Seiner Gewohnheit gemäß beobachtete Max Real das strengste Incognito. Cheyenne wußte nicht, daß es an diesem Tage einen der Mitspieler im Match Hypperbone beherbergte. Man erwartete diesen hier nicht so zeitig und tröstete sich damit, ihn am 29. Mai auf seinem Posten zu finden. Der junge Mann entging dadurch allen Empfangsfeierlichkeiten, den Magen schädigenden Banketten und lästigen Ehrenbezeugungen, die ihm von der leicht erregbaren Bevölkerung gewiß nicht erspart worden wären und wobei sich die Frauen, die in dem glücklichen Staate Wyoming sogar Stimmrecht haben, jedenfalls am meisten hervorgethan hätten.
Am Morgen des 16. Mai angekommen, traf Max Real sofort die nöthigen Anstalten, sich nach dem Nationalpark zu begeben. Mit etwas mehr Zeit zur Verfügung, hätte er die Reise zu Wagen, mit der Post, ausführen, nach Belieben da oder dort verweilen und das Gebiet der Laramie Ranges durchstreifen können. Diese Ranges sind Hochebenen, deren Thonboden vor Zeiten der eines ausgedehnten Sees war und der noch zahllose, leicht zu überschreitende Creeks zeigt, die nach launischen Windungen in den North Forth und den La Platte River münden; er hätte die wunderbaren, Kreise bildenden Höhen dieses orographischen Systems, die herrlichen Thäler und dichten Waldungen, sowie das vielarmige Netz der Zuflüsse des Columbiastromes besuchen können und daneben noch die weitere Umgebung mit dem über zweitausend Toisen aufragenden Union Peak, dem Haydn und dem Fremont Peak, sowie den wild zerklüfteten Ouragansbergen oder Wide Water Mountains, von denen vielleicht der Name Oregon herrührt, durch die oft Windstöße und Stürme hereinbrausen, so daß sie mit dem nicht weniger wilden Commodore Urrican wetteifern könnten.
Ja, sich in dieser Weise, im Wagen, zu Pferde, zu Fuße, in voller Freiheit fortzubewegen, nach Belieben an den schönsten Stellen dieses Gebietes Halt zu machen, sein Zelt hier oder da aufzuschlagen, ohne von der Zeit gedrängt zu sein – etwas verlockenderes hätte es für einen Maler ja nicht geben können, und Max Real hätte seine Reise mit Begeisterung unter solchen Verhältnissen durchgeführt. Leider mußte er aber daran denken »daß er nicht nur Künstler, sondern auch Partner, daß er nicht sein eigener Herr, sondern ein Spielball des Zufalls war, daß er von dem Fallen zweier Würfel abhing und dem Zwange unterlag, stets bestimmte Termine einzuhalten und sich wie ein Bauer auf dem Schachbrett hin und her schieben zu lassen. Im Grunde fühlte er sich dadurch wirklich erniedrigt.
»Ein Bauer, den das Schicksal in seiner Weise von einem Felde zum anderen schiebt, sprach er für sich, ja, ich bin jetzt wahrlich nicht viel anderes!… Das ist ein Aufgeben jeder Menschenwürde für die schwache Aussicht, unter Sieben die Erbtehaft des excentrischen Verstorbenen einzustecken! Ich werde über und über roth, wenn dieser schwarzbraune Tommy mich nur ansieht!… Ich hätte den Meister Tornbrock zum Teufel lagen, nicht an dieser albernen Partie theilnehmen sollen, von der es klug und weise wäre, sich zur großen Genugthuung eines Titbury, Crabbe, Kymbale und Urrican zurückzuziehen. Ich spreche nicht von der sanften, bescheidenen Lissy Wag, denn dieses junge Mädchen sah mir gar nicht besonders erfreut aus, zu der Gruppe der Sieben zu gehören. Ja… zum Kuckuck… das thät’ ich auf der Stelle und bliebe in Wyoming, so lange es mir gefiele, wenn nicht mein braves Mütterchen wäre, die es mir nicht verzeihen könnte, die Flinte ins Korn geworfen zu haben!… Da ich nun aber einmal in dem unvergleichlichen Yellowstonelande bin, will ich auch alles sehen, was in zehn Tagen zu sehen irgend möglich ist!«
Das war der gewiß nicht zu verwerfende Gedankengang Max Real’s, als er die Reisewege studiert hatte, die den Verhältnissen am besten zu entsprechen schienen. Wäre er übrigens so gereist, wie er’s wünschte, so hätte er nicht allein manche Verzögerungen erfahren, sondern sich auch mancherlei Gefahren ausgesetzt. Die Ebenen und die Thäler des Innern von Wyoming sind keineswegs sicher, wenn man allein durch sie hinzieht. Abgesehen von dem gelegentlichen Zusammentreffen mit wilden Thieren, Bären und anderen Raubthieren, die hier hausen sind auch noch Ueberfälle durch Indianer, vor allem durch nomadisierende Sioux. zu befürchten, von denen noch lange nicht alle in den ihnen vorbehaltenen »Reservationen« untergebracht sind.
Bei den Expeditionen, die die Bundesregierung 1870 zur Erforschung des Gebietes des Yellowstone aussandte, wurde den Herren Doane, Langford und Doctor Haiden auch eine militärische Bedeckung beigegeben, um sie bei der Erledigung ihres Auftrages zu schützen. Zwei Jahre später, am 1. März 1872, erklärte der Congreß diese Gegend als »Nationalpark« – ein Gebiet, das aus mehr als einem Grunde ein achtes Weltwunder genannt zu werden verdient.
Zwei Ueberlandlinien verbinden New York mit San Francisco: die erste, die Union Pacific, die von Granger aus den Namen Oregon Short Line annimmt, verläuft über Ogden und ist in runder Zahl dreitausenddreihundertachtzig Meilen (5490 Kilometer) lang; die zweite, fünftausenddreihundert Meilen (8540 Kilometer) lange Linie berührt Topeka, Denver und andere wichtige Orte und mündet bei Cheyenne in die erste ein. Von dieser Stadt aus verläuft die Eisenbahn durch Wyoming, Utah, Nevada und Californien und endigt an der Küste des Stillen Oceans.
In Utah, und zwar in Ogden, zweigt sich ein Schienenstrang ab, der in Pocatello wieder die Union Pacific erreicht, von wo aus die Oregon Shat Line bis Helena City in Montana emporsteigt. Diese Linie kommt in kurzer Entfernung am Nationalpark vorbei, dessen Gebiet zum kleineren Theile den ersten beiden Staaten, zum größeren Theile dem letztgenannten Staate angehört.
Die Entfernung von Cheyenne nach Ogden beträgt nur fünfhundertfünfzehn Meilen (828 3/ 4Kilometer), und die von Ogden nach Monida, der dem Nationalpark am nächsten gelegenen Station, nur vierhundertfünfzig Meilen (724 Kilometer), die ganze Strecke ist also noch nicht tausend Meilen lang. Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, daß Max Real, der auf kürzestem Wege den nordwestlichen Theil von Wyoming erreichen wollte, dieser zweiten Linie den Vorzug geben mußte, die, wenn er sie eine kleine Strecke weiter verfolgte, ihm auch zum Besuche Ogdens Gelegenheit bot.
Noch am Abend – ebenso unerkannt bei ihrer Abreise wie bei ihrer Ankunft – bestiegen Max Real und Tommy den Zug und durchflogen die langen sumpfigen Ebenen von Laramie in ungestörtem Schlafe bis zur Station Benton City, einer jener Städte, die im Far West wie Pilze aus der Erde aufschießen und zuerst meist recht ungesund sind, bald aber durch die schnell fortschreitende Bodencultur entgiftet werden. Ohne daß die beiden Reisenden wieder erwacht wären, ließ der Zug längs des Bettes der Muddy Fork Laramie, Rawlins, Halville, Granger, Separation, die Buttes-Noires und den Green River hinter sich, der sich mit dem Grand River vereinigt und den Colorado bildet, gelangte nach der Station Aspen an der Grenze von Utah, drang auf das Gebiet dieses Territoriums ein und hielt am Morgen des 17. in Ogden.
Hier sendet die Union Pacific, wie schon erwähnt, vor der Umkreisung des Großen Salzsees, nach Westen zu eine vierhunderfünfzig Meilen lange Seitenlinie bis Helena City aus. Von demselben Punkte aus verläuft noch eine zweite nach Süden, die Ogden mit der Great Salt Lake City verbindet, mit der Hauptstadt des Staates, der großen Mormonenansiedelung, die so viel, doch nicht immer zu ihrem Vortheil, von sich reden gemacht hat.
Mit einem kleinen Umweg von sechsunddreißig Meilen hätte Max Real diese berühmteste unter allen Binnenstädten des Westens besuchen können. Er sah dennoch davon ab, schon im Hinblick auf die Möglichkeit, daß die Wechselfälle der Partie ihn noch einmal nach der Stadt der Heiligen der letzten Tage, nach dem Ehefrauenparadies Brigham Young’s und seiner mehrfach beweibten Glaubensgenossen führen könnten.
Читать дальше