1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 „Ja“, sagt Bruhn.
„Aber das war nichts gegen das erste Jahr hier, als du mir gegenüber auf der anderen Seite die Zelle hattest und ich sah dich morgens. Du hattest nur Hemd und Hose an und setztest den Kübel raus und den Wasserkrug. Und dein Hemd stand offen über der Brust. Dann fingst du an, mir zuzulächeln, und ich hab' immer auf das Schließen gewartet, ob ich dich zu sehen kriegte ... Und dann schicktest du mir den ersten Kassiber ...“
„Ja“, sagt Bruhn, „das war damals noch durch den langen Kalfaktor, den Tietjen, der wegen Raub saß. Der war stiekum, der machte es selber so.“
„Und dann das erste Mal, als du im Duschraum, wie der Wachtmeister sich umdrehte, zu mir unter meine Dusche krochst und wie du dich immer hinter dem Schirm verstecktest, wenn der linste ... Gott, es waren doch manchmal schöne Zeiten hier im alten Bau ...“
„Ja“, sagt Bruhn, „aber ein Mädchen ist doch besser.“
Kufalt besinnt sich: „Siehst du, darum hab' ich mich daran erinnert: wenn wir beide zusammen wären, es ginge gleich wieder los wie früher ...“
„Nein“, sagt Bruhn. „Nicht, wenn Mädchen da sind.“
„Doch“, sagt Kufalt. „Und es soll alles vorbei sein. So schön es gewesen ist, es soll alles vorbei sein. Jetzt geht es ganz neu los, und ich will genau so sein wie alle anderen.“
„Also du gehst bestimmt nach Hamburg?“
„Nach Hamburg, ja, da fragt keiner nach mir.“
„Na schön, bleib bloß fest in Hamburg, Willi. – Gehen wir noch ein Stück?“
„Ja, gehen wir, die Sonne ist schon richtig heiß.“
Der kleine Bruhn sagt: „Dann werde ich also mit Krüger zusammenziehen. Der kommt am 16. Mai raus.“
Kufalt fragt erschrocken: „Hast du den jetzt, Emil? Der ist aber nicht gut.“
„Nein, ich weiß. Er klaut uns noch immer unseren Tabak. Und er hat drei Strafen, weil er Arbeitskollegen bemaust hat.“
„Na also!“
„Aber was soll ich machen? Einen muss ich haben, ganz allein halt' ich's nicht aus. Und die meisten wollen draußen nichts von mir wissen, von wegen Raubmord, weißt du.“
„Aber nicht gerade mit Krüger!“
„Wer kommt denn schon mit mir! Du hast doch auch nein gesagt.“
„Aber doch nicht darum, Emil!“
„Und ich muss auch jemanden haben, der mir hilft, Willi. Ich bin doch elf Jahre im Bunker, ich weiß doch von nichts, Mensch. Manchmal habe ich direkt Angst, ich denke, ich mach' was falsch, und es geht gleich wieder schief und ich sitz' mein' Lebtag drin.“
„Schon darum ginge ich nicht mit Krüger.“
„Also zieh du zu mir.“
„Nein. Ich kann nicht. Ich will nach Hamburg.“
„Dann nehme ich Krüger.“
Eine Weile gehen sie stumm nebeneinander. Dann sagt Bruhn: „Ich muss dich auch noch was fragen, Willi. Du weißt doch mit solchen Sachen Bescheid...“
„Mit was für Sachen?“
„Mit Geld. Mit Sparkassenbüchern.“
„Ein bisschen. Vielleicht.“
„Wenn jemand – also einer hat ein Sparkassenbuch auf meinen Namen und er hat auch die Marke dazu, kann er da Geld abheben darauf? Nicht wahr, das kann er doch nicht?“
„Meistens wird er's können, wenn das Sparbuch nicht gerade gesperrt ist oder es ist Kündigung ausgemacht. Meistens kann er's. Hast du ein Sparbuch?“
„Ja. Nein. Es ist eins angelegt worden für mich...“
„Vor deinem Knast?“
„Nein, hier...“
„Quatsch dich rein aus, Emil, ich halt' schon den Sabbel. Vielleicht kann ich dir was helfen?“
„Ich hab' doch immer in Schuppen drei gearbeitet, erst bei den Möbeltischlern und nachher für die Firma Steguweit die Geflügelställe...“
„Ja?“
„Und dann hat doch Steguweit auf der großen Geflügelausstellung die goldene Medaille gekriegt auf seine Fallennester und musste liefern, noch und noch. Und damit wir ordentlich was fertig kriegten, haben seine Werkmeister uns heimlich Tabak zugesteckt. Das war damals, als im Bau überhaupt noch nicht geraucht werden durfte.“
„Vor meiner Zeit...“
„Ja, und dann kam es raus, es gab einen Riesenkrach, und mit dem Tabak war es alle. Aber sie hatten sich was anderes ausgedacht. Wir hatten ja nun keine Lust mehr, uns das Leder von den Händen zu arbeiten, bloß damit Steguweit Geld verdiente, und schlugen so Nest für Nest zusammen, gerade, dass der Tag hinging. Und da kamen dann die Werkmeister und sagten: ‚Jungens, für jedes Nest, das ihr über fünfzehn abliefert pro Tag und Mann, kriegt ihr zwanzig Pfennig. Und das Geld wird für jeden von euch eingezahlt auf ein Sparkassenbuch mit seinem Namen. Und wenn ihr entlassen seid, dann kommt ihr zu uns und holt euch das Geld ab.’“
„Saubere Sache das! Da wurden Nester fertig?“
„Mensch, ich sage dir! Wir haben Tage gehabt, da haben wir zweiunddreißig, ja, fünfunddreißig pro Nase extra abgeliefert. Na, es war auch Schinderei, meine Pfoten hättest du sehen sollen, das hat was gekostet!“
„Und das Geld ist richtig für dich eingezahlt?“
„Klar. Im ersten Jahre waren schon über zweihundert Mark da. Und im nächsten machte es noch mehr. Jetzt müssen's schon weit über tausend sein.“
„Na, nun verlang doch das Sparbuch. Nimm's ihm einfach weg, wenn er's dir zeigt.“
„Ja, jetzt zeigt er es doch nicht mehr. Ist zu gefährlich, sagt er, riecht sauer, sagt er. Da sind doch eine Masse Leute rausgekommen in der Zeit, und manche haben Krach gemacht und sind zum Direktor gelaufen, weil es zu wenig ist. Und Steguweit hat zum Direktor gesagt, das alles ist Scheißhausparole, so was wie Sparbücher gibt es natürlich überhaupt nicht, weil es nicht zulässig ist vor dem Gesetz, dass Gefangene sich Geld extra verdienen.“
„Es sind doch sicher welche von den Entlassenen wieder reingekommen in der Zeit in den Bau, was haben die denn erzählt?“
„Welche sind, die hat der Steguweit gefragt, wenn sie zu ihm gekommen sind, ob sie träumen, er weiß von Sparbüchern nichts. Und wenn sie gemein geworden sind, dann hat er mit der Polizei gedroht. Manchen, die sehr gebettelt haben, hat er auch zwanzig Mark gegeben und manchen fünfzig, aber was ist das gegen die vielen Hunderter, die sie zu kriegen hatten? Ich hab' allerdings das meiste, ich bin von Anfang an dabei.“
„Und was sagen die Werkmeister?“
„Dass die Kerls schwindeln. Dass die ihr Geld gekriegt haben und dass sie es nur nicht wahrhaben wollen, weil sie es gleich versoffen und verhurt haben.“
„Möglich ist das ja. Das sind doch alles Scheißer, die wieder reinkommen in den Bunker. Aber warum zeigen sie dir das Buch dann nicht? Das ist doch Schwindel, dass sie Angst haben! Du müsstest den Steguweit anzeigen. Aber nee, das ist auch nichts, das lass lieber. Nachher kriegst du noch Knast wegen Erpressung wie der Sethe da an der Mauer.“
„Der hat doch was mit dem Küchenmeister gehabt?“
„Ja. Lass schon, ich seh' rot, wenn ich daran denke. Der käme auch übermorgen raus und muss noch drei Monate abreißen, weil ich den Sabbel nicht gehalten habe. Der brächte mich am liebsten um. Na, lass schon...“
„Ich hab' gedacht“, sagt der kleine Bruhn, „ich geh' am schlausten zum Alten. Der ist doch ein netter Kerl und hilft uns, wenn er kann.“
„Freilich, wenn er kann. Er kann nur nicht, wie er will.“
„Warum soll er nicht können? Er braucht nur jeden Gefangenen in Schuppen drei zu fragen, dann hört er, dass ich die Wahrheit sage.“
„Und wenn er dir auch glaubt, er kann gar nichts machen. Das ist doch was Verbotenes, das Spargeld, und er kann dir doch nicht zu was Verbotenem verhelfen! – Sieh mal, da ist die Sache von dem ollen Sethe drüben, die war ganz sauber, und doch schiebt der Olle Knast dafür noch ein Vierteljahr.“
Sie stehen in einem Winkel. Die Fußballspieler sind müde geworden, liegen an der Mauer in der Sonne, schlafen und rauchen. „Rauchen auch wieder, die Äster“, murrt Kufalt. „Wissen, dass es verboten ist hier vorm Jugendgefängnis. Na, lass sie, übermorgen bin ich in der vierten Stufe, da kann mir piepe sein, was aus der dritten wird. – Also, der olle Sethe, der war Kartoffelschäler für die Küche und saß seine sechs oder acht Jahre im Kartoffelkeller und schälte Kartoffeln. Und jeden Monat einmal meldete er sich zum Arbeitsinspektor, er bäte um andere Arbeit, er wäre nun lange genug im Kartoffelkeller gewesen, möchte auch mal an die Luft. Und immer wurde sein Gesuch abgelehnt. Schließlich kommt er dahinter, dass es der Küchenmeister ist, der den Arbeitsinspektor aufputscht, er soll ihn nicht aus dem Kartoffelkeller rauslassen. Weil Sethe nämlich so viel schafft wie sonst zwei Kartoffelschäler. Das hast du vom vielen Arbeiten hier im Bau.“
Читать дальше