Von diesem kleinen Wortwechsel aufgeheitert, gingen wir weiter. Wir waren noch keine fünf Meter weit gekommen, als Arab, der bereits fünfzehn zurückgelegt hatte, erneut anhielt. Er hockte sich noch einmal hin und deutete auf ein paar undeutliche Buddelspuren am Boden. »Das ist ganz frisch ausgehoben. Wahrscheinlich letzte Nacht. Hat nach der Orchideenknolle hier gebuddelt. Man kann sogar noch die Schnabelabdrücke erkennen.« Es wäre vielleicht der richtige Moment gewesen, hinsichtlich des Ausgangs unserer Expedition ein bißchen aufgeregt und optimistisch zu werden, aber als ich damit anfing, bekam ich sofort Kopfschmerzen und ließ es gleich wieder bleiben. Der blöde Vogel führte uns doch bloß an der Nase herum, und alles würde wieder darauf hinauslaufen, daß wir einen trübsinnigen Abend in der Hütte verbringen, unsere Objektive putzen und versuchen würden, das Ganze auf die leichte Schulter zu nehmen. Wenigstens wäre aber diesmal kein Whisky mehr da, weil wir ihn ausgetrunken hatten, also wären wir beim Verlassen von Codfish Island am nächsten Morgen nüchtern genug, um uns eingestehen zu können, daß wir zwölftausend Meilen weit geflogen waren, um einen Vogel zu treffen, der nicht zu dem Treffen erschienen war, und uns nichts anderes übrigblieb, als die zwölftausend Meilen zurückzufliegen und zu versuchen, irgendwas über ihn zu schreiben. Ich muß in meinem Leben schon Blödsinnigeres getan haben, weiß aber leider nicht, wann. Beim nächstenmal hielt Arab wegen einer Feder an. »Das ist eine ausgefallene Kakapo-Feder«, sagte er, während er sie sanft vom Rand eines Busches pflückte. »Der eher gelben Färbung nach zu urteilen, höchstwahrscheinlich aus der Brustgegend.« »Ganz schön flaumig, oder?« sagte Mark, nahm sie und zwirbelte sie im nebligen Sonnenlicht zwischen seinen Fingern. »Glaubst du, daß sie erst vor kurzem ausgefallen ist?« fügte er hoffnungsvoll hinzu.
»O ja, die ist ganz bestimmt frisch«, sagte Arab. »Also waren wir bisher noch nie so nah...?« Arab zuckte die Achseln. »Ja, sieht so aus«, sagte er. »Muß aber nicht heißen, daß wir einen finden. Man kann praktisch auf einem draufstehen und ihn trotzdem übersehen. Alles deutet darauf hin, daß hier am frühen Abend ein Kakapo ziemlich aktiv war, kurz nachdem wir gegangen sind. Was bedeutet, daß wir ziemlich schlechte Karten haben, weil es heute nacht geregnet hat und die Fährten zum Teil verwaschen sind. Es gibt hier jede Menge Fährten, nur leider keine eindeutigen. Wer weiß, vielleicht haben wir Glück.« Wir schleppten uns weiter. Mag sein, daß es jetzt kein Schleppen mehr war. Mag sein, daß unsere Schritte vorübergehend etwas schwungvoller waren, aber als eine halbe Stunde und dann eine Stunde verstrich und die Sonne allmählich höher in den Himmel kletterte, wurde Arab wieder einmal zu einem weit, weit vor uns durch die Bäume schwebenden Gespenst, bis wir ihn schließlich ganz aus den Augen verloren. Schlagartig wich der Schwung aus unseren Schritten. Wir stolperten weiter, geführt von den schwachen Geräuschen von Boss' Glocke, die uns noch immer von der leichten Brise zugeweht wurden, aber dann hörte auch das auf, und wir hatten uns verirrt.
Ron war uns, mit nach wie vor lärmender schottischer Begeisterung, ein Stück vorausgehüpft, geriet jetzt jedoch genau wie wir ins Schwimmen, was den richtigen Weg betraf. Wir kletterten über eine dicht mit Farnen und Baumstumpfen bedeckte Böschung, die zu einer breiten, flachen Senke hinunterführte, in der Ron stand und sich perplex umschaute. Beim Versuch, den matschigen, in die Senke führenden Abhang zu meistern, verlor Gaynor den Halt und rutschte elegant auf dem Hintern nach unten. Ich verfing mich mit meinem Kamerariemen in dem weit und breit einzigen Ast, der nicht bei der leichtesten Berührung abbrach. Mark blieb stehen, um mir beim Entheddern zu helfen. Ron, der wieder mit der Schottenhüpferei angefangen hatte, hoppelte den gegenüberliegenden Abhang hinauf und rief nach Arab.
»Können Sie ihn sehen?« rief Mark.
Mir kam plötzlich eine Idee. Wir hatten uns verirrt, weil Boss' Glocke zu klingen aufgehört hatte. Da Mark offenbar genauso urplötzlich dieselbe Idee gekommen war, platzten wir beide gleichzeitig los. »Haben sie einen Kakapo gefunden?«
Ein Ruf ertönte.
Gaynor drehte sich zu uns um und schrie: »Sie haben einen Kakapo!«
Urplötzlich fingen wir alle mit der Schottenhüpferei an.
Mit viel Geschrei und Hallo kletterten und schlitterten wir hektisch über den Boden der Senke, zerrten uns auf der anderen Seite nach oben und rutschten hinunter in die nächste Senke, an deren gegenüberliegender Seite, auf einer moosbewachsenen Böschung vor einem steilen Abhang, sich ein äußerst eigentümliches Gruppenbild bot.
Es dauerte einen Augenblick, bis ich herausgefunden hatte, womit die Szene Ähnlichkeit hatte, und als es mir klar wurde, blieb ich kurz stehen und näherte mich dann wesentlich behutsamer.
Es war wie ein Marienbildnis.
Arab saß im Schneidersitz auf der moosbewachsenen Böschung, und sein langer, nasser, graumelierter Bart floß ihm in den Schoß. Und in seine Arme gebettet lag, sanft in seinen Bart geschmiegt, ein großer, dicker, verdreckter, grüner Papagei. In stiller Bereitschaft stand Boss neben ihnen und betrachtete sie aufmerksam mit schiefgelegtem Kopf.
Angemessen schweigsam gingen wir zu ihnen hinauf. Aus Marks Kehle drangen leise Grunzlaute.
Der Vogel war sehr ruhig und sehr reglos. Er schien nicht beunruhigt zu sein, schien aber genausowenig zu wissen, was vor sich ging. Der Blick aus seinen großen, schwarzen, ausdruckslosen Augen verlor sich irgendwo in der Ferne. In seinem Schnabel hielt er, zart, aber bestimmt, Arabs rechten Zeigefinger, von dem Blut heruntertröpfelte, und das schien eine sehr beruhigende Wirkung auf den Vogel zu haben. Arab versuchte behutsam, ihn wegzuziehen, aber dem Kakapo gefiel der Finger, und Arab ließ ihn schließlich, wo er war. An Arabs Hand tröpfelte noch ein bißchen mehr Blut herab und vermischte sich mit dem Regenwasser, von dem sowieso schon alles durchtränkt war.
Mark murmelte zu meiner Rechten, welche Ehre es sei, von einem Kakapo gebissen zu werden, was ein für mich kaum nachzuvollziehender Standpunkt war, aber ich hielt den Mund.
Wir fragten Arab, wo er ihn gefunden habe.
»Der Hund hat ihn gefunden«, sagte er. »Ich vermute mal. so ungefähr zehn Meter diesen Hügel rauf, unter dem umgeknickten Baum da. Und als der Hund zu nah rankam, hat unser Freund das Weite gesucht und ist bis hierher runtergelaufen, wo ich ihn eingefangen habe. Er ist aber in guter Verfassung. An seiner schwammigen Brust kann man sehen, daß er dieses Jahr kurz vor dem Balzen steht. Das ist sehr erfreulich. Es bedeutet, daß er sich nach der Umsiedlung gut eingelebt hat.«
Der Kakapo rutschte ein Stück in Arabs Schoß herum und drückte sein Gesicht tiefer in den Bart. Arab strich ihm sehr sanft über die klammen, gesträubten Federn.
»Er ist ein bißchen nervös«, sagte er. »Wahrscheinlich wegen der Geräusche. So verdreckt sieht er nur aus, weil er naß ist. Er hat wohl an einem trockenen Plätzchen gesessen, als Boss ihn gewittert hat, und ist wahrscheinlich vom Geräusch der Glocke oder dem zu nah herankommenden Hund verscheucht worden und den Hügel runtergerannt und wollte nicht mal aufhören zu laufen, als ich ihn längst hatte. Er hält mich nur ein bißchen fest, mehr nicht. Wenn er den Druck erhöhen wollte...« Er zuckte die Achseln. Der Kakapo hatte unverkennbar einen sehr kraftvollen Schnabel. Es sah aus, als habe man ihm einen großen, mit Horn gepanzerten Dosenöffner ins Gesicht geschweißt.
»Er ist absolut nicht so entspannt wie viele andere Vögel«, murmelte Arab. »Eine Menge Vögel sind wirklich entspannt, wenn man sie in der Hand hält. Ich möchte ihn nur nicht zu lange festhalten, weil er naß ist und fürchterlich frieren wird, wenn das Wasser bis auf die Haut dringt. Ich lasse ihn jetzt besser wieder frei.«
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