Natürlich fiel es John Milner gar nicht ein, mit seinem Gefährten über dieses Vorhaben zu sprechen. So fuhren denn beide, ohne jemand davon benachrichtigt zu haben, und aus Vorsicht erst von der nächsten Bahnstation außerhalb Orleans, wohin sie sich zu Wagen begeben hatten, nach Eintritt der Dunkelheit ab, so daß sich am andern Morgen die ganze Stadt verwundert fragte, was wohl aus ihnen geworden sein möge.
John Milner schlug auch nicht denselben Weg ein, den er früher eingehalten hatte, um sich von Illinois nach Louisiana zu begeben. Das Schienennetz ist übrigens im mittleren und östlichen Theile der Vereinigten Staaten so engmaschig, daß es die Eisenbahnkarten wie mit einem Spinnengewebe bedeckt. So durchmaßen denn, ohne sich zu übereilen, ohne daß die Anwesenheit Tom Crabbe’s irgendwo geahnt wurde, in der Nacht fahrend und am Tage ausruhend und immer besorgt, keinerlei Aufmerksamkeit zu erregen, die indigoblaue Flagge und ihr Traineur die Staaten Mississippi, Tennessee und Kentucky und trafen am 20. mit Tagesanbruch in einem bescheidenen Hôtel des Vorortes Covington ein. Von hier aus hatten sie nur noch den Ohio zu überschreiten, um auf dem Boden Cincinnatis zu stehen.
Bis hierher war der Plan John Milner’s also glücklich in Erfüllung gegangen und Tom Crabbe unerkannt vor den Thoren der Metropole angelangt. Selbst die bestunterrichteten Tageszeitungen wußten nicht, was aus ihm geworden war – von New Orleans aus hatte man seine Spur verloren. – Der Leser dürfte sich wohl auch fragen, was die im Vorhergehenden wiedergegebenen Gespräche zu bedeuten hätten und was John Milner, wenn er sie mit anhören konnte, wohl gedacht haben möchte.
Ohne Zweifel hielt er sich für berechtigt, eine überraschende Wirkung zu erwarten – ebenso bei der ganzen Bevölkerung Cincinnatis, die ja an seinem Erscheinen im Postamte am 31. Mai verzweifeln mußte, wie vorzüglich unter den Wettenden, die beträchtliche Summen auf ihn gesetzt hatten, wenn Tom Crabbe am Vortage des Datums, wo er sich im Postamte vorzustellen hatte und nachdem alle Echos der Vereinigten Staaten vergeblich um Nachricht über ihn befragt worden waren, inmitten der zahlreichen Besucher der Thierschau von Spring Grove auftauchte.
Wer weiß indeß, ob John Milner nicht besser gethan hätte, die beiden Wochen, über die er bei der Abreise aus Texas verfügte, zu einer Vorstellungsrundfahrt seines berühmten Schülers durch Ohio zu verwenden. Dieser Staat mit seinen drei Millionen siebenmalhunderttausend Einwohnern nimmt in der nordamerikanischen Republik ja die vierte Stelle ein. Er hätte also doch ein Interesse daran haben müssen, seinen Schüler ebenso als Theilnehmer am Match Hypperbone, wie als »Licht« in der Welt der Boxer von Stadt zu Stadt, von Flecken zu Flecken zu führen und ihn in den bedeutenderen Städten Ohios auszustellen. Deren giebt es viele, die auch recht wohlhabend sind, und Tom Crabbe hätte da den besten Empfang gefunden.
Versteifte sich John Milner nicht geradezu auf seinen Theatercoup, so hätte er gewiß daran gedacht, den vorzüglichen Boxer in Cleveland zu zeigen, in jener prächtigen Stadt am Eriesee, ihn auf der Euklidavenue, der schönsten aller Alleestraßen der Union, spazieren zu führen und mit ihm durch die breiten, regelmäßigen, von wunderschönen Ahornbäumen beschatteten Straßen zu lustwandeln.
Die Stadt verdankt ihren Reichthum der Ausbeutung von Mineralölquellen, deren Becken mit ihrem Hafen, dem belebtesten am Eriesee, in Verbindung stehen. Der Handelsverkehr hier überschreitet den Werth von zweihundert Millionen Dollars. Von Cleveland hätte sich Tom Crabbe dann nach Toledo und nach Sandusky, ebenfalls zwei Binnenseehäfen und Sammelplätzen der Fischerflottillen, begeben müssen, und weiter nach den Industriecentren, die ihre Lebenskraft aus dem Ohio ebenso schöpfen, wie die Organe des menschlichen Körpers aus dem Blute der Pulsadern, nach Starbenville, Marietta, Gallipolis und vielen anderen. Hier wäre auch noch Columbus, der Sitz der Regierung des Staates, zu nennen, eine neunzigtausend Seelen zählende Stadt mit prächtigen öffentlichen Gebäuden und außerdem einer der reichsten Niederlagsplätze für Bodenerzeugnisse, sowie der Mittelpunkt einer regen Metallindustrie und Kohlengewinnung.
Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß von hier aus Schienenstränge nach allen Richtungen ausstrahlen, nach den fruchtbaren Ackerbaubezirken, den Getreidefeldern, auf denen der Maisanbau vorherrscht, den Tabakpflanzungen und Weingärten, die anfänglich wieder verkümmern zu sollen schienen, aber fröhlich gediehen, als die europäischen Reben durch amerikanische ersetzt worden waren, nach den üppig grünen Ebenen und den Waldungen mit schönen Baumarten, wie Akazien, Zirbelkiefern, Zucker-und rothem Ahorn, Schwarzpappeln und Platanen mit einem Stammumfang von dreißig bis vierzig Fuß, die sich fast mit den riesigen Sequoias des Westens messen können. Das von der Natur mit so freigebiger Hand bedachte Ohio, einer der mächtigsten Staaten der Union, sendet darum auch von den fünfunddreißig Senatoren und hundert Abgeordneten seines eigenen gesetzgebenden Körpers zwei Senatoren und fünfundzwanzig Abgeordnete nach dem Bundescongreß.
Hierzu kommt noch eine ausgebreitete Viehzucht und ein lebhafter Viehhandel des Landes, der die Schlachthäuser von Chicago, Omaha und Kansas reichlich versorgt, was die Lebhaftigkeit seiner Märkte erklärt und damit auch die der Ausstellung von Rindern, Schafen und Schweinen, die am 30. dieses Monats abgehalten werden sollte.
An eine solche Kreuz-und Querfahrt, die John Milner nicht wenig aufgehalten hätte, war aber nicht zu denken. Tom Crabbe wird, auch in bedeutenderen Städten, nicht auftreten. Er ist ohne Unfall und Beschwerde nach Art eines Vergnügungsreisenden an der Grenze von Kentucky angekommen. Während seines Aufenthaltes in Texas hat er sich vollkommen erholt und seine frühere Körperkraft wiedererlangt.

Schon war der Ausstellungsplatz voller Besucher. (S. 262.)
Auch unterwegs hat er nichts davon verloren, er ist in »bester Form«, und welch ein Triumph muß es werden, wenn er vor den Leuten in Spring Grove erscheint!
Am nächsten Tage wollte John Milner, doch wohl verstanden, ohne Begleitung seines neugierigen Genossen, einen Gang durch die Stadt machen.
»Tom, sagte er zu diesem, bevor er das Hôtel verließ, ich lasse Dich zurück und Du wirst mich hier erwarten.«
Da es nicht danach aussah, als wollte ihn John Milner wegen seiner Absicht erst befragen, hatte Tom Crabbe darauf nichts zu antworten.
»Du wirst unter keinerlei Vorwand aus dem Zimmer gehen,« setzte John Milner hinzu.
Tom Crabbe wäre jedenfalls ausgegangen, wenn man es von ihm verlangt hätte; jetzt wurde ihm das Gegentheil empfohlen, folglich blieb er, wo er war.
»Sollte ich länger ausbleiben, fügte John Milner noch hinzu, so wird man Dir Dein erstes Frühstück bringen, dann das zweite, hierauf auch den Lunch, später das Mittags-und ebenso das Abendessen. Ich werde das Nöthige bestellen und Du brauchst Dich wegen Deiner Nahrung nicht zu sorgen.«
Nein, sicherlich, Tom Crabbe würde sich deshalb keine Sorge machen und unter diesen Umständen die Rückkehr John Milner’s geduldig abwarten. So schleppte er denn seine gewaltige Masse nach einem großen Rocking-chair, setzte sich hinein und versenkte sich, leicht schaukelnd, in das Nichts seiner Gedanken.
John Milner begab sich nach dem Bureau des Hauses hinunter, bestimmte die Reihenfolge der stoffreichen Speisen, die seinem Begleiter aufgetragen werden sollten, ging durch das Hôtelthor, wendete sich durch die Straßen von Covington dem Ohio zu, überschritt diesen mittelst einer Dampffähre, landete an seinem rechten Ufer und durchwanderte nun, die Hände wie ein Spaziergänger in den Taschen, das Handelsviertel der Stadt.
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