Man konnte die Stille förmlich greifen, als die drei Männer auf seine Antwort warteten.
Sein Verstand raste, suchte nach Optionen und Möglichkeiten das Ganze aufzuschieben.
Die Frage, „Wie lautet Ihre Antwort?“, riss Ihn aus seinen Überlegungen.
„Okay, ich stimme zu. Wie geht’s weiter? Was muss ich tun?“
Die drei Männer gingen einen weiteren Schritt auf ihn zu, und der Kleinste von ihnen raunte: „Wir melden uns bei Ihnen in vier bis sechs Wochen, so lange brauchen wir, um die Vorbereitungen abzuschließen: Vorbereitungen, die bereits seit vielen Jahren laufen!“
An all das musste er denken, als er allein im Zentrum der Macht saß. An diesem Abend hatte seine Entwicklung vom Geschäftsmann zum Politiker begonnen. Er hätte nie auch nur im mindesten geahnt, wie ähnlich sich das Geschäftemachen und die hohe Politik waren. Er war für beides wie geschaffen. Es würden fantastische Zeiten anbrechen. Bessere Zeiten. Der Tag würde kommen, und zwar bald, an dem er sich bei allen dafür revanchieren würde, dass sie ihn derart mit Dreck überschüttet hatten. Er musste lächeln. Er konnte das schon heute tun! Er hatte gewonnen!
Ungewissheit
Marco und John saßen in der Küche von Marcos Elternhaus. Sie hatten stundenlang diskutiert, was als Nächstes zu tun sei.
John galt als Hauptverdächtiger bei der Polizei. Der Officer hatte es ihm auf den Kopf zugesagt, es sei eine ungewöhnliche Häufung von Zufällen, dass sein Haus explodiert, seine Familie nicht auffindbar und die Lebensversicherung seiner Frau vier Wochen zuvor erhöht worden sei. Seine Geschichte von dem „italienisch aussehenden Gianluca“ sei unglaubwürdig und frei erfunden. Es war eindeutig. Aus dieser Ecke würde keine Hilfe oder Unterstützung bei der Suche nach dem Italiener kommen. Wie er sich von dem Verdacht befreien könnte, keine Idee. Alle Indizien sprachen gegen ihn.
Irgendwer hatte hier ganze Arbeit geleistet, um den Verdacht auf ihn zu lenken. Indizien derart zu fälschen war kein leichtes Unterfangen. Es mussten Profis mit enormen Geldmitteln sein. Wie sonst erhöhte man schnell mal eine fremde Lebensversicherungspolice?
Plötzlich klingelte sein Handy.
„Buongiorno, Mr. Brockmann! Wir hatten Sie gewarnt! Sollten Sie Interesse haben, Ihre Familie lebend wiederzusehen, so unterschreiben Sie den Vertrag, den Sie in Ihrer Mailbox finden, und geben Sie das Dokument bis heute, 18 Uhr, beim Barmann im Irish Pub ab, in dem wir uns letztens getroffen haben.“
John wollte noch etwas sagen, aber der Anrufer hatte bereits aufgelegt.
Marco sah ihn fragend an, und John erzählte, was er gehört hatte.
„Du kannst solchen Typen nicht vertrauen, John. Wenn du verkaufst, hast du nichts mehr in der Hand!“
„Ich weiß! Trotzdem muss ich es versuchen, es ist die einzige Chance, Emma und Felix lebend wiederzusehen. Oder hast du eine andere Idee?“
Marco schüttelte den Kopf: „Wahrscheinlich wirklich deine einzige Chance. Die Bullen wirst du sonst nicht mehr los, die haben ihren Täter längst gefunden. Wenn wir mehr Zeit hätten, könnten wir versuchen, eine Falle zu stellen. Aber so haben die alle Trümpfe in der Hand. Weil die Typen aber kein Geld wollen, sondern die Verkaufsurkunde, wirst du hoffen müssen, dass sie fair spielen.“
Pünktlich um 18 Uhr betrat er den Pub und übergab dem Barkeeper den Umschlag mit dem Vertrag. Er wusste, dass es keinen Sinn haben würde, hier auf den Italiener zu warten oder gar Fragen zu stellen. Ein Fremder würde den Vertrag abholen und das Dokument wieder einem anderen Fremden geben. Selbst der Barmann wusste nicht, dass er als stiller Briefkasten herhalten musste.
Zurück bei Marco in der Küche passierte stundenlang nichts. Niemand meldete sich.
Es gab Kaninchen auf ligurische Art, geschmort im Ofen mit Wurzelgemüse, schwarzen Oliven und Rosmarin in einer Sauce von Weißwein aus Apulien, den Marco augenzwinkernd auch als Aperitif sowie als Tischwein kredenzte.
In John breitete sich Verzweiflung aus. Der Wein schmeckte schal, und das lag sicher nicht an dem preisgekrönten Tropfen. Er musste etwas unternehmen!
„Marco, du kennst dich doch bei euch in der Community aus. Kannst du dich nicht mal umhören? Vielleicht kennt jemand diesen Gianluca?“
Marco schaute vom Zwiebelschneiden auf. Er wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab und sagte schniefend: „Schon erledigt. Ich habe meinen Onkel darauf angesetzt und treffe mich in einer Stunde mit ein paar alten Freunden. Wenn die nicht wissen, für wen der Kerl arbeitet, dann weiß es in ganz New York niemand.“
Es wurde dunkel. John saß allein in der Küche und dachte bei einem schönen Single Malt, den der gute Marco ihm zum Abschluss angeboten hatte, angestrengt nach. Er war noch nie in solch einer Situation gewesen. Gewalt, Entführung oder gar Mord kamen in seiner Welt nicht vor. Er zog die verbale Auseinandersetzung der körperlichen vor. Jetzt hatte er das Gefühl, zu versagen, er wurde in eine andere Welt hineingezogen. Eine dunkle, kalte Welt, von der er nichts verstand.
Er musste etwas unternehmen. Dieses Warten, dass sein Handy klingelte und man ihm endlich den Ort verriet, an dem seine Familie gefangen gehalten wurde, konnte er nicht mehr länger ertragen. Er hatte alles getan, was von ihm verlangt wurde, er hatte nur noch einen Wunsch und Gedanken: Er wollte seine Frau und seinen Sohn endlich wieder in den Armen halten, wissen, dass es ihnen gut ging. Er musste sich bewegen und nachdenken. Er ging auf die Straße und lief einfach los, er hatte kein Ziel, er musste nachdenken und brauchte eine Lösung. Er lief die Baker Street hinunter an seinem alten Haus vorbei, blieb kurz stehen, um die Ruinen, die wie Stalagmiten aus dem Boden ragten, zu betrachten, und lief dann ziellos weiter.
Nachdem er das Gefühl für die Zeit verloren hatte und schon den Hudson River sehen konnte, vibrierte das Handy in seiner Manteltasche. Sein Herz blieb kurz stehen.
Weisses Haus, Washington, D.C., Januar 2017
Steve Bacon betrat geschmeidig das Oval Office durch eine Seitentür.
Wie immer war Steve leger gekleidet, trug ein einfaches Hemd mit rotem Schlips, darüber ein kariertes Sakko und Jeans. Er hatte sein Aussehen stets beibehalten; neuerdings rasierte er sich allerdings täglich. Das einzige Zugeständnis an seine neue Position. Er legte bei der Auswahl seiner Kleidung keinen gesteigerten Wert auf Äußerlichkeiten, das karierte Sakko trug er schon etliche Jahre. Es war zu einer Art Markenzeichen von ihm geworden.
Er war der persönliche Assistent von Ronald Grump. So zumindest seine offizielle Bezeichnung, jeder wusste aber, welche Macht Steve innehatte. Er allein entschied, welche Dinge mit Ronald besprochen werden durften. Einen Termin bei Ronald ohne die Freigabe von Steve war undenkbar. Die beiden Männer verband keine Freundschaft, aber durch die zahlreichen Schlachten, die sie in den letzten Jahren gemeinsam gefochten und allesamt gewonnen hatten, war so etwas wie Vertrauen und Zuneigung, aber auch Abhängigkeit entstanden. Steve Bacon war der Kontaktmann zu der geheimnisvollen Organisation. Ronald hatte gehört, dass man sie „Medusa“ nannte. Er kannte sich mit griechischer Mythologie nicht aus, hatte aber nachgelesen und herausgefunden, dass es sich um ein weibliches Ungeheuer handelte, die ihre Gegner beim bloßen Anblick versteinern und töten konnte. Ziemlich treffsichere Namensgebung, wie er fand. Er wusste immer noch nicht, um wen und welche Personen es sich bei „Medusa“ handelte.
Steve schien in der Organisation weit oben zu stehen, da er direkten Kontakt zur Führungsriege hatte und weitgehend selbst entscheiden konnte. Jedes Gespräch, in dem Ronald mehr über „Medusa“ herausfinden wollte, endete immer auf die gleiche Art und Weise: Steve setzte ein Lächeln auf, neigte den Kopf zur Seite und antwortete:
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