1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 »Mit achttausend Francs kann man allerhand anfangen«, versetzte er. »Du beklagst dich immerzu. Aber du hättest den Haushalt nicht auf eine Ebene stellen sollen, die unsere Verhältnisse übersteigt. Es ist eine Krankheit von dir, Gesellschaften zu geben und Besuche zu machen, einen Empfangstag einzurichten, Tee und Kuchen zu reichen ...«
Sie ließ ihn nicht ausreden.
»Da haben wirʼs also! Sperr mich doch gleich in einen Kasten! Wirf mir vor, daß ich nicht splitternackt ausgehe ... Und deine Töchter, mein Lieber, wen sollen sie denn heiraten, wenn wir mit niemand verkehren? Viele Leute sind es sowieso schon nicht ... Opfere du dich doch mal auf und laß dich hinterher dann mit so einer Niedertracht beurteilen!«
»Alle haben wir uns aufgeopfert, meine Liebe. Léon hat vor seinen Schwestern zurücktreten müssen; und er hat das Haus verlassen, weil er nur noch auf sich selbst angewiesen war. Was Saturnin, das arme Kind, betrifft, so kann er nicht einmal lesen ... Ich selbst verzichte auf alles, ich verbringe die Nächte mit ...«
»Warum hast du Töchter gemacht, mein Lieber? – Du willst ihnen doch nicht etwa ihre Ausbildung vorwerfen? Ein anderer Mann an deiner Stelle würde sich des Lehrerinnendiploms von Hortense und der Talente von Berthe rühmen, die heute abend wieder einmal alle Welt mit ihrem Walzer ›An den Ufern der Oise‹ hingerissen hat und deren neuestes Bild morgen bestimmt unsere Gäste bezaubern wird ... Aber du, mein Lieber, du bist nicht einmal ein Vater, du hättest deine Kinder die Kühe hüten geschickt, statt sie in ein Pensionat zu stecken.«
»Ach was! Ich hatte ja für Berthe eine Versicherung abgeschlossen. Warst nicht du es, meine Liebe, die bei der vierten Prämienzahlung das Geld dazu verwendet hat, die Möbel des Salons neu beziehen zu lassen? Und inzwischen hast du sogar die eingezahlten Prämien verschachert.«
»Stimmt! Wo du uns ja verhungern läßt ... Na, du kannst dir ja in die Finger beißen, wenn deine Töchter alte Jungfern werden.«
»Mir in die Finger beißen! Aber zum Himmeldonnerwetter, mit deinen Toiletten und deinen lächerlichen Abendgesellschaften schlägst ja gerade du die Bewerber in die Flucht!« Noch nie war Herr Josserand so weit gegangen.
Erstickt stammelte Frau Josserand die Worte: »Ich, lächerlich, ich!«
Da öffnete sich die Tür: Hortense und Berthe kamen zurück, in Unterrock und Unterjacke, mit aufgelöstem Haar, die Füße in Latschen.
»Oje, bei uns ist es aber kalt!« sagte Berthe bibbernd. »Da gefrieren einem ja die Bissen im Munde ... Hier ist heute abend wenigstens Feuer gemacht worden.«
Und beide zogen Stühle heran, setzten sich an den Ofen, der einen Rest lauer Wärme bewahrte. Hortense hielt mit den Fingerspitzen ihren Kaninchenknochen, den sie kunstvoll abknabberte. Berthe tunkte Brotschnitten in ihr Glas Fruchtsaft. Im übrigen schienen die in Fahrt gekommenen Eltern ihr Eintreten nicht einmal zu bemerken. Sie zankten sich weiter.
»Lächerlich, lächerlich, mein Lieber! Lächerlich, das werde ich nicht länger sein! Den Kopf soll man mir abhacken, wenn ich noch ein Paar Handschuhe abnutze, um die Mädchen unter die Haube zu bringen ... Jetzt bist du dran! Und sieh zu, daß du dich nicht noch lächerlicher machst als ich!«
»Bei Gott noch mal, meine Liebe! Jetzt, wo du sie überall herumgeführt und bloßgestellt hast! Bringe sie unter die Haube oder nicht, mir ist das schnuppe!«
»Mir ist das noch mehr schnuppe, mein lieber Josserand! Mir ist das so schnuppe, daß ich sie auf die Straße setzen werde, wenn du mir noch länger zusetzt. Falls du nur im geringsten Lust hast, kannst du ihnen ja folgen, die Tür steht offen ... Ach, Herrgott! Da wäre ich eine schöne Last los!«
Die jungen Damen hörten seelenruhig zu, sie waren an diese lebhaften Auseinandersetzungen gewöhnt. Sie aßen immer noch, und da die Unterjacken ihnen von den Schultern gerutscht waren, rieben sie ihre nackte Haut sacht an den lauwarmen Kacheln des Ofens; und so schamlos entblößt, wirkten sie bezaubernd in ihrer Jugend, mit ihrem Heißhunger und ihren schlaftrunkenen Augen.
»Es ist sehr verkehrt von euch, daß ihr euch streitet«, sagte Hortense schließlich mit vollem Mund. »Mama kriegt vor Kummer graue Haare, und Papa wird morgen im Büro noch krank sein ... Mir scheint, wir sind groß genug, um uns allein unter die Haube bringen zu können.«
Das gab eine Ablenkung. Der Vater, der mit seinen Kräften am Ende war, tat so, als mache er sich wieder an seine Streifbänder; und er verharrte mit der Nase über dem Papier, weil er nicht imstande war zu schreiben, so sehr zitterten ihm die Hände.
Unterdessen hatte sich die Mutter, die wie eine losgelassene Löwin im Zimmer umherlief, vor Hortense aufgepflanzt.
»Wenn du dich meinst«, schrie sie, »dann bist du ganz schön blöd! Dein Verdier wird dich niemals heiraten.«
»Das ist ja meine Sache«, erwiderte das junge Mädchen unumwunden.
Nachdem sie fünf oder sechs Freier – einen kleinen Angestellten, den Sohn eines Schneiders, andere Burschen, die ihrer Meinung nach keine Zukunftsaussichten hatten – voller Verachtung abgewiesen, hatte sie sich für einen Rechtsanwalt entschieden, den sie bei Dambrevilles getroffen hatte und der bereits vierzig Jahre alt war. Sie hielt ihn für sehr tüchtig, dazu ausersehen, ein großes Vermögen zu erwerben. Das Unglück dabei aber war, daß Verdier seit fünfzehn Jahren mit einer Geliebten zusammen lebte, die in seinem Stadtviertel sogar für seine Frau galt. Hortense wußte es übrigens und zeigte sich deswegen nicht sonderlich beunruhigt.
»Mein Kind«, sagte der Vater, erneut den Kopf hebend, »ich hatte dich doch gebeten, nicht an diese Verbindung zu denken ... Du kennst die Lage ja.«
Für einen Augenblick hörte sie auf, an dem Kaninchenknochen herumzulutschen, und erwiderte ungeduldig:
»Na und? Verdier hat mir versprochen, ihr den Laufpaß zu geben. Sie ist eine dumme Pute.«
»Hortense, es ist verkehrt von dir, so zu sprechen ... Wenn dieser Bursche nun eines Tages auch dir den Laufpaß gibt, um zu der zurückzukehren, von der er sich deinetwegen getrennt hat?«
»Das ist ja meine Sache«, wiederholte das junge Mädchen in ihrer kurz angebundenen Art.
Berthe hörte zu, sie war in diese Geschichte eingeweiht, deren mögliche Wendungen sie täglich mit ihrer Schwester erörterte. Im übrigen stand sie wie ihr Vater auf der Seite der armen Frau, die nach fünfzehn Jahren gemeinschaftlichen Lebens auf die Straße gesetzt werden sollte.
Aber Frau Josserand griff ein.
»Hört bloß auf! Diese elenden Geschöpfe landen schließlich doch immer wieder in der Gosse. Allerdings wird Verdier ja doch nie die Kraft aufbringen, sich von ihr zu trennen ... Er hält dich zum Narren, meine Liebe. Ich an deiner Stelle würde keine Sekunde auf ihn warten, ich würde mich bemühen, einen anderen zu finden.«
Hortenses Stimme wurde noch schriller, während zwei fahle Flecken auf ihre Wangen traten.
»Mama, du weißt ja, wie ich bin ... Ich will ihn haben, und ich werde ihn kriegen. Niemals werde ich einen anderen heiraten, und wenn ich hundert Jahre auf ihn warten müßte.«
Die Mutter zuckte die Achseln.
»Und du schimpfst andere dumme Puten!«
Aber das junge Mädchen hatte sich bebend erhoben.
»Ach was, fall nicht über mich her!« schrie sie. »Ich bin mit meinem Kaninchen fertig, ich gehe lieber schlafen ... Da es dir ja nicht gelingt, uns unter die Haube zu bringen, mußt du uns eben gestatten, daß wir es so machen, wie es uns beliebt.« Und sie zog sich zurück, sie schlug heftig die Tür hinter sich zu.
Frau Josserand hatte sich majestätisch zu ihrem Gatten umgewandt. Sie gab folgende tiefsinnige Bemerkung von sich:
»Da siehst du, mein Lieber, wie du deine Töchter erzogen hast!«
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