Vor diesem neuen Gestirn war das Tom Crabbe’s jämmerlich erbleicht! Ein Riesenschwein, das auf der Thierschau von Spring Grove den ersten Preis erhalten sollte!
John Milner schwankte wie vor den Kopf geschlagen zurück. Dann gab er Tom Crabbe ein Zeichen, ihm zu folgen, schlug auf Umwegen die Richtung nach dem Hôtel ein und fühlte sich so enttäuscht, so herabgewürdigt, daß er sich hier in sein Zimmer einschloß, das er sich wieder zu verlassen weigerte.
Wenn sich für Cincinnati jemals Gelegenheit bot, den Beinamen Porcopolis, den ihm Chicago entrissen hatte, zurückzuerobern, so war das an jenem 30. Mai 1897 der Fall gewesen.
Drittes Capitel.
Im Schneckenschritt.
»Erhalten von Herrn Hermann Titbury die Summe von dreihundert Dollars Strafgelder, wozu er durch den Entscheid vom 14. dieses Monats wegen Uebertretung der Alkoholgesetze verurtheilt worden war.
Calais, Maine, am 19. Mai 1897.
Der Gerichtsschreiber
Walter Hoek.«
Hermann Titbury hatte sich also, nicht ohne langes, bis zum 19. Mai anhaltendes Widerstreben zur Zahlung dieser Summe entschließen müssen. Als dann die Identität des dritten Partners zweifellos festgestellt und nachgewiesen war, daß es Herr und Frau Titbury waren, die unter dem Namen Herr und Frau Field reisten, hatte der Richter R. T. Ordak dem Verurtheilten nach dreitägiger Hast die weitere Strafe erlassen.
Es war auch die höchste Zeit.
An diesem Tage, dem 19., hatte der Notar Tornbrock zum sechstenmale gewürfelt und dem betreffenden Spieler telegraphisch nach Calais darüber Nachricht gegeben.
Beleidigt, daß sich einer der Theilnehmer am Match Hypperbone in ihrer Stadt unter falschem Namen verborgen hatte, zeigten sich die Bewohner des Ortes jenem wenig entgegenkommend und lächelten sogar über sein Mißgeschick. Waren sie zuerst hoch erfreut gewesen, daß in Maine vom seligen Hypperbone Calais als entscheidender Punkt ausgewählt worden war, so konnten sie es letzt der blauen Flagge nicht verzeihen, sie von ihrem Eintreffen nicht benachrichtigt zu haben. Die Folge davon war denn auch, daß der richtige Name des Partners, als er nun bekannt geworden war, keinerlei Aufsehen verursachte. Sobald der Gefängnißwärter ihn in Freiheit gesetzt hatte, schlug Hermann Titbury den Weg nach seinem Gasthause ein. Doch kein Mensch gab ihm das Geleit, keiner wendete bei seinem Vorüberkommen nach ihm den Kopf um. Das würdige Ehepaar liebte auch das Zujubeln der Menge, worüber Harris T. Kymbale sich so sehr freute, ganz und gar nicht und hatte nur den einen Wunsch, Calais so bald wie möglich zu verlassen.
Es war jetzt neun Uhr morgens und somit fehlten noch drei Stunden bis zu dem Augenblicke, wo Titbury im Postamte erscheinen mußte. Beim Thee und kalten Braten ihres Frühstücks beschäftigten sich die Ehegatten auch damit, über ihre Geldverhältnisse ins Reine zu kommen.
»Wieviel haben wir seit unserer Abfahrt von Chicago schon ausgegeben? fragte der Gatte.
– Achtundachtzig Dollars und siebenunddreißig Cents, antwortete die Gattin.

Da las sie denn mit immer schwächer werdender Stimme… (S. 267.)
– Wirklich… so viel?…
– Und dabei haben wir unterwegs kein Geld zum Fenster hinausgeworfen.«
Wer kein Titbury’sches Blut in den Adern hatte, hätte im Gegentheil erstaunen müssen, daß die bisherigen Ausgaben nicht mehr betrugen. Dazu kamen freilich noch die dreihundert Dollars Strafgelder, womit der der Titbury’schen Casse widerfahrene Aderlaß schon zu einem recht ausgiebigen wurde.
»Und wenn uns die Depesche, die wir von Chicago erhalten sollen, nur nicht etwa verpflichtet, nach dem anderen Ende des Landes zu reisen! seufzte Herr Titbury.
– Wir müßten uns aber doch dazu entschließen, erklärte Frau Titbury mit Entschiedenheit.
– Ich verzichtete lieber auf die ganze Geschichte…
– Schon wieder! rief die rechthaberische Matrone. Ich rathe Dir, lass’ es das letztemal sein, daß Du davon sprichst, auf die Aussicht, sechzig Millionen Dollars zu gewinnen, voreilig zu verzichten!«
Endlich vergingen die drei Stunden, und zwanzig Minuten vor zwölf Uhr stellte sich das Ehepaar im Schalterraume des Postamtes ein und wartete hier ungeduldig der Dinge, die da kommen sollten. Außer den beiden Titburys hatte sich kaum ein halbes Dutzend Neugieriger mit hier eingefunden.
Welcher Unterschied gegenüber dem Andrange zur Zeit, wo die anderen Partner zu gleichem Zwecke in Fort Riley, in Austin, in Santa-Fé, in Milwaukee und in Key West vor den Schaltern der Telegraphenbureaus standen!
»Ein Telegramm für Herrn Hermann Titbury aus Chicago,« rief jetzt der Beamte.
Die angerufene Persönlichkeit erblaßte in dem Augenblicke, wo sich ihr weiteres Schicksal entscheiden sollte. Die Beine des Mannes knickten zusammen und seine Zunge unterlag einer Halblähmung, so daß er augenblicklich nicht sprechen konnte.
»Hier! antwortete Frau Titbury, die ihren Mann an den Schultern schüttelte.
– Das ist der berechtigte Empfänger dieser Depesche? fragte der Beamte.
– Das will ich meinen!… Ob er es ist! rief Frau Titbury.
– Ob ich es bin! meldete sich endlich der dritte Partner. Erkundigen Sie sich nur bei dem Richter Ordak!… Es hat mir schon mehr als genug gekostet, mich wegen meiner Identität nicht weiter drangsalieren zu lassen!«
In dieser Beziehung konnte also kein Zweifel obwalten. Das Telegramm wurde daraufhin der Frau Titbury ausgehändigt und von dieser erbrochen, denn der zitternden Hand ihres Mannes wäre das unmöglich gewesen.
Da las sie denn mit immer schwächer werdender Stimme, die bei den letzten Worten fast ganz versagte:
»Hermann Titbury, zwei Augen durch eins und eins. Great Salt Lake City, Utah. Tornbrock.«
Das Ehepaar wurde durch die schlecht verhehlten Spötteleien der übrigen Anwesenden beinahe ohnmächtig. Sie mußten sich auf einer Bank des Vorraumes niederlassen.
Das erstemal durch eins und eins nach dem zweiten Felde tief im Staate Maine geschickt zu sein, und das zweitemal, wieder durch eins und eins, nach dem vierten Felde im fernen Utah gehen zu sollen… vier Augen durch zweimaliges Würfeln… das war doch gar zu arg! Und obendrein sollten die Pechvögel, die sich zuerst von Chicago nach dem einen Ende der Union begeben hatten, nun fast deren anderes Ende im fernen Westen aufsuchen!
Nach einigen Minuten gewiß verzeihlicher Schwäche raffte Frau Titbury sich wieder auf, wurde wieder das entschlossene Mannweib, das die Zügel führte, packte ihren Gatten am Arme und schleppte ihn nach dem Gasthause Sandy Bar.
Nein, das war doch ein gar zu ausgesprochenes Pech! Welchen Vorsprung hatten schon die anderen Partner, Tom Crabbe, Max Real, Harris T. Kymbale und Lissy Wag, vom Commodore Urrican ganz zu schweigen! Sie flogen wie Hafen übers Feld, und sie… sie krochen wie Schnecken dahin!… Zu den Tausenden von Meilen zwischen Chicago und Calais kamen nun für sie wiederum zweitausendzweihundert Meilen, die Strecke von Calais bis zur Great Salt Lake City…
Entschlossen sich die Titburys jetzt nicht zum Austritt aus dem Match, so durften sie sich, wollten sie in Chicago einige Tage rasten, in Calais nicht länger aufhalten, da ihnen, sich nach Utah zu begeben, nur der Zeitraum vom 19. Mai bis zum 2. Juni zur Verfügung stand. Und da Frau Titbury nicht zustimmte, die Partie aufzugeben, verließ das Ehepaar Calais noch am nämlichen Tage mit dem ersten geeigneten Zuge, begleitet von den Glückwünschen der ganzen Einwohnerschaft für… für die anderen Partner.
Nach einem solchen Unglück sank der Curs des dritten Partners, wenn dieser überhaupt einen gehabt hatte, jedenfalls auf einen lächerlich tiefen Stand hinunter. Die blaue Flagge wurde nicht mehr zur »Classe« gerechnet; sie konnte unmöglich »placiert« werden.
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