Da rutschte er aus, eine Strecke hinab und mochte wohl Steine ins Rollen gebracht haben. Jetzt erhoben sich die Aimaràs wie ein Mann und starrten nach den Felsen.
Alonzo schien in Todesangst dort einherzuklettern. Der größere Teil der Aimaràs lief auf die Felsen zu mit einem Triumphgeheul, das bis zu den Lauschern drang. Drei blieben zurück, wohl um die Pferde zu bewachen.
Diejenigen, die Alonzo nachsetzten, waren verschwunden. Alonzo ebenfalls. Die zurückgebliebenen Indios schauten hinauf zu den Felsen.
Der Mestize legte seine Büchse an die Wange und schoß.
Jetzt war die Gestalt des kühnen Knaben wieder sichtbar. Die unten schrieen, Alonzo schlüpfte hinter einen Felsen.
Zitternd vor Aufregung sahen Fernando und der Halbindianer dem zu.
"Jetzt vorwärts," sagte Antonio, "es ist Zeit!"
"Ja, wir wollen es wagen!"
"Nehmt das Pferd des Knaben, Don Fernando, ich will schießen."
"Ja."
Eilig bestiegen sie die Mulos. Antonio ritt, die Büchse in der Hand, voran, Fernando folgte, das Pferd Alonzos am Zügel führend. Die Aufmerksamkeit der drei zurückgebliebenen Aimaràs war so ganz auf die Felsen gerichtet, daß sie das Erscheinen der Flüchtlinge nicht bemerkten. Wieder zeigte sich der verwegene Knabe an einer anderen Stelle -, er gewahrte die Freunde und war gleich darauf nicht mehr gesehen.
Jetzt wandte sich einer der Aimaràs um, und sein gellender Schrei belehrte die Flüchtenden, daß sie entdeckt waren. Sie waren bereits in Schußweite und der Mestize riß, dies erkennend, die Büchse an die Wange und schoß auf den, der geschrieen hatte. Er mußte getroffen haben, denn der Mann wankte und fiel ins Gras nieder. Die beiden anderen verschwanden mit großer Geschwindigkeit hinter den weidenden Pferden.
"Vorwärts! Vorwärts!" schrie Antonio; sie trieben die Tiere an und erreichten, das Tal rasch durchreitend, bald den engen Felspfad, der sie weiter führen sollte.
Fünftes Kapitel.
Die Grabstätte der Kaziken
Alonzo hatte es in der Tat schwierig gefunden, auf die andere Seite des Tales zu gelangen, und dazu mehr Zeit gebraucht, als er voraussetzte. Auch war ihm diese Seite der das Tal der Aimaràs umgebenden Berge nicht bekannt genug, um die kürzesten Pfade zu wählen. Endlich war er an der bezeichneten Stelle.
Seine Absicht, die Feinde zur Verfolgung zu bewegen, gelang, und er sah noch, wie seine Begleiter durch das Tal ritten, hörte auch den Schuß des Mestizen. Jetzt galt es also, zu der Stelle zu gelangen, die er mit den Freunden verabredet hatte.
Sein Gesicht hatte er, als er sich auf den Felsen zeigte, abgewendet gehalten, so daß er im Poncho und Sombrero für Don Fernando gehalten wurde.
Waren ihm diese Berge und Schluchten gleich nicht vertraut, verließ er sich doch auf seinen Jägerinstinkt und seine Kraft und Geschicklichkeit in Überwindung von Schwierigkeiten im Bereiche des Felsengebirges. Welche Richtung er einzuhalten hatte, um den Weg nach Westen zu erreichen, wußte er genau, ihn täuschte der wechselnde Stand der Sonne nicht.
In seinen Verfolgern hatte er aber Feinde, die diesen Teil des Gebirges kannten und das grimmige Verlangen fühlten, dessen, der sie so schmählich getäuscht hatte, habhaft zu werden.
Dies wurde Alonzo bald inne, als er sich zweimal die Richtung verlegt fand, die er einhalten wollte und einhalten mußte. Nur seine große Vorsicht verhinderte, daß er entdeckt wurde. Der Knabe, der so lange in der Gefangenschaft der Wilden geschmachtet hatte, war entschlossen, sich lieber in einen Abgrund zu stürzen, als sich von neuem in ihre Hände zu geben.
Da er den Verlauf der Schluchten nicht kannte und darum in diesen leichter der Gefahr ausgesetzt war, überrascht und umzingelt zu werden, mußte er sich auf den Höhen halten.
Wiederholt vernahm er Stimmen von unten und wurde hierdurch gezwungen, weiter von der Richtung, in der sein Ziel lag, abzuweichen, als es wünschenswert war. Im Begriff, einen abgeplatteten Felsen zu überschreiten, der mit dünnen Büschen bedeckt war, verriet ihm ein von der Seite kommender Ausruf, daß er gesehen worden sei.
Sein Auge gewahrte auf dem Nachbarfelsen, der durch eine steil abfallende Schlucht von dem getrennt war, auf dem er weilte, das Haupt eines Aimarà.
Der erregte Knabe riß mit Gedankenschnelle die Büchse an die Wange und feuerte. Krachend entlud sich die Waffe und der Kopf verschwand. Er lud seine Waffe rasch wieder und schaute, sich hinter Büschen deckend, um, jeden Augenblick erwartend, neue Feinde auftauchen zu sehen. Aber nichts zeigte sich.
Behutsam kroch er dann durch die Büsche dem Rande des Felsens zu, um einen Ausblick in die trennende Schlucht zu gewinnen. Vorsichtig blickte er über den Rand, gewahrte aber nichts Verdächtiges.
Eilig lief er nun nach der anderen Seite und hier war der Abstieg möglich. Er warf sich zwischen den Büschen nieder, um zu ruhen, denn seine Kraft war übermäßig in Anspruch genommen worden.
Er sah zur Sonne auf, die still ihre Bahn am weiten Himmelsbogen einherzog und dachte: "Werde ich die Heimat wiedersehen, auf die du jetzt auch deine goldenen Strahlen niedersendest? Oder muß ich fern von ihr in bitterem Herzeleid unter den Messern dieser Menschen sterben?"
Nichts regte sich um ihn, nichts Verdächtiges gewahrte sein forschendes Auge.
War der, auf den er schoß, allein gewesen? Hatten die anderen Aimaràs den Knall seiner Flinte vernommen? Daß der Schall eines Schusses, der in der Höhe abgegeben wird, schwer nach unten in die Schluchten dringt, wußte Alonzo.
Kannten aber jetzt die Aimaràs die Stelle, wo er weilte, so war es wahrscheinlich genug, daß bald von allen Seiten der Fels erstiegen werden würde. Geschah dies, war er entschlossen, zu kämpfen bis zum letzten Augenblick.
Still blieb es ringsum.
Er fühlte sich wieder kräftig und beschloß, den Abstieg zu wagen.
Er begann hinabzuklettern, fortwährend alles ringsum mit forschendem Auge überfliegend und von Zeit zu Zeit lauschend.
Er kam hinab und betrat eine mit Steingerölle bedeckte Schlucht.
Die Sonne sagte ihm, daß er sich nach rechts wenden müsse.
Eine andere Schlucht, breiter und mit Gras und Büschen bewachsen, kreuzte die, in der er einherging. Gebückt schritt er hindurch.
Ehe er sie noch hinter sich gebracht hatte, belehrten ihn gellende Rufe aus der Höhe, daß er entdeckt sei. Die Aimaràs schienen sämtlich oben zu sein. Sie hätten schießen können, denn einige führten Büchsen, aber zu sehr lag ihnen daran, den Gefangenen lebend zu haben, und er konnte ihnen nicht mehr entgehen.
Jetzt lief Alonzo, der immer noch den Sombrero und Poncho Don Fernandos trug, in der Fortsetzung der Schlucht, die er zuerst betrat, weiter. Er wußte, daß er die gewandten Verfolger bald auf seiner Ferse haben werde.
So mit aller Anstrengung vorwärts stürmend gewahrte er zur Rechten seines Weges auf einem Felsvorsprung einen gewaltigen, viereckig behauenen Stein und dahinter den Teil einer dunklen Öffnung im Felsen. Er wußte, daß ringsum in den Bergen Begräbnisstätten des einst zahlreichen Volkes der Aimaràs sich in den Felsen befanden, und hoffte, dies würde eine solche sein. Ein rauher Felspfad führte hinauf, Alonzo klomm ihn empor und verschwand in der Öffnung. Gleich darauf betraten zwei Indianer die Schlucht. Sie liefen weiter, die anderen kamen nach. Diese schenkten dem Orte, den Alonzo als Zuflucht aufgesucht hatte, mehr Beachtung als die ersten.
Sie blieben stehen und schauten hinauf.
"Dort schlummern die Toten früherer Zeiten," sagte ein älterer Mann, "als vor Jahren der Erdgeist zornig war und die Felsen schüttelte, verrückte sich der schließende Stein und öffnete die Pforte des Todes."
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