Wenn ich jetzt alleine mit ihm wäre, würde ich ihm an die Gurgel springen. So jedoch sage ich nur: »Verstehe ich das jetzt richtig, du hast es so arrangiert, dass ich hier die Drecksarbeit mache, während du genüsslich deinen Rausch ausschläfst? Und damit wir an zwei dämliche Esel kommen, lässt du mich Ziegen melken?? Ich komme jetzt, auf welchem Weg auch immer, mit zu diesem blöden Bruder, und dann mach ich mich auf den Weg zum Flughafen. In München rufe ich als Erstes eine Spedition an und organisiere den Transport meiner Habseligkeiten von Rom nach München. Das, mein Lieber, ist definitiv das Ende unserer Beziehung. Wir sind hier nicht im Orient, sondern lediglich auf einer beschissenen italienischen Insel, und so was hat noch nie ein Mann mit mir gemacht, und – darauf kannst du wetten – das wird auch nie wieder einer mit mir machen!!!!!!!!!!«
Anna, des »Dinglischen«, jenes merkwürdigen deutsch-italienisch-englischen Sprachgemischs, in dem wir uns normalerweise unterhalten, eindeutig nicht mächtig, schaut verwirrt von einem zum anderen. Aus der Küche holt sie eine Tüte und steckt sie in die Satteltasche, während ich versuche, meinen Esel auf den Weg zu ziehen. Bruno zieht Hemd und Jacke an. Anna reicht ihm den Strick, der um den Hals seines Esels hängt. Ich drehe mich nicht um, denn ich habe keine Lust, zu sehen, wie er mal wieder seine Siebensachen sucht. Er vergisst grundsätzlich immer irgendetwas. Insgeheim hoffe ich, dass es ihn ordentlich von seinem Muli runterhaut und er auf seinen Allerwertesten fällt. Ich selbst ziehe meinen freundlich trabenden Vierbeiner hinter mir her. Sobald er stehen bleibt, werde ich wieder bayrisch singen, denn das scheint der sardischen Sprache in Tierohren am nächsten zu kommen.
Minuten später rufe ich über die Schulter zurück: » Grazie, ciao Anna «, und locke mein Tierchen langsam bergaufwärts.
Plötzlich wird es richtig laut hinter mir, und das »Aaaaaaaaaoooooooooh … Stooooopp« von Bruno kommt näher und näher. Ich gehe stoisch weiter, als der Esel mit dem unsicher auf seinem Rücken auf und ab hopsenden Bruno an mir vorbeizieht. Mein Tier, wohl vom Tempo seiner Partnerin angefeuert, macht mit einem Mal einen Satz, reißt sich los und galoppiert mit wehenden Steigbügeln hinterher. Pfeilschnell rasen die beiden hügelaufwärts, und bevor sie die Kuppe erreicht haben, sehe ich noch, wie Bruno in hohem Bogen abgeworfen wird. Weg sind sie. Glucke, die ich nun mal bin, wenngleich auch eine zutiefst beleidigte, laufe ich zu Bruno und helfe ihm auf.
Offensichtlich hat er sich weh getan, und ich hoffe, es wird ihn noch lange schmerzen. Jedoch werde ich mich auf keine Mitleidsbezeugung einlassen, soll er doch sehen, wie er weiterkommt. Jetzt müssen wir die beiden Viecher finden, sonst kriegen wir da auch noch Ärger. Das Tal, das sich hinter der Kuppe vor uns ausbreitet, ist größer, als ich vermutet habe. Wohin sind die beiden wohl verschwunden?
Anna hat uns ihre Namen nicht verraten, so kann man sie auch nicht rufen. Worauf hört ein Esel eigentlich? Ich hab mal gesehen, wie ein Bauer mit der Zunge geschnalzt hat, ich versuche es, aber es ist viel zu leise. Reichlich verzweifelt ziehe ich meine Schuhe aus und stecke sie endgültig in meine Tasche. Es erscheint mir sinnvoller, barfuß über die Steine zu gehen, als mir den Knöchel zu verstauchen.
Schon als kleines Mädchen bin ich im Sommer lieber barfuß gelaufen, als mich in irgendwelche Schuhe zu quälen. In den siebziger Jahren war es außerdem höchst schick, sogar in der Stadt in Hippie-Kleidern barfuß zu gehen. Um meine Fußgelenke baumelten silberne Kettchen mit kleinen Glöckchen, und die beiden zweiten Zehen trugen einen Ring. Ich bevorzugte zwei alte geerbte goldene Ringe, die mir am Finger zu klein geworden waren und die sich über alle Maßen sexy an meinen, wie ich fand, sehr hübschen Füßen ausnahmen. Bruno, der grundsätzlich immer, selbst bei vierzig Grad im Schatten, Halbschuhe, und meist auch noch mit Socken, trägt, lacht sich bestimmt ins Fäustchen! Aber ich werde ihm nicht den Gefallen tun, zu jammern. Ich werde jetzt hocherhobenen Hauptes und strammen Schrittes meinen verdammten Esel einfangen und mich dann auf denselben setzen, auch wenn es das erste Mal ist. Und ich werde mich in seine Mähne krallen und meine Schenkel fest um seinen Bauch klemmen, und dann werden wir ja sehen, wer hier lacht.
So laufe ich, so schnell es eben möglich ist, auf dem Weg ins Tal. Habe ich heute Nacht mit der Kälte gekämpft, so wünsche ich mir jetzt ein wenig davon. Sei es wegen der Konzentration auf den Weg oder der immer kräftiger werdenden Sonne – mir läuft der Schweiß nur so runter. Da ich mich völlig darauf konzentriere, wo ich hintrete, habe ich nicht mitbekommen, dass Bruno nicht mehr hinter mir ist. Irgendwo muss er abgebogen sein. Wieso sagt er nichts? Wenn er unsere Esel schon irgendwo entdeckt hat, kann er mir das doch wenigstens sagen? Ich werde schon wieder wütend. Rufen werde ich ihn nicht, das kommt nicht in Frage. Wie heißt denn bloß mein Tier?
»Iiiiiiiaaaaaah, iiiiiiiiaaaah, Eselchen, kommt her«, rufe ich ins Gelände. Gott, ist das albern. Okay, also lasse ich mich halt doch herab und rufe Bruno. Nachdem ich in alle Himmelsrichtungen gebrüllt habe, wird ja wohl ein Lebenszeichen kommen, denke ich mir.
Aber weit gefehlt, nichts passiert. Panik überfällt mich, ich laufe ein Stück den Feldweg zurück und entdecke eine Abzweigung. Da ich jedoch unten im Tal bin, kann ich nicht erkennen, wo sie hinführt. Also laufe ich weiter den alten Weg zurück. Vielleicht sind die Esel und auch Bruno ja weit abseits und können mich gar nicht hören. Ich laufe immer schneller bergan und spüre weder Steine noch Disteln. In meinem Kopf wirbeln die Gedanken durcheinander.
Was, wenn die beiden immer weitergerannt sind und Bruno hinterher und sie alle drei jetzt in einem ganz anderen Tal sind?
Noch ein Stück höher, dann muss ich etwas sehen, atemlos versuche ich meine Gedanken zu ordnen. Als mich die Erschöpfung zum Anhalten zwingt, drehe ich mich um. Ich kann zwar kein Buch mehr ohne Brille lesen, aber in die Ferne sehe ich scharf wie ein Adler. Ich suche mit meinen Augen die Wege ab, sehe große Bäume, schärfe meinen Blick und entdecke plötzlich Bruno.
»Bruno, Bruno, bleib stehen, bitte, ich komme gleich«, schreie ich aus vollem Halse und renne los.
Immer wieder irritieren mich kleine Pfade, die sich zwischen all den Olivenbäumen und Mandelbäumen hindurchschlängeln. Von oben waren sie nicht sichtbar, der Weg sah eindeutig aus, und jetzt ist es wie in einem Labyrinth.
Ich erkenne Traktorspuren, alles sieht nach baldiger Ernte aus, denn die Olivenbäume strotzen in ihrer vollen Pracht. Die Richtung, in der sich Bruno und hoffentlich auch die beiden Ausreißer befinden, habe ich mir eingeprägt, aber jetzt sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Wie ein Hase laufe ich im Zickzack in seine vermeintliche Richtung.
Endlich antwortet Bruno auf meine Rufe, und aus einiger Entfernung meine ich auch ein »Iiiiaaaaaaah« zu hören. Ich muss weiter rechts hinauf, hier bin ich falsch.
»Antworte noch einmal, bitte«, rufe ich ihm entgegen. Mit arrogantem, vorwurfsvollem Blick ob meiner Verspätung steht er da. Mit seinem Esel am Strick sieht er aus, als sei er im falschen Film gelandet. Ich frage mich, wer hier wen hält? Seine Augen blicken trüb drein, fast tut er mir schon leid.
Ob er wisse, wo mein Tier sei, frage ich ihn, und er deutet nur nach links. Friedlich grasend steht mein Langohr unter einem ausladenden Baum. So geschützt vor der Sonne, lässt es sich gut schmausen. Wenn hier noch eine Quelle wäre, würde ich glatt mit ihm tauschen. Plötzlich verspüre ich brennenden Durst. Was, wenn wir hier nie mehr rausfinden und man uns nach Tagen verdurstet und verhungert auffindet?
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