»Wir würden es gerne an deinem alten Haus am See machen, wenn das für dich okay ist. Der Platz ist gut zu überschauen und schwerer angreifbar, sollte uns jemand aus dem Hinterhalt auflauern.«
»Natürlich, nehmt euch, was ihr braucht.« Es war mir egal geworden, seit ich all meine Liebe für mein ehemaliges Zuhause aufgegeben hatte.
»Danke. Wir brauchen mehr Leute bei uns, aber es ist unheimlich schwer. Die meisten halten die Füße still, weil sie nicht verstehen, was passiert ist. Andere haben sich öffentlich zu Lilija bekannt. Auf den Philippinen hat Sondra ihre gesamte Familie eingesperrt und das Anwesen niedergebrannt, ehe sie zu Lilija geflohen ist.«
»Mein Gott.« Ich schauderte. »Wie hat sie denn die Moralsperre überwunden?«
»Vermutlich gar nicht. Sie hat ja niemanden angegriffen, lediglich das Gebäude zerstört, in dem sich ihre Familie aufgehalten hat, und das ist auch mit Moralsperre möglich. Abgesehen davon vermute ich, dass Lilija Wege hat, die Sperre zu umgehen. Sie hat damals schon mit ihren Leuten nur Schrecken verbreitet.«
»Wie soll das alles nur weitergehen, Akil?«
»Ich habe keine Ahnung. Wenn Kjell auf unserer Seite stünde, könnten wir möglicherweise andere Seelenwächter überzeugen, uns zu helfen, doch es bleibt hart. Wer will sich schon gegen Lilija oder Jason stellen?! Zwei der mächtigsten Wächter dieser Welt.«
»Und wenn wir irgendwie Ilai zurückholen?«
»Wie denn?«
»Ich weiß nicht. Mit Magie? Mir Improvisation? Ach, ich habe keine Ahnung.« Aber es war ein schöner Gedanke. »Ich wünschte, Will und Anna wären hier.«
»Ich auch, Kleine. Ich auch.« Akil drückte mich fester an sich. Mein Körper bebte an seiner Seite, seine Wärme sickerte bis hinunter in meine Zehenspitzen. Ich schmiegte mich an ihn, dankbar, wenigstens das noch zu haben.
Auf einmal hörte ich Schritte, die sich uns näherten, und blickte auf. Emma kam, mit einem Buch in der Hand, zu uns gelaufen. Ihr Atem tanzte durch die Kälte vor ihrem Gesicht. Es war ein wenig milder geworden, aber das Tauwetter hatte noch nicht richtig eingesetzt. Immerhin schien heute die Sonne und die Vögel zwitscherten friedlich. Wobei mir das Wetter recht unbeständig vorkam. An einem Tag war es warm, am nächsten wieder eisig kalt.
»Hast du was gefunden?«, fragte ich und drückte mich von Akil weg. Emma hockte fast nur über ihren Büchern. Sie hatte sich sogar für ein paar Tage bei ihrer Schwester Karen in die Bibliothek von Riverside verkrochen und war dort versackt, weil sie mehr über die Legenden der Dowanhowee hatte erfahren wollen, um die Schattendämonen besser zu erforschen, die von Kedos einst erschaffen worden waren. Sie alle hatten dieses Mal auf der Brust gehabt, wie Ben es ebenfalls trug.
Auch ihm ging es unverändert. Leider hatten wir nicht viel miteinander sprechen können. Ben hielt sich nach wie vor von Menschen fern, obwohl er seine Gier besser im Griff hatte und täglich mehr von Joanne lernte. Wir machten uns zudem Sorgen um die beiden, denn Jaydee hatte mir mal gesagt, dass Lilija ihn einsetzen wollte, um alle Schattendämonen zu töten.
Das bedeutete allerdings, dass es auch Ben und Joanne erwischen würde. Um sie würde ich keine Träne weinen, aber die Vorstellung, dass Ben jederzeit von uns gerissen werden könnte, machte mich fast wahnsinnig. Akil hatte es den beiden erklärt, als wir ins Dorf gezogen waren. Joanne flippte völlig aus und forderte, dass wir Jaydee sofort einen Kopf kürzer machten, aber als wir ihr eintrichterten, dass dies nicht so einfach geschehen würde – und wir ihn abgesehen davon nicht töten wollten –, verschwand sie einfach für ein paar Tage. Wir dachten erst, sie wäre komplett weg, doch sie kam irgendwann wieder, als wäre nichts geschehen. Sie hatte nie mehr ein Wort darüber verloren.
Ben hingegen hatte es sehr ruhig aufgenommen und es wohl so akzeptiert. Vermutlich kam der alte Geist der Dowanhowee in dem Fall durch und machte es ihm leichter, Dinge zu akzeptieren, die sich erst mal nicht ändern ließen. Oder er hatte zu große Probleme mit der Umstellung. Ab und an gab Akil ihm Seelenenergie, was ihn aber stets schrecklich schlauchte. Da wir nicht auf ein Anwesen konnten, hatte er auch keine Möglichkeit, sich an einem Kraftplatz aufzuladen. Unser Heilsirup wurde ebenfalls knapp. Oft verschwand Ben auf lange Spaziergänge in der Natur, aber das alles war auf Dauer keine Lösung. Ikarius hatte sich ebenfalls schon für Ben angeboten, genau wie Zac, aber wir wussten noch immer nicht genau, was mit Zac geschah. Mittlerweile hatte er diese Rüstung, die sich um ihn legte, wenn er in Gefahr kam, sehr gut im Griff. Er hatte mit Akil und Ikarius geübt und beeindruckende Fähigkeiten an den Tag gelegt. Keiner der beiden hatte ihn verletzen können, wenn die Rüstung aktiv war. Allerdings schaffte Zac es nicht, sie dauerhaft zu halten. Irgendwann fing er an zu zittern und klappte zusammen. Im Moment war er mal wieder auf dem Anwesen in Arizona. Zac liebte es, dort hinzureisen, aber bis auf diese eine Vision von Ikandu, die er schon beim ersten Besuch gehabt hatte, hatte er nichts weiter herausfinden können.
Emma nahm neben uns Platz und schlug das Büchlein auf, das sie mitgebracht hatte. Ein Notizheft, in das sie all ihre Erkenntnisse der letzten Wochen niedergeschrieben hatte. Emmas Gesichtszüge veränderten sich fast wöchentlich. Sie passte sich den ursprünglichen Dowanhowee mehr und mehr an. Ihre einst blonden Haare waren mit unzähligen schwarzen Strähnen durchzogen. Vermutlich würde sie in einigen Monaten komplett dunkel sein. Ein Auge war blau geblieben, das andere braun geworden. Auch ihre Haut war ein paar Nuancen dunkler geworden, ihre Wangenknochen höher. Anankas Werk. Sie hatte Payden, Barry und Valerian eine Injektion gegeben, die ihre DNA veränderte und sie mehr mit den alten Dowanhowee verband. Barry war leider gestorben, Payden mit Kedos verschwunden, Valerian untergetaucht. Kjell hatte ihn kurz nach Kedos‘ Verbannung an einen sicheren Ort gebracht, wo er hoffentlich glücklich werden würde. Oder auch nicht, es war mir im Grunde egal.
»Langsam komme ich an meine Grenzen«, sagte Emma und öffnete ihre Notizen. »Ich bräuchte Zugang zu einer besseren Bibliothek statt der in Riverside.«
»Damit kann ich dir leider nicht dienen zurzeit«, sagte Akil. »Wir können auf kein Anwesen der Seelenwächter. Es ist zu gefährlich.«
»Das verstehe ich«, sagte Emma. »Dann muss ich das mit den Schattendämonen erst mal ruhen lassen.« Sie blätterte ein Stück nach vorne und tippte auf ihre Notizen. »Anders sieht es mit dem Schicksalsberg aus, über den es erstaunlich viele Legenden gibt. Einen genauen Standort habe ich noch nicht, aber ich fand Hinweise auf diese Region in Äthiopien.« Sie drehte ihre Notizen herum und zeigte uns die Karte, die sie gemalt hatte. Eine grobe Darstellung der Gegend, mit Seen und Gebirgen. Emma war keine begnadete Zeichnerin, aber die Karte erfüllte ihren Zweck.
»Kennst du dich da aus?«, fragte sie ihn.
»Es gab mal ein Seelenwächteranwesen in der Nähe dieses Sees«, sagte Akil und tippte auf die Abbildung. »Das wurde aber vor rund dreitausend Jahren zerstört, ansonsten komme ich selten dorthin.«
»Hat da zufällig Luena gelebt?«, fragte Emma.
Luena war eine der ersten Seelenwächterinnen gewesen, die von Jason damals rekrutiert worden waren. Sie hatten wohl lange Zeit irgendwo in Afrika gelebt. Mehr hatten wir nicht über sie herausfinden können, bevor das Chaos ausbrach.
»Das weiß ich leider nicht«, sagte Akil. »Kann aber gut sein.«
»Dann bleibt die große Frage, ob es Sinn macht, dort hinzureiten«, sagte Emma. »Wir wissen, dass Moira im Schicksalsberg haust, und wir vermuten, dass der Ring da ist – der letzte der vier Gegenstände, die Jaydee schaden können.«
»Ich bezweifle sehr, dass sie noch die Macht dazu haben«, sagte ich. »Alles, was mit Lilija verbunden war, ist zerstört worden, als ich das Gefängnis öffnete. Und ich vermute, dass es mit den Gegenständen auch so ist. Im Grunde habe ich unsere einzigen Waffen gegen Jaydee nutzlos gemacht.« Weil ich all die Zeit, die ich gehabt hatte, nicht besser genutzt hatte. Ich hätte mich mehr darauf konzentrieren sollen, die Gegenstände zusammenzutragen, mich besser verstecken müssen, mich nicht als Werkzeug missbrauchen lassen, das letztlich alles zu Fall gebracht hat. Aber es war so viel vor meine Füße geworfen worden, dass ich rückblickend nicht mehr sagen konnte, wo ich irgendwas hätte anders machen sollen.
Читать дальше