Ein feines Haus
Emile Zola
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Inhaltsverzeichnis
Impressum Impressum Instagram: mehrbuch_verlag Facebook: mehrbuch_verlag Public Domain (c) mehrbuch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntess Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebenzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
In der Rue Neuve-Saint-Augustin wurde die mit drei Koffern beladene Droschke, mit der Octave vom Gare de Lyon1 kam, durch ein Wagengedränge aufgehalten. Trotz der schon empfindlichen Kälte dieses trüben Novembernachmittags ließ der junge Mann ein Wagenfenster herunter. Er war überrascht über den jähen Einbruch der Dunkelheit in diesem Stadtviertel mit den zu engen, über und über von Menschen wimmelnden Straßen. Die Flüche der Kutscher, die auf die schnaubenden Pferde einhieben, das unaufhörliche Ellbogengestoße auf den Bürgersteigen und die dichtgedrängte Reihe der von Verkäufern und Kunden überquellenden Läden machten ihn ganz benommen; er hatte sich Paris sauberer vorgestellt, und er war auch nicht auf einen so tollen Betrieb gefaßt gewesen; er fühlte, daß diese Stadt den Begierden handfester Kerle offenstand.
Der Kutscher hatte sich herabgebeugt.
»Es ist doch in der Passage Choiseul?«
»Nicht doch, in der Rue de Choiseul ... Ein neues Haus, glaube ich.«
Und die Droschke brauchte nur um die Ecke zu biegen; es war das zweite Haus, ein großes vierstöckiges Haus, dessen steinerne Front inmitten des rostfarbenen Putzes der alten Nachbarfassaden eine kaum gerötete Blässe bewahrte. Octave war ausgestiegen und stand auf dem Bürgersteig, er musterte das Haus mit einem mechanischen abschätzenden Blick, vom Seidenwarengeschäft im Erdgeschoß und im Zwischenstock bis hinauf zu den zurücktretenden Fenstern im vierten Stock, die auf einen schmalen Altan gingen. Im ersten Stock stützten Frauenköpfe einen Balkon mit reich verziertem Gußeisengeländer. Die Fenster hatten verschnörkelte Einfassungen, die grob nach Schablonen herausgemeißelt waren; und unten entrollten über der mit Zierat noch mehr überladenen Toreinfahrt zwei Amoretten eine Zierleiste, auf der die Hausnummer stand, die nachts von einer innen angebrachten Gaslampe erleuchtet wurde.
Ein dicker blonder Herr, der aus dem Hausflur trat, blieb plötzlich stehen, als er Octave erblickte.
»Was! Sie sind schon da?« rief er. »Aber ich habe erst morgen mit Ihnen gerechnet!«
»Ja, ich bin einen Tag früher aus Plassans abgereist«, erwiderte der junge Mann. »Hat es denn mit dem Zimmer noch nicht geklappt?«
»O doch ... Ich habe es seit vierzehn Tagen gemietet und habʼs sofort eingerichtet, wie Sie mich gebeten haben. Einen Augenblick, ich werde Sie gleich hinbringen.« Trotz Octaves Einwendungen kehrte er ins Haus zurück.
Der Kutscher hatte die drei Koffer abgeladen. In der Conciergeloge2 stand ein würdevoller Mann mit langem, glattrasiertem Diplomatengesicht und überflog gewichtig den »Moniteur3«. Er geruhte jedoch, sich um diese Koffer zu kümmern, die man vor seiner Tür absetzte; und herzutretend fragte er seinen Mieter, den Architekten aus dem dritten Stock, wie er ihn zu nennen pflegte: »Herr Campardon, ist das der Betreffende?«
»Ja, Herr Gourd, das ist Herr Octave Mouret, für den ich das Zimmer im vierten Stock gemietet habe. Er wird dort oben nur schlafen und wird bei uns essen ... Herr Mouret ist ein Freund der Eltern meiner Frau, den ich Ihnen ans Herz lege.«
Octave betrachtete die mit Platten aus Stuckmarmor verkleidete Einfahrt, deren Deckengewölbe mit Rosetten geschmückt war. Der gepflasterte und auszementierte Hof im Hintergrund machte einen vornehmen, kalt-sauberen Eindruck; nur ein Kutscher rieb an der Stalltür mit einem Fell eine Kandare ab. Offenbar drang die Sonne niemals bis dort hinunter.
Unterdessen musterte Herr Gourd die Koffer. Er stieß mit dem Fuß dagegen, wurde in Anbetracht ihres Gewichts ganz eifrig zuvorkommend und sprach davon, einen Dienstmann zu holen, der sie über den Dienstbotenaufgang hinaufschaffen solle.
»Ich gehe fort, Frau«, rief er in die Conciergeloge hinein.
Diese Loge war ein kleiner Salon mit hellen Spiegelscheiben, der mit einem rotgeblümten Plüschteppich und Palisandermöbeln ausgestattet war; und durch eine halboffene Tür gewahrte man eine Ecke des Schlafzimmers, ein mit granatfarbenen Ripsvorhängen versehenes Bett. Die sehr üppige Frau Gourd, die eine Haube mit gelben Bändern aufhatte, saß lang ausgestreckt, die Hände nichtstuerisch gefaltet, in einem Sessel.
»Gut, gehen wir hinauf«, sagte der Architekt. Und als er die Mahagonitür des Hausflurs aufstieß und sah, welchen Eindruck Herrn Gourds schwarzes Samtkäppchen und seine himmelblauen Pantoffeln auf den jungen Mann gemacht hatten, setzte er hinzu: »Wissen Sie, er ist der ehemalige Kammerdiener des Herzogs von Vaugelade.«
»Aha!« machte Octave lediglich.
»Jawohl, und er hat die Witwe eines kleinen Gerichtsvollziehers aus Mort-la-Ville geheiratet. Da draußen besitzen sie sogar ein Haus. Aber sie warten, bis sie über dreitausend Francs Jahreszinsen verfügen, um sich dorthin zurückziehen zu können ... Oh, sehr anständige Conciergeleute!«
Hausflur und Treppe waren von schreiendem Luxus. Unten trug eine weibliche Figur, eine Art Neapolitanerin, die über und über vergoldet war, eine Amphora4 auf dem Kopf, aus der drei mit Mattglasglocken versehene Gasarme herausragten. Die weißen, rosa eingefaßten Stuckmarmorplatten stiegen in dem runden Treppenhaus regelmäßig empor; das mit Mahagoniholz belegte gußeiserne Treppengeländer wirkte wie Altsilber, das mit goldenem Blättergewirr verziert war. Die Stufen bedeckte ein von kupfernen Stangen festgehaltener roter Läufer. Was Octave aber beim Eintreten besonders beeindruckte, war eine Treibhauswärme, ein lauer Atem, den ihm ein Heizungsloch gleich einem Mund ins Gesicht blies.
»Nanu!« sagte er. »Die Treppe ist geheizt?«
»Aber natürlich«, erwiderte Campardon. »Das lassen sich heutzutage alle Hausbesitzer etwas kosten, die was auf sich halten ... Das ist ein sehr feines Haus, ein sehr feines ...« Er wandte sich um, als durchforsche er die Mauern des Hauses mit dem Kennerblick eines Architekten. »Sie werden ja sehen, mein Lieber, es ist ein durch und durch feines Haus ... Und ausschließlich von feinen Leuten bewohnt!«
Während sie nun langsam hinaufstiegen, nannte er die Namen der Mieter. In jedem Stockwerk waren zwei Wohnungen, die eine lag zur Straße, die andere zum Hof zu, und ihre polierten Mahagonitüren lagen einander gegenüber. Zunächst sagte er kurz ein paar Worte über Herrn Auguste Vabre: das war der älteste Sohn des Hausbesitzers; im Frühjahr hatte er das Seiden Warengeschäft im Erdgeschoß übernommen, und er bewohnte auch den ganzen Zwischenstock. Im ersten Stock hatte sodann der andere Sohn des Hausbesitzers, Herr Théophile Vabre, mit seiner Gattin die Hofwohnung inne, und die Vorderwohnung hatte der Hausbesitzer selbst, ein ehemaliger Notar aus Versailles, der übrigens bei seinem Schwiegersohn, Herrn Duveyrier, dem Appellationsgerichtsrat, wohnte.
»Ein toller Bursche, und noch keine fünfundvierzig Jahre alt«, sagte Campardon und blieb einen Augenblick stehen. »Ganz nett, was?« Er stieg zwei Stufen höher, drehte sich jäh um und setzte hinzu: »Wasser und Gas in allen Stockwerken.«
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