Kapitel 3 Normaler Friseusen - Alltag
Sie traf sich am nächsten Tag mit Cornelia, um einen Kaffee zu trinken, bevor sie zur Arbeit gingen. Sie hatte diesen nach ihrer beinahe schlaflosen Nacht bitter nötig. Schnell war sie unter die Dusche gesprungen und hatte sich angezogen. Die Uhr zeigte 9:00, um 10:00 würden sie ihren Dienst antreten, damit beginnen, nette, lästige hübsche, hässliche, meckernde und anspruchsvolle, sowie anspruchslose Kunden zu bedienen, wobei letztere im 1. Bezirk sehr selten verkehrten. Immerhin besuchten diesen Stadtteil Wiens für ihren Haarstyle nur Leute, die auch die finanziellen Mittel besaßen, um sich dort aufzuhalten: Ein Haarschnitt mit Waschen und Föhnen kostete bei Die fliegende Schere mit allem Drum und Dran 65 Euro für langes Haar, 40 für kurzes und 50 für mittellange Frisuren. Die Gestaltung des Hauptes war für jeden, und besonders für die anspruchsvollen Kunden dieses Salons ein wichtiges Muss, um ihre Persönlichkeit auszudrücken, sei es um weiße Haare zu kaschieren, kahle Stellen zu verdecken, mehr Fülle ins Haar zu zaubern oder die richtige Pflege- und Typberatung zu erhalten.
Oft war es Casmy und Conny durchaus bewusst, wie sinnlos eine reichhaltige Pflegekur oder ein feuchtigkeitsspendendes Shampoo sein konnten, wenn jene Produkte nur im Salon am Kunden angewandt wurden, denn zuhause würden die meisten von ihnen irgendwelche billigen Marken verwenden, von denen die Werbung im Fernsehen versprach, was sie nicht halten konnte. An dieser Stelle spürten sie den Geiz ihrer Besucher, weil sie sich schließlich doch nicht mehr leisten wollten, als sie unbedingt brauchten. Aber Friseure mussten natürlich finanziell tragbar sein, somit ließen die beiden keine Möglichkeit aus, um verschiedenste Dienstleistungen und Produkte zu verkaufen, das gab ihnen nebenbei noch eine große Menge Selbstvertrauen, sofern der Verkauf glückte.
Der Kaffee schmeckte Casmilda nicht, billiges Zeug aus dem Automaten. Eine Brühe aus frisch gemahlenen Bohnen ohne Milch wäre ihr nun sehr angenehm gewesen. Sie saßen unten in der Eingangshalle und starrten jeder für sich gedankenverloren in ihre Plastikbecher. Conny hatte Ringe unter den Augen.
Ihre Fönfrisur saß sehr schlecht. Diese war auch einigermaßen hektisch erstellt worden: die Haare wurden lange vorgetrocknet, bis sie beinahe zu fliegen begannen, dann die Bürsten ungenau im Haar angebracht, wobei dieses stellenweise noch Feuchtigkeit aufwies, um dann eine Viertelstunde lang mit letztendlichem Erfolg zu versuchen, die Mähne aus den Stylinghelfern zu befreien. Ein wenig Haarspray sollte den Look vervollkommnen. Mit dieser missglückten Tortur sah sie nicht sonderlich professionell aus, aber es kümmerte sie nicht. Die ganze Nacht hatte sie an Daniel gedacht. Ihn machte sie auch für das heutige Desaster auf ihrem Kopf verantwortlich. Würde er nicht mit immenser Deutlichkeit in ihrem Kopf herumspuken , hätte sie sich beim Föhnen besser konzentrieren können. Ansonsten saß die Aufmachung ihres Hauptes immer perfekt und glänzend. Doch eines hatte sie von ihm gelernt: eine zwischenmenschliche Beziehung der Liebe konnte zwar zeitlich kurz sein, doch geistig gleichzeitig ewig dauern – letzteres da Conny beschloss, an Kleinigkeiten krampfhaft festzuhalten. Doch wie lange soll ich ihm noch hinterhertrauern?, fragte sie sich traurig, und nippte an ihrem billigen Instantkaffee. All ihre anderen Beziehungen hatten auch nur kurzweilig gehalten, und sie hatte sich schnell von ihrem Kummer erholt, aber Daniel hatte eine besonders sensible natürliche Art an sich, die sie immer noch begeisterte, obwohl sie sich dies in ihrer Ablehnung gegen ihn kaum eingestehen wollte.
Geistesabwesend meinte Casmilda: „ Ach ja, dein Ex-Freund hat einen Termin bei dir, heute Abend. Das hat er mir bei JFM erzählt.“
„Davon hast du mir bereits vor 5 Minuten berichtet. Diese unangenehme Tatsache hatte ich erfolgreich verdrängt. Vielen Dank für die Erinnerung, du aufweckende Glocke!“, schnippte Cornelia und zog entnervt eine Augenbraue hoch. Casmilda zuckte gleichgültig mit den Achseln. Sie zog sich in ihre eigene Welt zurück.
Conny schwelgte wiederum in ihren Gedanken, als Casmy sie aufforderte zu gehen, sie müssten sich startklar machen, und sie sollten pünktlich sein. Cornelia bewunderte die Strenge ihrer Freundin, doch sie wollte noch ein bisschen träumen, also dachte sie an die letzte Nacht. Sie hatte sich mit ihrem Dildo befriedigt, mit hektischen Bewegungen, die aus ihrer Verzweiflung rührten, um sich von ihrem Liebeskummer abzulenken. Doch es war eben etwas anderes als Daniel’s angenehmer, mit Blut gefüllter, steifer Penis. Dieser überstieg die Qualität eines billigen Imitats aus Gummi oder Latex, er bestand aus purem Fleisch, und strotzte nur so vor Potenz. Sie hatte an ihre gemeinsamen sexuellen Erlebnisse gedacht, als sie den Dildo verwendete. Und an jenem Dienstag sollte sie ihm die Haare schneiden. Was er sich wohl nur dabei gedacht hat?, dachte Conny erbost, und knirschte mit den Zähnen. Dieser gemeine Kerl will ausgerechnet jetzt meine Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, wobei er sich sicher vorstellen kann, wie ich momentan auf ihn zu sprechen bin. Soll Marco doch den Termin für mich übernehmen, spann sie ihre Gedanken erzürnt weiter und drückte wütend auf einem vermeintlichen Pickel auf ihrem Hals herum. Doch Marco würde zur selben Zeit laut Kalender mit dem Wickeln einer Volumenwelle beschäftigt sein, die anstrengende Frau Petschobitz, und Casmy musste die letzten 5 Haare der gnädigen Frau Windigbüst mit all ihrer magischen Friseusen-Zauberkraft in 15 Haare verwandeln. Somit musste sich Cornelia wohl ihrem Schicksal fügen. Sie trank ihren Kaffee aus und ging gemeinsam mit Casmilda zur U-Bahn.
Diese fuhr wenige Minuten später gemächlich in der Station ein und sie wählten einen Platz in einem der hintersten Waggons. Auch Casmilda fiel es wie Cornelia schwer, sich gedanklich auf den bevorstehenden Arbeitstag einzulassen, da sie unentwegt an Valetta dachte. Stirnrunzelnd schob sie sich eine imaginäre Haarsträhne hinters Ohr. Dann beschloss sie, sich selbst ein wenig abzulenken. Immerhin hatten die beiden kein einziges Wort über ihr jeweiliges Empfinden ausgetauscht, wobei dieses Gespräch normalerweise ihr Morgenritual darstellte. Sie sprach ihre Freundin offen und ehrlich auf die Situation mit Daniel an, da sie lieber Conny helfen wollte, anstatt sich um ihre eigene Problematik mit Valy zu kümmern.
„Wie stehst du momentan zu Daniel?“, fragte sie gedankenverloren, als Marco und Valetta abwechselnd in ihrem Kopf herumspukten.
„Er ist ein Mistkerl, wenn du´s genau wissen willst,“ meinte Conny, wobei sie ihrer Stimme ein erzürntes Flüstern verlieh, und ihre Augen zu Schlitzen verzog. „Warum fragst du? Ich habe vorhin nicht sonderlich optimistisch reagiert, als du mich an den Termin erinnert hast. Das sagt doch alles, oder?“
Casmilda nickte beschwichtigend. Conny verschränkte die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster. Der Fahrtwind drang zu ihr herein und tat ihr gut. Sie schwiegen. Dennoch glaubte Casmilda, Conny helfen zu können. Anstatt jedoch Kritik zu üben, begann sie, sie ihr konkrete psychologische Fragen zu stellen, damit hatte ihr Gegenüber vielleicht die Möglichkeit, sich gedankliche Klarheit zu verschaffen.
Casmilda räusperte sich, und wartete, bis Conny ihren Blick auf sie gerichtet hatte.
„Wie intensiv war euer Sexualleben?“
Eine naivere Frage war ihr leider nicht eingefallen. In 3 Wochen konnte sie wohl kein intensives Sexualleben gehabt haben, zumindest keines, das von großartigem Vertrauen begleitet wurde, ging es Casmilda durch den Kopf, sobald sie die Worte ausgesprochen hatte. Cornelia runzelte verständnislos die Stirn.
„Wie bitte? Wie kommst du auf solch eine dumme Frage?“ Jetzt war Conny wirklich gereizt, stemmte empört die Hände in die Hüften.
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