Euch in Schutz genommen, und ich rate Euch, ihn um Verzeihung zu bitten, dass Ihr ihn einen Lügner und Verräter nanntet.“
„Um Verzeihung bitten? Fällt mir nicht ein!“ lachte Bancroft höhnisch auf. „Dieses Greenhorn weiß kein Dreieck von einem Vierecke zu unterscheiden und bildet sich trotzdem ein, Surveyor zu sein. Wir sind nicht vorwärtsgekommen, weil er alles verkehrt gemacht und uns aufgehalten hat, und wenn er nun, anstatt dies einzusehen und zuzugeben, uns bei Euch verleumdet und anschwärzt, so“
Er kam nicht weiter. Ich war monatelang geduldig gewesen und hatte diese Leute nach ihrem Belieben über mich denken lassen. Jetzt war der Augenblick da, ihnen zu zeigen, dass sie sich in mir geirrt hatten. Ich ergriff Bancroft beim Arme, drückte ihn so, dass er vor Schmerz den angefangenen Satz unausgesprochen ließ, und sagte:
„Mr. Bancroft, Ihr habt zu viel Schnaps getrunken und nicht ausschlafen können. Ich nehme an, dass Ihr noch betrunken seid, und es mag also so sein, als ob Ihr nichts gesagt hättet.“
„Ich, betrunken? Ihr seid verrückt!“ antwortete er.
„Jawohl, betrunken! Denn wenn ich wüsste, dass Ihr nüchtern seid und die Beschimpfungen mit Überlegung ausgesprochen habt, so wäre ich gezwungen, Euch wie einen Buben zu Boden zu schlagen. Verstanden! Habt Ihr nun noch das Herz, Euren Rausch abzuleugnen?“
Ich hielt seinen Arm noch fest in meiner Hand. Er hatte gewiss nie geglaubt, jemals vor mir Angst haben zu müssen; jetzt aber fürchtete er sich; das sah ich ihm an. Er war keineswegs ein schwacher Mann; aber der Ausdruck meines Gesichtes schien ihn zu erschrecken. Er wollte nicht sagen, dass er noch betrunken sei, getraute sich aber auch nicht, seine Beschuldigungen aufrecht zu erhalten; darum wendete er sich um Hilfe an den Anführer der zwölf Westmänner, die uns zur Unterstützung beigegeben waren:
„Mr. Rattler, duldet Ihr es, dass dieser Mensch sich an mir vergreift? Seid Ihr nicht hier, um uns zu beschützen?“
Dieser Rattler war ein hoch und breit gebauter Kerl, welcher die Kraft von drei, vier Menschen zu besitzen schien, ein rohes Subjekt und zugleich Bancrofts liebster Trinkkumpan. Er konnte mich nicht leiden und nahm jetzt mit Freuden die Gelegenheit wahr, dem Grolle, den er gegen mich hegte, Luft machen zu dürfen. Er trat schnell herbei, fasste mich am Arm, so wie ich Bancroft noch immer bei dem seinigen hatte, und antwortete:
„Nein, das kann ich nicht dulden, Mr. Bancroft. Dieses Kind hat seine ersten Strümpfe noch nicht abgelaufen und will hier erwachsenen Männern drohen, sie verschänden und verleumden. Tu' die Hand von Mr. Bancroft weg, Junge, sonst zeige ich dir, was für ein Greenhorn du bist!“
Diese Aufforderung war an mich gerichtet. Er schüttelte mir bei derselben den Arm. Das musste mir noch lieber sein, denn er war ein stärkerer Gegner als der Oberingenieur. Wenn ich ihn Mores lehrte, musste es besser wirken, als wenn ich diesem zeigte, dass ich kein Feigling sei. Ich riß meinen Arm aus seiner Hand und entgegnete:
„Ich ein Junge, ein Greenhorn? Widerruft das augenblicklich, Mr. Rattler, sonst schmettere ich Euch zu Boden!“
„Ihr mich?“ lachte er. „So ein Greenhorn ist wirklich so albern, zu glauben, dass“
Er konnte nicht weiterreden, denn ich schlug ihm die Faust an die Schläfe, dass er steif wie ein Sack niederstürzte und betäubt liegen blieb. Einige kurze Augenblicke herrschte tiefes Schweigen; dann rief einer von Rattlers Kameraden:
„All devils! Sollen wir ruhig zusehen, wenn so ein hergelaufener Dutchman unsern Anführer schlägt? Drauf auf den Halunken!“
Er sprang auf mich ein. Ich empfing ihn mit einem Fußtritt in die Magengegend. Dies ist ein sicheres Mittel, den Gegner zum Fall zu bringen, nur muss man dabei sehr fest auf dem andern Beine stehen. Der Kerl stürzte nieder. In demselben Momente kniete ich auf seinem Leibe und gab ihm den betäubenden Fausthieb an die Schläfe. Dann sprang ich schnell auf, riß die beiden Revolver aus dem Gürtel und rief:
„Wer noch? Der mag kommen!“
Rattlers ganze Bande hätte wohl nicht übel Lust gehabt, die Niederlage ihrer beiden Kameraden zu rächen. Einer blickte den Andern fragend an. Ich warnte aber:
„Hört mein Wort, ihr Leute: Wer einen Schritt nach mir tut oder mit der Hand nach der Waffe greift, bekommt augenblicklich eine Kugel in den Kopf! Denkt meinetwegen von den Greenhorns im Allgemeinen, was und wie ihr wollt; von den deutschen Greenhorns aber will ich euch beweisen, dass ein einziges es recht gut mit zwölf solchen Westmännern aufnimmt, wie ihr seid!“
Da stellte sich Sam Hawkens an meine Seite und sagte:
„Und ich, Sam Hawkens, will euch auch warnen, wenn ich mich nicht irre. Dieses junge, deutsche Greenhorn steht unter meinem ganz besondern Schutze. Wer es wagen sollte, ihm nur ein Haar zu krümmen, dem schieße ich sofort ein Loch durch die Gestalt. Ist mein voller Ernst; könnt es euch merken, hihihihi!“
Dick Stone und Will Parker hielten es für angezeigt, sich auch neben mir aufzupflanzen, um anzudeuten, dass sie ganz der Meinung von Sam Hawkens seien. Das imponierte den Gegnern. Diese wendeten sich von mir ab, murmelten unterdrückte Flüche und Drohungen in die Bärte und beschäftigten sich dann angelegentlich mit den beiden Gefallenen, um sie zum Bewusstsein zurückzubringen.
Bancroft hielt es für das Klügste, nach dem Zelte zu gehen und in demselben zu verschwinden. White hatte mit großen, verwunderten Augen auf mich geblickt. Jetzt schüttelte er den Kopf und sagte im Tone ungekünstelten Erstaunens:
„Aber, Sir, das ist ja fürchterlich! In Eure Finger möchte ich auf keinen Fall geraten. Man sollte Euch wahrhaftig Shatterhand nennen, weil Ihr einen baumlangen und baumstarken Menschen mit einem einzigen Fausthieb niederschmettert. So etwas habe ich noch nie gesehen.“
Dieser Vorschlag schien dem kleinen Hawkens zu gefallen. Er kicherte fröhlich:
„Shatterhand, hihihihi! Ein Greenhorn, und schon einen Kriegsnamen, und nun gar einen solchen! Ja, wenn Sam Hawkens seine Augen auf ein Greenhorn wirft, so kommt etwas dabei heraus, wenn ich mich nicht irre. Shatterhand, Old Shatterhand! Ganz ähnlich wie Old Firehand, der auch ein Westmann ist, stark wie ein Bär. Was sagt ihr dazu, Dick, Will, zu diesem Namen?“
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