Wer sich durch die Menschenmengen drängte und auf deren Gespräche lauschte, hörte da etwa folgendes:
»Haben Sie ihn denn gesehen?
– Nein; er ist gestern sehr spät am Abend angekommen, dann hat man ihn sofort in einen geschlossenen Wagen gesteckt und sein Begleiter hat ihn…
– Wohin denn gebracht?
– Das weiß niemand, und es wäre doch so interessant, es zu wissen…
– Freilich… freilich! Na, er ist ja nicht nach Cincinnati gekommen, um sich hier nicht zu zeigen. Ich denke, man wird ihn ausstellen…
– Ja, übermorgen, sagt man, bei Gelegenheit der großen Ausstellung von Spring Grove.
– Das wird ein schönes Gedränge geben!
– Halb todttreten werden sich die Leute!«
Dieses Urtheil bezüglich des Helden des Tages wurde indeß nicht allseitig getheilt. Vorzüglich eine Menge Angestellte aus den großen Schlachthäusern, wo man alle körperlichen Eigenschaften höher als geistige Vorzüge, Größe, Umfang und Muskelentwickelung höher als die Intelligenz des Individuums zu schätzen pflegt, zuckten wie mitleidig die Achseln.
»Es wird wohl alles gehörig übertrieben sein, sagte der eine.
– Wir werden hier wohl manchen haben, der ihm mindestens gleichkommt, meinte ein anderer.
– Ueber sechs Fuß hoch, wenn man den Reclamen trauen darf…
– Sechs Fuß, von denen keiner zwölf Zoll hat…
– Na, das wird sich ja bald zeigen…
– Er scheint aber doch gute Aussicht zu haben, alle seine Concurrenten zu schlagen.
– Bah! Man prahlt vom Record halten… das lockt das Publicum heran… und schließlich sieht es sich betrogen…
– Wir werden uns hier nicht anführen lassen…
– Kommt er nicht aus Texas? fragte ein stämmiger Bursche mit breiten Schultern und kräftigen, noch mit Blut aus dem Schlachthaus befleckten Armen.
– Geraden Weges… aus Texas, antwortete einer seiner ebenso robusten Kameraden.
– Nun… warten wir das Weitere ab…
– Ja, ja… ruhig abwarten. Es ist schon von auswärts so mancher hierhergekommen, der besser gethan hätte, zu Hause zu bleiben…
– Zugegeben… Doch wenn er nun den Preis davonträgt? Möglich ist es immerhin, und gar so sehr erstaunen würd’ ich darüber nicht!«
Man sieht, daß die Schätzungen weit auseinander gingen – im ganzen jedenfalls nicht zur besonderen Genugthuung John Milner’s, der am Tage vorher in Cincinnati mit dem zweiten Partner, Tom Crabbe, eingetroffen war, welchen die Entscheidung der Würfel aus der Hauptstadt von Texas nach der von Ohio verwiesen hatte.
In Austin hatte John Milner ja zu Mittag am 17. Mai die telegraphische Mittheilung über die die indigoblaue Flagge – den berühmten Faustkämpfer aus Chicago – betreffende Auswürfelung erhalten.
Entschieden konnte Tom Crabbe von sich behaupten, daß er im Glück sitze, und selbst mit mehr Berechtigung als Max Real, obwohl dieser, dank der zu verdoppelnden Augenzahl, einen großen Schritt vorwärts gethan hatte. Für ihn hatte Meister Tornbrock zwölf Augen geworfen, die höchste Zahl, die mit zwei Würfeln zu erzielen ist. Da diese Zahl den Partner aber ebenfalls nach einem der Felder von Illinois brachte, hatte auch er sie doppelt zu nehmen, und Tom Crabbe machte damit also einen Sprung vom elften nach dem fünfunddreißigsten Felde.
Hierdurch wurde er nach den volkreichsten Landestheilen des Innern der Vereinigten Staaten gewiesen, wo es an schnellen und bequemen Verkehrsmitteln nicht mangelt, das Reisen also ganz anders erleichtert ist, als in den Grenzländern des Bundesgebietes.
John Milner wurde darum auch vor der Abfahrt von Austin vielfach beglückwünscht. Gleichzeitig erhöhten sich die Wetten, Tom Crabbe stieg im Curs, und zwar nicht allein in Texas, sondern auch in manchen anderen Bundesstaaten, vor allen auf den Weltmärkten in Illinois, wo die Agenten ihn mit eins gegen fünf, also weit höher »placieren« konnten, als Harris T. Kymbale, den bisherigen Favoriten.
»Und schonen Sie ihn… schonen Sie ihn ja recht sorgsam! empfahlen die Leute dem John Milner. Vernachlässigen Sie nichts in der Voraussetzung, daß er eine meteoreisenfeste Gesundheit und eine Musculatur von Chromstahl habe!… Er muß ohne Havarie am Ziele anlangen!
– Verlassen Sie sich auf mich, erklärte darauf der Traineur. In der Haut Tom Crabbe’s steckt jetzt nicht dieser, sondern John Milner.
– Und ferner, fügten die Warner hinzu, keine Seefahrt mehr, mag sie kurz oder lang sein, da die Seekrankheit geeignet erscheint, ihn leiblich und geistig aufzulösen.
– O, das Uebel ist ja nicht von Dauer gewesen, erwiderte John Milner. Doch fürchten Sie nichts… zwischen Galveston und New Orleans gehen wir jetzt nicht zu Schiffe. Wir benutzen bis Ohio nur die Eisenbahn und legen wie Lustreisende täglich nur kurze Strecken zurück… wir haben ja vierzehn Tage vor uns, nach Cincinnati zu kommen.«
Diese Stadt war es bekanntlich, die nach der Bestimmung des Testators auf dessen Karte das fünfunddreißigste Feld bildete, und Tom Crabbe überholte damit, mit Ausnahme des Commodore Urrican, alle übrigen Mitspieler.
Ermuthigt. gehätschelt und geliebkost von seinen Parteigängern. wurde Tom Crabbe am genannten Tage nach dem Bahnhofe begleitet, in einen Wagen gehißt und, mit Rücksicht auf den Temperaturunterschied zwischen Texas und Ohio, sorgfältig in Decken gehüllt. Dann setzte sich der Zug in Bewegung und brauste geraden Weges der Grenze von Louisiana zu.
Vierundzwanzig Stunden ruhten die Reisenden in New Orleans aus. wo sie noch wärmer als das erstemal empfangen wurden – eine Folge davon, daß sich die Cursnotiz des berühmten Boxers immer in aufsteigender Linie bewegte. Tom Crabbe war in allen Agenturen »gesucht« und »stieg« in allen Städten der Union. Ein Fieber war es. eine wirkliche Tollheit! Auf mindestens fünfzehnhunderttausend Dollars schätzten die Zeitungen die Summen, die auf den Kopf des zweiten Partners schon bei seiner Fahrt von der Hauptstadt von Texas nach der Metropole von Ohio gesetzt waren.
»Welcher Erfolg! sagte John Milner für sich. und welch ein Empfang wartet unser in Cincinnati!… Ein wahrer Triumphzug muß es werden… ich habe darüber so meine Gedanken.«
Auch Barnum berühmten Andenkens würde gewiß den Plan John Milner’s getheilt haben, durch den dieser die Neugier des Publicums anreizen und auf Tom Crabbe lenken wollte.
Dabei handelte es sich nicht, wie man vielleicht zu glauben versucht wäre, etwa darum, die Ankunft des Champions der Neuen Welt laut und mit großem Aufwand von Reclame anzukündigen, die besten Boxer von Cincinnati zu einem Zweikampf herauszufordern, aus dem Tom Crabbe voraussichtlich als Sieger hervorging, und dann seine Wanderfahrt fortzusetzen – obgleich John Milner nicht abgeneigt war, auch eine solche Vorstellung zu veranstalten, wenn sich dazu eine passende Gelegenheit darböte.
Er wollte sich in Cincinnati vielmehr in strengstes Incognito hüllen, wollte die große Menge der Spieler bis zum letzten Tage ohne Nachricht über ihren Favoriten lassen und womöglich den Glauben erwecken, daß dieser verschwunden sei und am entscheidenden 31. jedenfalls nicht an der bestimmten Stelle erscheinen werde. Dann wollte er ihn in einer Weise wieder auftauchen lassen, daß man sein Erscheinen begrüßen müßte wie das des Elias, wenn der Prophet jemals wieder vom Himmel herabsteigen sollte, um seinen Mantel von der Erde zu holen.
John Milner hatte nämlich durch die Zeitungen erfahren, daß am 30. des laufenden Monats in Cincinnati eine große Thierschau stattfinden sollte, eine Ausstellung, wo gehörnte und andere Vierfüßler durch Preise ausgezeichnet werden sollten, auf die diese einen großen Werth zu legen scheinen. Das war eine prächtige Gelegenheit, Tom Crabbe in Spring Grove auf der Thierschau auszustellen, wenn alle bereits verzweifelten, ihn je zu sehen, und noch dazu am Tage vorher, wo er sich im Postamte der Metropole zu melden hatte.
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