Trotz seiner Schlauheit hatte James in seinen Unternehmungen Unglück, und dies war vornehmlich seiner blinden Habgier zuzuschreiben, die ihn oft den Schatten der Dinge für deren Wesen nehmen ließ, und auch sein Vermögen war bald durch übel berechnete Spekulationen verzehrt.
John, dessen Einnahmen sich fortwährend steigerten, hatte ihm wiederholt geholfen, und ihn endlich, mit mehreren Tausend Dollar ausgerüstet, nach Colorado gesandt, wo einiges Kapital sich damals leicht verzehnfachen ließ. Dort schien James endlich Erfolge erzielt zu haben, denn ein Jahr vor dem Tode Johns erschien er in Woodhouse und erstand in dessen Nähe eine kleine Farm, um sie zu bewirtschaften. Auch hierbei unterstützte ihn der großmütige Bruder.
Kurz nach seinem Zerwürfnis mit seinem Bruder Edward, welches diesen für alle Zeit in die Ferne trieb, heiratete John. Nach einem Jahre ward ihm ein Knabe geboren, der, schwach an Körper, auf den Rat des Arztes auf einer kleinen Farm im Walde, seiner Gesundheit wegen, erzogen wurde und im vierten Lebensjahre durch Nachlässigkeit der Dienstboten seinen Tod in den Fluten des Arkansas fand. Bald darauf wurde Paul geboren, der bald der Stolz und die Freude, ja das ganze Glück des Vaters ward, und dies umsomehr, als ihm die geliebte Lebensgefährtin starb, als das Kind nur wenige Wochen zählte. Paul, ein gut beanlagter Knabe, der sich rasch und kräftig entwickelte, war noch nicht ganz sechzehn Jahre, als, während er in Little Rock, der Hauptstadt des Staates, die Schule besuchte, sein Vater plötzlich von hinnen schied und ihn unter der Vormundschaft seines Oheims James, welche der Richter angeordnet hatte, zum Erben einer großen Besitzung machte.
Dies war in großen Zügen die Geschichte der Osborne in den letzten Jahrzehnten, und das stattliche Haus am Arkansas war die Heimstätte des jungen Paul, der in so früher Jugend der Herr eines großen Vermögens wurde.
Die Lage des Hauses war sehr glücklich gewählt; prächtig war der Blick auf den breiten Fluß und das gegenüberliegende Ufer. Wie gewöhnlich, war auch heute der Strom reich belebt von großen und kleinen Kähnen aller Art, deren Segel sich im Wasser widerspiegelten.
Von Zeit zu Zeit rührten die Schaufelräder eines Dampfers die Fluten zu schäumenden Wellen auf, die in immer leichteren Schwingungen sich fortpflanzend, endlich an den Ufern mit leichter Brandung erstarben.
Außer dem freundlichen Wohnhaus, das ein wohlgepflegter Garten umgab, boten sich dem Auge Ställe und Vorratshäuser in der Nähe. Felder, welche Mais und Weizen trugen, zeigten sich ringsum, und kleine Gehölze dazwischen brachten angenehme Abwechslung in das Bild.
Bei den Wirtschaftsgebäuden zeigte sich einiges Leben, mehrere Neger waren dort mit ländlichen Arbeiten beschäftigt, Garten und Wohnhaus aber lagen still und vereinsamt da. Die Jalousien waren herabgelassen und alles machte hier den Eindruck der Verlassenheit.
Der alte Mann in einfacher Farmertracht, der auf der Veranda saß und in einer Zeitung las, vermochte durch seine Anwesenheit diesen Eindruck nicht zu verscheuchen.
Er legte die Zeitung fort und blickte über den Strom hinweg sorgenvoll in unbestimmte Ferne, und ein trüber Ernst lagerte auf den derben Zügen des sonngebräunten, von schneeweißem Haar umrahmten Gesichtes.
Während er so, in Sinnen verloren, an der Brüstung der Veranda stand, öffnete sich eine kleine in das Innere des Hauses führende Thür, und eine dicke Negerin trat heraus. Die Frau war alt, denn das Kopftuch umhüllte graues Haar, doch sah sie noch gut aus, und ihr einfaches Kalikokleid ließ an Sauberkeit nichts zu wünschen übrig.
Sie warf einen Blick auf den alten Herrn, trat dann auf ihn zu, knixte und sagte: "Alte Corneli doch fragen, ob Masser Brown keine Nachricht von Masser Paul bekommen?"
Der mit Brown angeredete Mann wendete sich um, und die Negerin erschrak, als sie sein kummervolles Gesicht erblickte.
"Jesus, Masser Brown, ihr doch nicht bekommen schlechte Nachricht von Paul?"
"Gott mag wissen, Cornelia, wie es mit dem Jungen steht", entgegnete der Alte betrübt, "längst hätten James Osborne und er zurück sein müssen, längst Nachricht von Paul gekommen sein - und eben lese ich im Little Rock-Observer, daß in Kansas Weiße von Indianern überfallen und gemordet worden sind."
Die alte Frau fuhr heftig zusammen und fragte mit vor Aufregung zitternder Stimme: "Jessus, Masser Brown, ihr doch nicht glauben, unser Paul von wilden Menschen ermordet?"
"Ich will's nicht glauben, Cornelia. Mr. Osborne ist ein kluger Mann und begiebt sich nicht leicht in Gefahr - ich will's nicht glauben, kann's nicht glauben; Gott wird ihn schon schützen, den Jungen."
"Denken auch, Masser Brown, liebe Gott nicht so grausam sein und Paul töten lassen von schlechtem Injin."
Der Mann schlug heftig mit der Hand auf die Brüstung der Veranda und sagte mit starkem Ausdruck: "Hätte ich den Jungen doch nicht reisen lassen, am wenigsten mit diesem", - er verschluckte ein Wort, "der keinen Finger aufheben würde, um ihn vor Gefahr zu schützen; aber Paul war ja wie versessen darauf, die Prairien zu sehen. Ist ihm ein Unglück begegnet, werde ich es mir zeitlebens nicht verzeihen."
Die alte Negerin weinte und sagte schluchzend: "Ich mich zu Tode ängstigen um kleinen Masser Paul, er so gutes Kind, ihn lieb haben von ganz klein auf. Ich nicht denken können, daß ihm Unglück widerfahren, er so hübsch und klug, ihm niemand ein Leid thun."
"Mögest du die Wahrheit sagen, Cornelia. Ist dem Jungen was geschehen, auch mir würde das Herz brechen."
Die beiden hatten nicht beachtet, daß ein stromaufgehender Dampfer zwei Passagiere abgesetzt hatte, welche ein Boot an das Ufer dicht vor Osbornes Hause führte; erst Schritte, welche sich vor der Veranda hören ließen, machten sie aufmerksam, daß sich jemand nähere.
Kaum erblickte Brown die Männer, welche sich auf dem Kieswege der Veranda näherten, als er einen lauten Schrei ausstieß: "Mister James". Er ging oder lief vielmehr hinunter, den Ankommenden entgegen: "Wo ist Paul, wo ist Paul, Mr. James?"
Der so Angeredete, ein Mann von hoher, magerer Gestalt, harten Gesichtszügen und einem Augenpaar, welches wie die Lichter eines Wolfes unter dichten, überhängenden Brauen hervorfunkelte, blieb stehen, zog ein seidenes Taschentuch hervor und verhüllte sich, wie von Schmerz überwältig, das Gesicht.
Brown wurde bleich, und seine Stimme zitterte, als er die Frage wiederholte: "Wo ist Paul, Mr. James?"
Mr. James Osborne wischte sich die Augen und winkte dem Alten, ihm zur Veranda zu folgen, auf der die Negerin, die den ganzen Vorgang beobachtet hatte, wie versteinert stand.
Mr. James ließ sich wie erschöpft in einen Stuhl fallen und seufzte tief.
Sein Begleiter war im Garten geblieben. Brown starrte den Bruder seines ehemaligen Herrn mit steigendem Entsetzen an, und die Negerin war vor Aufregung und Angst bei diesem sonderbaren Gebahren Osbornes fast grau im Antlitz geworden.
"Bereitet euch auf das schlimmste vor, guter Brown", sagte Mr. James.
"Allmächtiger Gott, was giebt's, was hat's gegeben?"
"Unser lieber Junge ist uns für immer entrissen, Brown", und Mr. Osborne drückte wieder das Taschentuch vor die Augen.
Der greise Brown zitterte wie Espenlaub, und kein Wort wollte über seine bleichen Lippen.
Die Negerin aber hatte kaum die Worte vernommen, welche so großes Unheil ankündigten, als sie in ein Jammern und Heulen ausbrach, wie es nur der so leidenschaftlichen Natur der schwarzen Rasse eigentümlich ist.
"O Gott, o Gott, Jessus, Masser Paul, o Gott, o Gott", schrie und stöhnte sie und stürzte dann, die Schürze über den Kopf werfend, ins Haus hinein.
Brown ermannte sich so weit, um fragen zu können: "Tot? Paul ist tot?"
Mr. Osborne nickte stumm.
Читать дальше