Reinhard Heilmann - Wenn Alpträume wahr werden ...

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Reinhard Heilmann
Wenn Alpträume wahr werden …
Kurzbeschreibung
Alles beginnt ganz harmlos und alltäglich, so scheint es.
Ein paar Morde, ein paar mögliche Zusammenhänge, offenbar mal wieder das Übliche, organisierte Kriminalität, wahrscheinlich Drogen …, wenn da nicht ein paar Kleinigkeiten wären, die einfach nicht ins Bild passen. Doch je mehr die ermittelnden Kommissare Wendehals und Mertens in die Tiefen der Fälle eindringen, umso weniger scheinen sie zu verstehen, worum es wirklich geht. Aber die beiden geben nicht auf und finden langsam, unterstützt auch durch 'Kommissar Zufall', Indizien, Belege und Hinweise, die in eine Richtung zu weisen scheinen, gegen die sich in ihnen alles sträubt, das Unterbewusstsein einfach nicht zulassen will, dass es das geben darf…
Beginnt die Vergangenheit langsam aber stetig die Zukunft einzuholen? – Fakten, wissenschaftliche Erkenntnisse und Machbarkeiten überrollen uns bereits heute. Unaufhaltsam?
Sollte eines Tages Realität werden, was die Ermittler schließlich mit ohnmächtigem Entsetzen erkennen müssen, müßte die Evolutionsgeschichte der Menschheit ganz neu geschrieben werden…

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Für heute hatten die beiden hier genügend Material zusammenbekommen, sodass sie erst einmal mit dessen detaillierter Auswertung beginnen mussten. Hinter dem Ganzen hier steckte, da waren sich beide jetzt sicher, nicht nur ein ganz normaler Mord, sondern viel mehr und, wer weiß, vielleicht hingen auch die übrigen Morde in der letzten Zeit in der Nähe des kleinen Örtchens Sommertal alle irgendwie zusammen ...

Kapitel 4

Während Kommissar Wendehals und sein Kollege Mertens genüsslich eine Tasse brühenden Kaffees schlürften und dazu in frisch aufgebackene Baguette mit Schinken und hauchdünn geschnittenem Emmentaler bissen, mit ihren Gedanken doch schon wieder beim Fall waren und Wendehals die Chronologie des bisher Bekannten auf einem Notizblock rechts neben der Kaffeeuntertasse anfertigte ...

... wechselte in dreihundertundvierzig Kilometer Entfernung-Luftlinie in einem kleinen Ort namens Volendam in der Nähe von Edam am holländischen Ijsselmeer, garnicht weit von Amsterdam, ein Paket, etwa dreißig mal fünfundzwanzig mal zwanzig Zentimeter groß, eine Styroporkiste, den Besitzer, als Grete Oostburg einem ihr unbekannten Fischer die kleine Kiste übergab.

Die Frau, die einem schwarzen Passat mit Kennzeichen NF-372-317 entstiegen war, eine schlanke Brünette von vielleicht fünfundzwanzig, vielleicht hübsch, aber durch einen harten Zug um den Mund eher als bösartig und ‘mit Vorsicht zu genießen’ einzustufen, eine instinktmäßige Einschätzung, die auch die Gedanken des Fischers eher auf diesen Wesenszug als auf anderes Äußeres lenkten, fragte: „Kennen Sie Edam?”

Worauf der Fischer antwortete: „Ich habe dort in meiner Jugend gearbeitet!”

Auf dieses ‘Kennenlernen’ holte die Brünette ein Codiergerät aus Ihrer Umhängetasche, ein Gerät ähnlich einem Scheckkartenlesegerät, nur handgroß, tippte eine sechzehnstellige Nummer ein und hielt dem Fischer das Gerät hin mit der Aufforderung, seine Code-Karte einzustecken.

Der Fischer kramte umständlich unter seinem Takelhemd in der Brusttasche der Latzhose und förderte eine Codekarte in einer Plastikhülle hervor; mit den Worten: „Die Hülle ‘is wohl wegen

des Fischgeruchs, der den Magnetstreifen sonst wegätzt” und einem kehligen Lachen steckte der Fischer die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz. Ein grünes Licht links oberhalb des Tastwahlblocks blinkte und ein auf und abschwellender Summton ertönte für fünf Sekunden. Der Codierer spuckte die Karte wieder aus.

„OK.” stellte die Frau fest und übergab dem Fischer das Paket.

„Den nächsten Termin erfährst Du rechtzeitig”, meinte sie dann noch und stieg auch schon in ihr Fahrzeug.

Ohne Gruß fuhr sie davon ...

während gleichzeitig ...

... im sechshundertundzwanzig Kilometer Luftlinie von Volendam entfernten polnischen Swinouj´scie am Baltischen Meer Igor Petrescu, ein ehemaliger rumänischer Geheimagent,

der sein neues Tätigkeitsfeld nach Polen, genauer gesagt in den Stettiner Raum verlegt hatte, von wo aus die Grenzübergänge in das neue große Deutschland so herrlich bequem zu benutzen waren, eine etwas andere Variante abfragte: „Warst Du schon einmal auf Bornholm?” war seine Frage an einen stämmigen untersetzten Polen, einen der Wenigen, die noch hauptberuflich dem Krabbenfang nachgingen und dessen richtige Antwort lautete: „Letzten Sommer erst mit meiner Tante Else und den Kindern”, woraufhin auch hier die Prozedur mit dem Codiergerät folgte, grünes Licht, Summton und Übergabe der weißen Kiste.

Der Pole warf die Leinen an Bord, sprang selber hinterher und legte sofort ab. Igor Petrescu setzte sich in seinen dunkelgrünen Mercedes LT mit Warschauer Kennzeichen, wendete und fuhr die Mole entlang davon ...

... und zufällig beinahe zeitgleich in Zeebrugge, einem kleinen Seebad mit Vorhafen, während des zweiten Weltkrieges als deutscher U-Boot-Stützpunkt Seebrügge bekannt, mit Tiefwasserhafen, Fischerei-, Krabben- und Fährhafen nach Harwich, malerisch an der belgischen Kanalküste gelegen, konnte man folgendes beobachten, eine allerdings eher völlig harmlose und unverfängliche Szene, die deswegen auch niemandem aufgefallen war: ein silber-metallicfarbener Peugeot-Boxer mit britischem Kennzeichen fährt an den Stapel Fangboxen, die zum Abtransport ins Kühlhaus bereitgestellt worden waren, wo sie als Tagesfang der ‘Marie-Claude’ verbucht werden würden. Aus dem Wagen steigt ein schlanker Mann mit strohblondem Haar und einem kinnfreien Backenbart, der Name sagt uns nichts weiter, stellt hinten auf der Ladefläche nach Öffnen der beiden Laderaumtüren eine kleine weiße Kiste aus Styropor bereit und ruft zum Fischkutter hinunter, der dreikommafünf Meter tiefer Relingoberkante zu Molenpflaster liegt, in dessen gedrungenen Schornstein man leicht hätte reinspucken können: „Kapitän Crevette, sind sie an Bord?” Woraufhin eine Antwort zurückkommt: „Was denken Sie? Kommen Sie ruhig ‘runter!”

Und während der Schlanke mit dem strohblonden Haar die in die Kaimauer eingelassenen rostigen glitschigen Stufen, die gerade mal nicht sechs Stunden unter der Wasserlinie liegen, hinunterklettert, geht etwas schief.

Denn entgegen der Planung und Absprache erscheint oben auf der Mole ein weiterer Mann, nimmt die Kiste von der Ladefläche, stellt sie in eine der bereits zum Abtransport aufgestapelten Fischkisten, wühlt rasch etwas gestoßenes Eis darüber, mit dem die Seezungen bereits abgedeckt sind, geht einen Schritt beiseite, nimmt die Deichsel des Elektrohubwagens auf, drückt den Hubhebel auf “Auf”, hubt die gesamte Palette etwa einen halben Meter über Pflasterhöhe, schiebt den Regler mit dem rechten Daumen auf “Vorwärts” und verschwindet mit dem ganzen Zeug in nicht übermäßiger Eile hinter einer der automatischen Schleusentore des angrenzenden Kühlhauses.

Inzwischen ist der schlanke Strohblonde unten auf der ‘Marie-

Claude’ angekommen, nicht ohne Schlick und Rostspuren an den Knien seiner hellgrauen Seidenhose davongetragen zu haben und kleine Partikel einer seltenen Muschel, die eigenartigerweise nur um den Hafenbereich hier vorkommt und die sich in eine Schlinge des dünngewebten Stoffes der Hose verhakt haben, und betritt das Steuerhaus des kleinen Kutters. Unten rechts im Steuerhaus ist eine aufgeklappte Luke und sieht man einen Niedergang, der in den Maschinenraum, in die Koch- und Schlafkajüte und in den Vorratsraum mit den Kühlaggregaten hinunter führt.

Von unten kommt der Ruf: „Wenn’s ihnen nichts ausmacht, ich muss die Maschine noch durchsehen, vielleicht können wir das Geschäftliche hier abwickeln.” Der Strohblonde folgt dem Ruf nach unten und beschmiert sich beim Abstützen am Boden, während er schon halb in der Bodenluke auf dem Niedergang verschwunden ist, den Ärmel seines weinroten Sakkos und seine rechte Hand mit Maschinenfett, einer Sorte, die nur noch selten verlangt wird und im Grunde auch garnicht mehr bevorratet wird bei Schiffsausrüstern und -werkstätten; eine ekelhaft hartnäckige und klebrige Schmiere mit enorm hoher Viskosität, die sich der schlanke Strohblonde gleich mit einem Putzlumpen abwischen will. Er kommt nicht dazu.

Sobald er den über der Bilge eingezogenen Holzboden betritt, trifft ihn ein stumpfer Gegenstand in dem durch die Notwendigkeit der gebeugten Haltung während des Abstieges ungeschützten Nackenbereich und verursacht ein Knacken, wie das Zerbrechen eines spröden Holzstückes beim D'rauftreten.

Der schlanke Strohblonde hat das alles nicht einmal gespürt.

*

Die Netzgewichte, die an ihm hingen und die den Auftrieb seines

Körpers verhindern sollten, die jedoch für die starke Strömung an diesem Küstenstrich als nicht schwer genug berücksichtigt worden waren, sind es später nicht gewesen, die die Spur der Leiche auch nach einigen Gezeiten noch unzweideutig zurückverfolgen ließen, nicht nur zu einem passenden Belegnagel ...

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