Emy kniff die Augen zusammen und beobachtete vor allem Ethan.
»Eine der Mitbewohnerinnen sagte dann doch irgendwann, vielleicht sind sie mit dem Pianisten vom Ballettunterricht weg, da eines der Mädchen mit ihm befreundet sei.«
Ethan schaute die ganze Zeit auf den Boden. Mathis hörte seiner Mutter zu, als erfuhr er das, um was es in der Geschichte ging, zum ersten Mal.
»Mittlerweile hatte man die Steuernummer aus dem Büro und konnte feststellen, dass der Pianist Maximilian Laurent sei.«
Emy machte einen Schritt nach vorne.
»Dad?«
Alle schauten Dr. Laurent an. Der blieb aber ganz ruhig, da er den Ausgang der Geschichte kannte.
»Das war gute Polizeiarbeit. Was nicht passte, war, dass in der Arbeitsanmeldung Ethan Bishop stand.«
Dr. Bishop blickte erschrocken zu seinem Sohn.
»Ethan hat über sechs Wochen im Juilliard Klavier für den Ballettunterricht gespielt. Und wie mir heute alle im Juilliard bestätigt haben, hat er das brillant gemacht. Vielleicht sollten wir an der Stelle alle einmal klatschen. Da man aber als Sechzehnjähriger in New York nicht arbeiten darf, können wir auf das Klatschen verzichten. Sonntagmorgen waren dann auch die zwei verschollenen Französinnen wieder da. Die beiden sitzen in einem Flugzeug und sind auf dem Weg nach Frankreich.«
Ethan schaute das erste Mal hoch und sah, dass ihn Emy mit zusammengekniffenen Mund und Augen fixierte.
»Und nun, die Frage aller Fragen, wo waren die Mädchen die ganze Nacht?«
Mathis räusperte sich und fing an zu erzählen.
»Bei Ethan zu Hause. Ich bin dann mit Mathilda in das Gästezimmer gegangen und naja.«
Dr. Bishop drehte sich zu seinem Sohn um.
»Hattest du Sex mit dem Mädchen?«
Ethan zuckte zusammen.
»Also, es ist so, also ja, aber.«
Emy drehte sich um und rannte aus dem Zimmer. Ethan erschrak und bekam Angst. Er fing an, schneller zu atmen und schaute immer wieder zur Tür, durch die Emy gerade verschwunden war. Mathis sah das.
»Ethan hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Das war alles meine Idee.«
Ethan atmete immer noch schwer und kaute auf seinen Lippen. Mrs. Laurent fiel die Unruhe des Jungen auf. Sie ging zu ihm und legte ihre Hand auf seine Schulter.
»Ethan, geh zu Emy.«
Er stand auf und schaute zu seinem Vater. Als der ihm zunickte, verließ Ethan den Raum. Er klopfte an, ging aber, ohne zu warten, in Emys Zimmer. Sie lag mit dem Gesicht nach unten in ihrem Bett und weinte. Als sie ihn bemerkte, setzte sie sich in die Ecke des Bettes, zog ihre Beine an und umklammerte sie mit beiden Armen. Er ging langsam auf sie zu.
»Fass mich ja nicht an. Du bist doch wirklich ein Arschloch. Wenn mir jemand erzählt hätte, was du für einer bist, den hätte ich für verrückt erklärt. Warum hast du das gemacht, Ethan? War es die große Liebe zwischen Chloé und dir? Wie lange wart ihr zusammen? Drei Wochen oder vier?«
Er stand nur da und schaute sie an.
»Also, so war das gar nicht.«
»Ach, wie war es denn dann? Du hast mit ihr geschlafen? Du kanntest sie doch kaum. So etwas machst du nach drei Wochen mit einem Mädchen, welches du kaum kennst?«
»Also, ich, also. Ich war froh, jemanden zu haben. Ich war froh, nicht jeden Abend in der Wohnung zu sitzen und auf den nächsten Tag zu warten. Du hast nicht mehr mit mir gesprochen. Dann war das mit Linda. Ich habe gedacht, du glaubst, ich bin schuld und Linda wollte auch nichts mehr mit mir zu tun haben. Und dann war ich im Juilliard.«
Ihr war ihre Wut anzusehen.
»Im Juilliard? Glaubst du, die lassen dich noch einmal in deinem Leben da vorspielen? Weißt du, was du angerichtet hast? Ist dir das alles so egal?«
Ethan stand immer noch vor dem Bett. Er hob seine Hände wie ein Prediger und wurde laut.
»Ja, ist es mir. Mir ist das Juilliard egal. Mir ist die Schule egal. Mir ist die Stadt egal. Mir ist alles egal. Ich muss weg, bloß weg hier. Es gibt nichts, was mich in dieser verdammten Stadt hält. Ich gehöre hier nicht her. Ich will einfach nur nach Hause. Nach München.«
Sie schüttelte ihren Kopf.
»Ethan, du bist hier geboren. Du bist hier auch aufgewachsen. Deine Familie ist hier. Du hast doch schon Leute kennengelernt. Gib dir doch etwas Zeit.«
»Nein, ich, ich brauche keine Zeit. Ich will weg hier, verstehst du das? Einfach nur weg. Ich wache jeden Tag auf und hoffe, dass er schnell vorbeigeht. Ich halte das hier nicht aus. Und das mit dem Juilliard ist auch wieder vorbei und Chloé ist auch weg. Sie konnte mich verstehen. Jetzt bin ich wieder alleine. Verstehst du nicht, dass ich hier nicht sein kann? Mein Leben ist seit einem halben Jahr wie ein Horrorfilm. Mir ist das hier alles zu viel.«
Sie ließ langsam ihre Beine los. Emy setzte sich auf die Kante ihres Bettes. Sie sah ihn an, der immer unruhiger wurde.
»Ich werde verrückt. Ich will nur weg. Weg aus dieser fucking Stadt, aus dem Land. Ich hasse alles hier und ich bin gar kein richtiger Mensch mehr. Meine Mum fehlt mir. Ich habe keinen mehr, mit dem ich über alles reden kann. Ich bin alleine. In München hatte ich Freunde und ein schönes Leben. Hier ist die Hölle.«
Emy rückte langsam näher zu ihm.
»Ethan, bin ich dir egal?«
»Nein, also, nein, du bist, nein bist du nicht. Aber du bist ja nicht da. Also, ich meine, ich dachte, aber du hast ja deinen Freund und das verstehe ich.«
Emy sah, dass er immer nervöser wurde. Er schrie so laut, dass seine Halsschlagader anschwoll. Ihm liefen Tränen über sein Gesicht. Er beugte sich nach vorne.
»Ich will doch bloß wieder nach Hause. Ich will einfach nur wieder nach Hause. Ich will weg aus dieser Scheißstadt. Ich hasse alles hier. Ich...«
Emy griff nach seiner Hand.
»Ethan, beruhige dich bitte. Jetzt bin ich da.«
»Ja. Aber morgen bin ich wieder alleine. Ich will nicht mehr hier sein, ich will wieder nach München. Aber ich würde jetzt gerne in unsere Wohnung gehen.«
Ihr liefen Tränen über ihr Gesicht. Sie erschrak, wie sehr sie dieser Anblick bewegte.
»Ethan, es tut mir so weh, wenn ich dich so sehe. Ich will nicht, dass du so leiden musst. Ich hatte dir doch gesagt, gib mir Zeit. Du musst mir vertrauen. Ich werde für dich da sein. Ethan, ich werde nur für dich da sein. Das verspreche ich dir. Hab keine Angst, ich werde für dich da sein.«
»Ja Emy, ich, ich, also, ich weiß nicht, was ich, darf ich jetzt bitte gehen?«
»Natürlich kannst du gehen. Wer soll dich denn aufhalten? Setz dich hier hin und ich werde nachschauen, wie weit die anderen sind.«
Emy ging ins Wohnzimmer.
»Ist alles OK, Emy?«
Dr. Laurent war aufgestanden.
»Ja alles OK. Ich bringe Ethan nach Hause.«
»Aber Emy.«
Sie unterbrach ihren Vater, holte tief Luft und wiederholte ganz langsam.
»Ich bringe jetzt Ethan nach Hause.«
Sie drehte sich um und alle schauten sich im Wohnzimmer an.
»Komm, wir gehen.«
Sie zog ihn aus ihrem dem Zimmer. Mathis stand im Flur.
»Soll ich mitgehen?«
Sie legte ihren Kopf zur Seite.
»Geh du mir aus dem Weg. Wenn ich zurück bin, können wir uns gerne unterhalten.«
Zu Fuß war es eine Viertelstunde bis zu Ethan nach Hause, wenn man langsam ging. Der obere Broadway war um die Zeit schon leer. Sie hatte Ethans Hand nicht losgelassen.
»Weißt du, ich frage mich immer, warum ich so an dir kleben geblieben bin.«
Er verstand nicht, was Emy damit sagen wollte. Er wusste auch nicht, ob es eine Frage war und ob er sie beantworten muss.
»Ich sehe das so, Ethan: Ich werde mit Lucas Schluss machen. Bis gestern dachte ich, das muss ich machen, weil ich mit dir zusammen sein will. Heute weiß ich nicht, ob ich mit dir zusammen sein kann.«
Er schaute immer wieder zu ihr, während sie geradeaus blickte und weitersprach.
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