»Das ist ja wohl was ganz anderes«, entgegnete Wesley.
»Ach, ja?«, höhnte sie. »Es ist wohl immer was ganz anderes, was ihr Männer macht, nicht wahr? Vielleicht findest du es ja auch vollkommen in Ordnung, dass man mich entführt, vergewaltigt und halb totgeschlagen hat, wie? Und dann … na klar, ich muss ja auch noch selbst schuld sein … Vermutlich habe ich die Kerle ja noch dazu animiert mir ins Gesicht zu schlagen und mich mit Gewalt zu nehmen! … Die Schweine haben nichts ausgelassen!«
»Aber, Fedora, nein, natürlich nicht. Bitte verzeih' mir, aber ich muss ständig daran denken, was sie mit dir gemacht haben, weißt du. Ich will es nicht, ehrlich, aber ich muss es. Es ist schrecklich!«
Sie war aschfahl geworden. »Ja, Wesley, glaubst du denn wirklich, ich müsste das nicht? Oh, mein Gott! Ich kann keine Nacht mehr ruhig schlafen. Immer träume ich, dass sie sich wieder über mich hermachen … durchlebe jede einzelne Sekunde!« Schluchzend ließ sie sich auf das Sofa fallen.
Wesley merkte, dass er zu weit gegangen war. Aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte es nicht beiseiteschieben. Er versuchte es zwar, aber jedes Mal, wenn er seine Verlobte in die Arme nahm, dann … »Fedora, meine Liebe, … bitte verzeih' mir doch. Ich werde nie wieder darüber sprechen. Ganz bestimmt nicht.«
»Ach, Wesley«, weinte sie. »Ich werde viel Zeit brauchen, sehr viel Zeit …«
»Ja, meine Liebe.«
***
Kapitel 4
»Oh, mon dieu! C'est magnifique! Wie bezaubernd! Das ist ja mal eine Kirche ...«, zeigte sich Floré begeistert, während sie die prachtvoll gestalteten Buntglasfenster bestaunte, durch die ein sanftes, fast schon mystisches Licht in die Kathedrale fiel.
Hinter ihr traten die restlichen Brautjungfern in das hell erleuchtete Gotteshaus ein, welches durch die vielen weißen großen Kerzen und dem halben Dutzend antiker Kronleuchter über den zahlreichen Sitzbänken auf wundervolle Weise erleuchtet war.
Strahlend und frühlingsfrisch kam ihr die Küsterin vom Altar entgegen. Ihre blonde Kurzhaarfrisur stand ihr ausgezeichnet, was es schwermachte, Schlüsse auf ihr Alter zu ziehen. Lächelnd streckte sie ihre Hand zur Begrüßung entgegen. »Das freut mich, euch zu sehen«, sprach sie Tamora und Violett an, ehe sie sich die Mädchenschar besah. »Das sind also all eure Brautjungfern und Trauzeugen?«
»Ja, sind sie«, bestätigte Violett. Sie schüttelte ihr freundlich die Hand. »Meiner zukünftigen Frau konnten es gar nicht genug sein«, lachte sie verhalten, wobei sie sich umwandte und ihre Entourage mit einem strengen Blick bedachte, der diese eindeutig zum Schweigen aufforderte, während auch Tamora der Kirchenbediensteten die Hand gab.
»Seien Sie uns herzlich willkommen in der › Metropolitan Community Church ‹«, sprach die Küsterin die übrigen Anwesenden an. »Bitte, nehmen Sie doch in den ersten Reihen Platz.« Einladend schritt sie voran durch das Kirchenschiff und erklärte: »Der Reverend wird gleich zu Ihnen kommen und lässt sich entschuldigen. Er muss sich noch einem Telefonat widmen.« Langsam ging sie nach vorn auf den Altar zu, drehte sich herum und wartete, bis alle ihren Sitzplatz eingenommen hatten. »Meine Wenigkeit muss Sie jetzt leider verlassen. Eine Familie benötigt meine Unterstützung, Sie verstehen? … Ich denke, Sie werden auch kurz allein zurechtkommen, nicht wahr?«
Tamora und Violett nickte ihr stellvertretend für alle höflich lächelnd zu, worauf sich die Kirchenmitarbeiterin nach hinten durch eine Rundbogentür ihren Blicken entzog.
Kaum hatte die etwas rundliche Dame im schlichten Kleid die schwere Eichentür hinter sich geschlossen, war es mit der Stille im Gotteshaus vorbei.
»Hier also gehst du zur Andacht?«, erkundigte Modesty sich bei Tamora.
»Ja, wenngleich nicht gar so oft, wie ich gern würde«, bestätigte Tamora. »Reverend Jankins ist ein toller Typ … charismatisch, lustig und unglaublich engagiert. Seine Predigten können einen echt zum Weinen bringen, so ergreifend sind sie. Würde man seine Reden abdrucken … die würden ganz sicher das Leben so einiger Mitmenschen verändern.«
»Vielen Dank für die Blumen, mein Kind! Die Idee sollte ich glatt einmal mit dem Kirchenvorstand besprechen«, bemerkte eine dunkle, recht sonore Stimme, in angemessener Lautstärke. »Es tut mir aufrichtig leid, dass ich dich und all die anderen«, er schaute lächelnd über die vollen Sitzbänke und die anwesenden › Schäfchen ‹, »nicht persönlich im Empfang nehmen konnte, Tamora!«
»Aber Reverend, … was haben Sie mich erschreckt«, entfuhr es Tamora, die ihn strahlend anblickte. »Sie dürfen sich nicht immer so anschleichen. Möglichweise verführen Sie meine Begleitung sonst noch zu einer sündigen Bemerkung.« Ein verhaltenes Räuspern neben ihrer Linken, ließ sie ihre Zofe irritiert anschauen.
»Vous voulez dire plutôt nous tous, non? Oui écrit les choses les plus pêcheuses dans leurs livres ...? [ 1 ]«, bemerkte Floré, in der Hoffnung, dass nicht alle verstanden, was sie da gerade gesagt hatte.
Mit entsetztem Blick starrte Tamora ihre Zofe an, ehe sie, einen schüchternen Gesichtsausdruck vortäuschend, zu dem schlanken, blonden Mann im dunklen Anzug aufschaute.
»Je le sais depuis longtemps, Mademoiselle [ 2 ]«, erwiderte Jankins und lächelte Floré an, die darauf sofort den Blick senkte und betreten zu Boden schaute.
Tamora brachte nur noch ein röchelndes »Äähmm, …« über die Lippen und starrte Jankins an, der ihr darauf ein väterliches Lächeln schenkte.
»Ach, Tamora, liebes Kind, hast du wirklich gedacht, ein Reverend würde seine Schäfchen nicht kennen?«, bemerkte er sanft und schaute nun auch wieder die anderen Anwesenden an. »Im Korinther zwölf, sechs bis elf heißt es: Gott wirkt auf verschiedene Weise in unserem Leben, aber es ist immer derselbe Gott, der in uns allen wirkt. Jedem von uns wird eine Gabe zum Nutzen der ganzen Gemeinde gegeben. Dem einen gibt er die Fähigkeit, guten Rat zu erteilen, einem anderen verleiht er die Gabe besonderer Erkenntnis. Dem einen schenkt er einen besonders großen Glauben, dem anderen die Gabe, Kranke zu heilen … Das alles bewirkt der eine Geist. Dem einen Menschen verleiht er Kräfte, dass er Wunder tun kann, einem anderen die Fähigkeit zur Prophetie. Wieder ein anderer wird durch den Geist befähigt zu unterscheiden, ob wirklich der Geist Gottes oder aber ein anderer Geist spricht. Und dem einen gibt der Geist die Gabe, in anderen Sprachen zu sprechen …« Er schenkte Floré einen liebevollen Blick. »und einer anderen zu schreiben …« Nun schaute er wieder Tamora an. »Jedem von euch wurde eine Gabe gegeben und nur er allein entscheidet«, er richtete beide Hände zur Decke, »welche Gabe jeder Einzelne erhält. Und wir dürfen doch alle davon ausgehen, dass er sich dabei etwas gedacht hat, nicht wahr? ... Ich kenne also auch meine Tamora … und ihre Beichten sind, wie soll ich es taktvoll ausdrücken …«
»… sündig, als wäre sie die Widergeburt der Helena«, ergänzte Willow auf trockene Art, die Worte des Reverends.
Einige der Brautjungfern und auch Violett konnten sich ein leises Auflachen nicht verkneifen.
Auch Jankins schmunzelte. »Ich kann mir nicht denken, dass unsere Tamora den Untergang für das Königreich bedeutet … Ich würde sie wohl eher mit Aphrodite vergleichen.«
»Oh ja!« Floré Augen leuchteten. »Violett und Tamora ruhten auf einem rosigen Wolkenkissen, kosten, träumten und warfen zeitweise den anderen Lebewesen auf der Erde einen lässigen Blick zu. Nun aber ging dort etwas vor, das die rege Aufmerksamkeit der › Schaumgeborenen ‹ erweckte und ihr zu denken gab, worauf sich ihre Stirn umflorte. Sie schloss Violett fester an sich und fragte …«
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