1 ...6 7 8 10 11 12 ...35 Emy nickte zustimmend mit dem Kopf.
»Und woher weißt du, was er für Shorts trägt?«
»Mum.« Emy musste lachen.
»Was hältst du davon, wenn wir in die Küche gehen und alles Süße essen, was nach Acht verboten ist?«
»Oh ja!« Emy lachte wieder und schob sich an der Couch hoch. Sie reichte ihrer Mutter beide Hände und zog sie hoch. Mrs. Laurent sprach mit einer verführerischen Stimme.
»Er sieht ganz schön gut aus.« Mrs. Laurent drehte sich zu ihrer Tochter um, die ihr einen leichten Schubs gab. »Aber besonders gut Schlittschuh fahren kann er nicht.«
»Mum, bitte.« Sie lachte.
»Hat er eine Freundin?«, fragte Mrs. Laurent.
»Das weiß ich nicht. Ich glaube aber kaum. Wann soll er die denn kennengelernt haben?« Emy schüttelte ihren Kopf. »Ich glaube nicht.« Mrs. Laurent schüttelte auch den Kopf, um sie nachzumachen, während sie den Kühlschrank öffnete.
»So ein Junge lernt jeden Tag ein Mädchen kennen, welches gerne seine Freundin sein möchte.«
»Ich glaube nicht, dass er so einer ist«, verteidigte Emy Ethan.
»Vielleicht hat er ja eine vollbusige Blondine in Deutschland, so mit geflochtenen Zöpfen an der Seite.«
»Mum, jetzt reicht es.«
Mrs. Laurent räumte alle Eiseimer und Sprühsahneflaschen aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den großen Edelstahltisch, der in der Mitte der Küche stand.
»Was für ein Mann ist denn sein Vater?«
»Och, groß, gutaussehendend und höflich. Ich habe nur zwei, drei Worte mit ihm gesprochen. Er sah müde aus.«
»Und die Wohnung?«, bohrte Emys Mutter weiter.
»Mum, stellst du schon wieder Ermittlungen an?« Mrs. Laurent machte eine Grimasse.
»Ich werde mich doch wohl über meinen zukünftigen Schwiegersohn informieren dürfen.«
»Mum!« Sie versuchte, so ernst wie möglich zu klingen. Mrs. Laurent hatte Eis auf zwei Teller verteilt und leckte den Löffel mit viel Freude ab.
»Vanille ist das Christkind unter den Eissorten«, schwärmte sie. »Emy, ich glaube, du solltest die nächsten Tage einfach genießen und abwarten, was passiert, wenn er wieder zurück ist. Mach dir nicht zu viele Gedanken und denke daran, dass du Ethan in einer Situation kennengelernt hast, in der er nicht so ist wie er ist.«
Mrs. Laurent lehnte sich auf den Küchentisch und aß ihr Eis. Emy lehnte am Kühlschrank, hielt in der einen Hand den Teller mit dem Eis und wedelte mit der anderen Hand und dem Löffel wie ein Dirigent.
»Ich habe so den Eindruck, du willst mir da irgendetwas einreden, Mum.« Mrs. Laurent schaute nicht von ihrem Eis hoch.
»Ach ja? Du springst während der Fahrt aus dem Auto, weil jemand Schlittschuh fährt, bringst ihn mit nach Hause und kaum, dass du aufgewacht warst, läufst du vor dem Frühstück zu ihm. Bei der Weihnachtsfeier mit deiner Familie bist du anwesend, aber nicht dabei. Und du kennst die Unterhose des ach so Uninteressanten. Das alles sind eindeutige Zeichen für mich, dass meine Emy sich überhaupt nicht für den Jungen interessiert.« Jetzt schaute Mrs. Laurent zu Emy hoch und lächelte sie an. »Wenn Ethan gestern auf dem Eis noch einen Eishockeyschläger in der Hand gehalten hätte, hätte ich ihn auch mitgenommen.« Emy musste lachen, verschluckte sich dabei, sagte aber trotzdem:
»Mum, es reicht.«
Dr. Bishop und Ethan waren mit dem Taxi von LA nach Santa Monica gefahren. Sie waren etwas eher gelandet und hatten Bescheid gesagt, dass sie mit dem Taxi kommen. Der Wagen bog in die California Ave ein und Ethan hatte das erste Mal seit langer Zeit wieder das Gefühl, sich auf etwas zu freuen. Mums Bruder Joshua, der Onkel von Ethan, war vor vier Wochen nach New York gekommen, um Marcia zu sich zu holen. Er wollte ihn auch mitnehmen. Nach langem Überlegen hatten sich alle geeinigt, dass er in New York bleibt und auch gleich in die neue Schule gehen sollte. Es war sein erstes Jahr auf der neuen High-School und er sollte nicht zu viel Zeit verlieren. Das Taxi bog am Ende der California Ave in die Auffahrt zu Onkel Joshuas Haus ab. Das letzte Grundstück an der Ecke Ocean Ave. Ein wunderschönes großes Haus, mit Blick auf das Meer. Ethan sah seinen Onkel, seine Tante Jenny und seine Schwester am Ende der Auffahrt stehen. Als Marcia das Taxi sah und ihren Vater und ihren Bruder erkannte, riss sie sich los und lief in Richtung Taxi.
»Dad, Dad«, rief sie beim Rennen. »Ethan!« Sie rief den Namen ihres Bruders so laut, dass sich ihre kleine Stimme überschlug. Dr. Bishop rief noch im Taxi sitzend:
»Marcia, Marcia«, obwohl sie ihn gar nicht hören konnte. Dr. Bishop wischte sich, während er das Taxi bezahlte, mit dem Handrücken über sein Gesicht. Ethan hatte die Tür aufgerissen und war losgelaufen. Er kniete sich hin, damit seine Schwester in seine Arme laufen konnte. Marcia ließ sich fallen und schluchzte immer wieder:
»Ich habe so auf euch gewartet.« Er drückte sie fest an sich und streichelte ihren Kopf. Dr. Bishop hatte das Gepäck in der Auffahrt stehen lassen und war zu seinen Kindern gelaufen. Er kniete sich neben beide und nahm sie in den Arm.
»Ihr dürft mich nie wieder alleine lassen, nie wieder«, bat Marcia. Onkel Joshua und Tante Jenny standen ein paar Meter von den drei Bishops entfernt und wischten sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Herzlich willkommen in Kalifornien.« Onkel Joshua versuchte, die Situation zu entspannen. Tante Jenny hatte ihm in den Arm genommen und streichelte über seinen Kopf.
»Lasst uns erst einmal reingehen«, sagte sie. »Ihr müsst doch Hunger haben, oder habt ihr etwa das fürchterliche Flugzeugessen probiert?« Ethan zog die Schultern hoch.
»Eigentlich habe ich keinen Hunger.«
»Ethan, ich habe mit Tante Jenny für euch gekocht.« Marcia zog an seinem Arm, um seine Aufmerksamkeit zu erwecken.
»Na, dann sollten wir aber gleich essen und hoffentlich habt ihr auch genug gekocht«, sagte Dr. Bishop und nahm seine Tochter an die Hand. Die Familie lief langsam den etwas ansteigenden Weg zum Haus hinauf. Und zum ersten Mal seit langer Zeit hatten die Bishops wieder ein Gefühl von Familie.
Das gemeinsame Essen fand auf der Terrasse des Hauses statt. Marcia erzählte, was sie alles in den letzten Wochen erlebte und dass sie schon zwei Freundinnen kennengelernt hatte.
»Eine von den beiden ist auch neu hier und spricht nur Koreanisch. Aber sie ist trotzdem nett.« Ethan hörte den Gesprächen zu und empfand es als angenehm, dass ihn keiner etwas fragte. Er roch den Ozean und genoss den warmen Wind. Er fühlte sich wohl. Gestern bin ich noch Schlittschuh gelaufen und heute sitze ich am Ozean. Er dachte über den Tag nach. Ist das nicht zu viel für einen Tag? Er ließ seine Gedanken schweifen. Und dann Emy. Emy, das Mädchen vom Eis. Ethan dachte das erste Mal wieder an sie. Er lächelte. Er stellte sich vor, wie sie wohl in New York mit ihrer Familie in der Wohnung saß und Weihnachten feierte. Dann erinnerte er sich an die Zeitverschiebung und daran, dass sie ja sehr früh aufgestanden sein musste, um ihm seine Schlittschuhe zu bringen. Hatte er sich ausreichend bedankt bei ihr? Emy, ein kluges, hübsches und witziges Mädchen. Ich werde ihr ein Geschenk mitbringen und ihr es in der Schule geben. Er beschloss das mit einer gewissen Vorfreude.
»Marcia.« Tante Jenny sprach die Kleine direkt an. »Kannst du mir in der Küche helfen und Ethan vielleicht sein Zimmer zeigen?«
»Oh, ja!« Begeistert sprang Marcia auf und rannte los. Sie stoppte, drehte sich um und rief: »Ethan, komm, du schläfst gleich neben meinem Zimmer.« Sie war glücklich, ihren Dad und ihren Bruder wieder bei sich zu haben. Als die Kinder im Haus waren, begann Dr. Bishop, der Reihe nach zu berichten, was sich in den letzten Stunden in New York ereignet hatte. Joshua wollte jedes Detail von der Ankunft seiner Schwester wissen. Er saß etwas nach vorne gebeugt und hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. Seine Frau hatte einen Arm auf seine Schultern gelegt und hörte Dr. Bishop zu. Sie sah die ganze Zeit auf den Ozean hinaus.
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