Der Dank der Eltern und auch der Kinder, das war es nun eben, was Herr Peregrinus jedesmal zu vermeiden suchte; er wollte sich daher wie gewöhnlich still davonmachen. Schon war er an der Türe, als diese plötzlich aufging und in dem hellen Schimmer der Weihnachtslichter ein junges, glänzend gekleidetes Frauenzimmer vor ihm stand.
Es tut selten gut, wenn der Autor sich unterfängt, dem geneigten Leser genau zu beschreiben, wie diese oder jene sehr schöne Person, die in seiner Geschichte vorkommt, ausgesehen, was Wuchs, Größe, Stellung, Farbe der Augen, der Haare betrifft, und scheint es dagegen viel besser, demselben ohne diesen Detailhandel die ganze Person in den Kauf zu geben. Genügen würde es auch hier vollkommen, zu versichern, daß das Frauenzimmer, welches dem zum Tode erschrockenen Peregrinus entgegentrat, über die Maßen hübsch und anmutig war, käme es nicht durchaus darauf an, gewisser Eigentümlichkeiten zu erwähnen, die die kleine Person an sich trug.
Klein, und zwar etwas kleiner als gerade recht, war nämlich das Frauenzimmer in der Tat, dabei aber sehr fein und zierlich gebaut. Ihr Antlitz, sonst schön geformt und voller Ausdruck, erhielt aber dadurch etwas Fremdes und Seltsames, daß die Augäpfel stärker waren und die schwarzen, feingezeichneten Augenbrauen höher standen, als gewöhnlich. Gekleidet oder vielmehr geputzt war das Dämchen, als käme es soeben vom Ball. Ein prächtiges Diadem blitzte in den schwarzen Haaren, reiche Kanten bedeckten nur halb den vollen Busen, das lila und gelb gegatterte Kleid von schwerer Seide schmiegte sich um den schlanken Leib und fiel nur in Falten so weit herab, daß man die niedlichsten weißbeschuhten Füßchen erblicken konnte, sowie die Spitzenärmel kurz genug waren und die weißen Glacéhandschuhe nur so weit hinaufgingen, um den schönsten Teil des blendenden Arms sehen zu lassen. Ein reiches Halsband, brillantne Ohrgehenke vollendeten den Anzug.
Es konnte nicht fehlen, daß der Buchbinder ebenso bestürzt war als Herr Peregrinus, daß die Kinder von ihren Spielsachen abließen und die fremde Dame angafften mit offnem Munde; wie aber die Weiber am wenigsten über irgend etwas Seltsames, Ungewöhnliches zu erstaunen pflegen und sich überhaupt am geschwindesten fassen, so kam denn auch des Buchbinders Frau zuerst zu Worten und fragte, was der schönen fremden Dame zu Diensten stehe.
Die Dame trat nun vollends in das Zimmer, und diesen Augenblick wollte der beängstete Peregrinus benutzen, um sich schnell davon zu machen; die Dame faßte ihn aber bei beiden Händen, indem sie mit einem süßen Stimmchen lispelte: »So ist das Glück mir doch günstig, so habe ich Sie doch ereilt! – O Peregrin, mein teurer Peregrin, was für ein schönes, heilbringendes Wiedersehen!« –
Damit erhob sie die rechte Hand so, daß sie Peregrins Lippen berührte und er genötigt war, sie zu küssen, unerachtet ihm dabei die kalten Schweißtropfen auf der Stirne standen. – Die Dame ließ nun zwar seine Hände los, und er hätte entfliehen können, aber gebannt fühlte er sich, nicht von der Stelle konnte er weichen, wie ein armes Tierlein, das der Blick der Klapperschlange festgezaubert. – »Lassen Sie,« sprach jetzt die Dame, »lassen Sie mich, bester Peregrin, an dem schönen Fest teilnehmen, das Sie mit edlem Sinn, mit zartem innigem Gemüt frommen Kindern bereitet, lassen Sie mich auch etwas dazu beitragen.«
Aus einem zierlichen Körbchen, das ihr am Arme hing, und das man jetzt erst bemerkte, zog sie nun allerlei artige Spielsachen hervor, ordnete sie mit anmutiger Geschäftigkeit auf dem Tische, führte die Knaben heran, wies jedem, was sie ihm zugedacht, und wußte dabei mit den Kindern so schön zu tun, daß man nichts Lieblicheres sehen konnte. Der Buchbinder glaubte, er läge im Traum, die Frau lächelte aber schalkisch, weil sie überzeugt war, daß es mit dem Herrn Peregrin und der fremden Dame wohl eine besondere Bewandtnis haben müsse.
Während nun die Eltern sich wunderten und die Kinder sich freuten, nahm die fremde Dame Platz auf einem alten gebrechlichen Kanapee und zog den Herrn Peregrinus Tyß, der in der Tat beinahe selbst nicht mehr wußte, ob er diese Person wirklich sei, neben sich nieder. »Mein teurer,« begann sie dann leise ihm ins Ohr lispelnd, »mein teurer lieber Freund, wie froh, wie selig fühle ich mich an deiner Seite.« – »Aber,« stotterte Peregrinus, »aber mein verehrtestes Fräulein« – doch plötzlich kamen, der Himmel weiß wie, die Lippen der fremden Dame den seinigen so nahe, daß, ehe er daran denken konnte, sie zu küssen, sie schon geküßt hatte; und daß er darüber die Sprache aufs neue und gänzlich verlor, ist zu denken.
»Mein süßer Freund,« sprach nun die fremde Dame weiter, indem sie dem Peregrinus so nahe auf den Leib rückte, daß nicht viel daran gefehlt, sie hätte sich auf seinen Schoß gesetzt, »mein süßer Freund! ich weiß, was dich bekümmert, ich weiß, was heute abend dein frommes kindliches Gemüt schmerzlich berührt hat. Doch! – sei getrost! – Was du verloren, was du jemals wieder zu erlangen kaum hoffen durftest, das bring' ich dir.«
Damit holte die fremde Dame aus demselben Körbchen, in dem sich die Spielsachen befunden hatten, eine hölzerne Schachtel hervor und gab sie dem Peregrin in die Hände. Es war die Hirsch- und wilde Schweinsjagd, die er auf dem Weihnachtstische vermißt. Schwer möcht' es fallen, die seltsamen Gefühle zu beschreiben, die in Peregrins Innerm sich durchkreuzten.
Hatte die ganze Erscheinung der fremden Dame, aller Anmut und Lieblichkeit unerachtet, dennoch etwas Spukhaftes, das auch andere, die die Nähe eines Frauenzimmers nicht so gescheut, als Peregrin, recht durch alle Glieder fröstelnd empfunden haben würden, so mußte ja dem armen, schon genug geängsteten Peregrin ein tiefes Grauen anwandeln, als er gewahrte, daß die Dame von all dem, was er in der tiefsten Einsamkeit begonnen, auf das genaueste unterrichtet war. Und mitten in diesem Grauen wollte sich, wenn er die Augen aufschlug und der siegende Blick der schönsten schwarzen Augen unter den langen seidenen Wimpern hervorleuchtete, wenn er des holden Wesens süßen Atem, die elektrische Wärme ihres Körpers fühlte – doch wollte sich dann in wunderbaren Schauern das namenlose Weh eines unaussprechlichen Verlangens regen, das er noch nicht gekannt! Dann kam ihm zum erstenmal seine ganze Lebensweise, das Spiel mit der Weihnachtsbescherung kindisch und abgeschmackt vor, und er fühlte sich beschämt, daß die Dame darum wußte; und nun war es ihm wieder, als sei das Geschenk der Dame der lebendige Beweis, daß sie ihn verstanden, wie niemand sonst auf Erden, und daß das innigste tiefste Zartgefühl sie gelenkt, als sie ihn auf diese Weise erfreuen wollen. Er beschloß, die teure Gabe ewig aufzubewahren, nie aus den Händen zu lassen, und drückte, fortgerissen von einem Gefühl, das ihn ganz übermannt, die Schachtel, worin die Hirsch- und wilde Schweinsjagd befindlich, mit Heftigkeit an die Brust. – »O,« lispelte das Dämchen, »o des Entzückens! – Dich erfreut meine Gabe! o mein herziger Peregrin, so haben mich meine Träume, meine Ahnungen nicht getäuscht!« –
Herr Peregrinus Tyß kam etwas zu sich selbst, so daß er imstande war, sehr deutlich und vernehmlich zu sprechen: »Aber mein bestes, hochverehrtes Fräulein, wenn ich nur in aller Welt wüßte, wem ich die Ehre hätte« –
»Schalkischer Mann,« unterbrach ihn die Dame, indem sie ihm leise die Wange klopfte, »schalkischer Mann, du stellst dich gar, als ob du deine treue Aline nicht kenntest! – Doch es ist Zeit, daß wir hier den guten Leuten freien Spielraum lassen. Begleiten Sie mich, Herr Tyß!« –
Als Peregrinus den Namen Aline hörte, mußte er natürlicherweise an seine alte Aufwärterin denken, und es war ihm nun vollends, als drehe sich in seinem Kopfe eine Windmühle.
Читать дальше