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Raschen Entschlusses rief er laut: »Schieß!«
Drei rote Feuerströme leuchteten an den Pallisaden auf, und mit aller Kraft schleppte der Indianer den stöhnenden Mann zu dem am Tor befindlichen Vorbau und gelangte ungefährdet hinter diesen. Draußen blieb alles still, Michael öffnete die Türe und der Indianer ließ seine Last sanft zur Erde gleiten.
Die Andern kamen vom Wall herunter und trugen gemeinschaftlich den Verwundeten nach dem Offiziershause, während Athoree noch die Patronen hineintrug, Michael schloß dann sorgfältig den Eingang.
Bei der Lampe Schein erkannte Johnson in dem Geretteten den Leutnant des Forts, Sounders. Man öffnete ihm die Kleider und sah nach seinen Wunden. Diese waren nicht erheblich, und sein Zustand mochte durch Blutverlust und Ueberanstrengung hervorgerufen sein. Man zerriß ein Betttuch und verband ihn. Dann legte man ihn auf die noch vorhandene Matratze.
»Gut gemacht, Athoree,« sagte der Graf und drückte herzlich dem Indianer die Hand. »Du bist ein Krieger, den ich bewundere. Gott sei vor allem Dank, daß wir die Patronen haben, von ihnen hängt vielleicht unser Leben ab.«
Während dieser Vorgänge, welche alle Aufmerksamkeit der Männer in Anspruch nahmen und die begreifliche Erregung nicht verminderten, hatte man kaum des gefangenen Indianers gedacht.
Athoree erinnerte an diesen, indem er sagte: »Gefangenen holen.«
Er hatte ihn so fest mit seinen Riemen umschnürt, daß an Entweichen nicht zu denken war. Man fand ihn auch fast an derselben Stelle, wo er gebunden worden war. Er hatte sich nur halb aufgerichtet und saß dort, den Rücken an einen Holzstoß gelehnt.
Athoree und Michael, welche hinausgegangen waren, richteten ihn ganz empor und forderten ihn auf, mit ihnen zu gehen.
Schweigend folgte ihnen der Ottawa nach dem Haufe.
Michael konnte es bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen, seinem Zorne auf die roten Leute Luft zu machen.
»So, Bursche, du ziehst ehrlichen Leuten die Kopfhaut herunter? Das sind also eure kannibalischen Teufelsstreiche? Nun, einige deinesgleichen habe ich bezahlt, Lump du. Was meinst du denn nun, wenn ich dir einen mit meinem gesegneten Shillalah geben wollte? Wie? Ich würde dir den Schädel zu Brei schlagen, du roter heimtückischer Mörder, der du bist. Und das wäre noch viel zu wenig Strafe für einen solchen im Dunkeln schleichenden Strolch. Gerädert mußt du werden, und das von unten auf.« [232]
Unter dergleichen Trostsprüchen, denen er hie und da einen gelinden Puff zugesellte, begleitete er mit Athoree den Gefangenen und führte ihn in das Zimmer, wo die andern saßen.
Beim Scheine der Lampe betrachtete man ihn nun genauer.
Es war ein Jüngling von achtzehn bis neunzehn Jahren, von schlanker Gestalt und nicht unfreundlichen Gesichtszügen. Er suchte großen Gleichmut zu zeigen, doch erschrak er bemerkbar, als er Johnson erblickte, und die dunklen, glänzenden Augen durchforschten unruhig das Zimmer.
Johnson richtete dann die Frage an ihn: »Warum haben die Ottawas die Streitaxt ausgegraben? Der junge Krieger möge mir das sagen!«
Der Wilde starrte ihn nun an, ohne indes zu antworten.
»Will der Ottawa meine Frage nicht beantworten? Vielleicht spricht er nicht die Sprache der Inglis?«
Er wiederholte seine Frage im Dialekte der Ottawas, von dem er einige Worte sprach, aber des jungen Gefangenen Augen wanderten nur von einem der Anwesenden zum andern, hafteten am längsten auf Athoree und richteten sich dann unter demselben trotzigen Schweigen wieder auf Johnson.
»Es ist vergeblich, ihn zu verhören,« sagte dieser, »wenn ein Indianer nicht sprechen will, bringt ihn keine Macht der Erde dazu. Wir müssen den Burschen verwahren, vielleicht daß er morgen gefügiger ist.« Man nahm ihm Messer und Tomahawk, die er noch am Gürtel trug, die Büchse hatte er fallen lassen, als ihn Johnson niederwarf, lockerte seine Bande, die ihn wohl, ob er gleich keinen Schmerz verriet, arg belästigen mußten, so weit, daß dieser gemindert wurde, ohne die Sicherheit seiner Gefangenhaltung zu beeinträchtigen, und führte ihn in ein kleines Nebengemach, wo man ihn einschloß.
Athoree begab sich hinaus, um Wache zu halten, er schien keine Müdigkeit zu kennen. Graf Edgar blieb mit seinen zwei Gefährten still im Zimmer des so jäh dahingeschiedenen Davis sitzen.
Johnson, dessen gewaltige Körperkraft alle bewundert hatten, zeigte seine gewöhnliche Ruhe, beim Grafen und Heinrich aber machte sich nach den Anstrengungen des Tages und den furchtbaren Scenen und Eindrücken der letzten Stunde Abspannung geltend.
Dennoch fühlten sie nicht das Bedürfnis, zu schlafen, die seelische Erregung war zu groß. Nur der brave Michael hatte sich in einer Ecke des Zimmers eine Schlafstätte hergerichtet und schlief bereits den Schlaf des Gerechten, seinen Shillalah im Arm. [233]
Es war ein trauriges Bild, welches das Zimmer bot. An den Wänden, Möbeln und Fenstern war die zerstörende Hand der Wilden zu bemerken, draußen herrschte dunkle Nacht und das Schweigen des Todes.
Der kleinen Lampe Schein fiel auf den verwundeten Offizier dort auf dem Bette, welcher seinen Atemzügen nach jetzt ruhig zu schlafen schien. Dann beleuchtete sie die drei ernsten Männer, welche in nachdenklichem Schweigen vor sich hinstarrten, unter ihnen die auffallende Erscheinung Johnsons.
»Welch ein Tag!« unterbrach der Graf endlich die Stille, »welch ein furchtbarer Tag! Im ganzen Kriege gegen Frankreich habe ich kein solch schauervolles Schlachtfeld gesehen, als dieses kleine Fort darbietet.«
»Ja, Herr, es ist grausig. Doch weisen unsre Grenzkriege mehr als ein solches Gemetzel auf. Ich begreife Euer Schaudern, doch ich - ich habe Dinge erlebt - die -mich ruhiger auf diese Zerstörung blühenden Lebens blicken lassen.«
»Wie wundersam, Heinrich,« wandte sich Graf Edgar an diesen, »spielt das Geschick mit uns! Wer hätte jemals im Vaterlande geträumt, daß mir eines Tages in diesen Urwäldern einsam sitzen würden, umheult von mordlustigen Wilden.«
»Ja, Herr Graf, es ist seltsam genug, und wer weiß, was uns noch für Dinge aufbehalten sind. Ich habe oftmals im stillen Wald darüber nachgedacht, wie wunderbar die Wege der Vorsehung sind. Ich weiß nicht, ob ich dem Herrn Grafen einmal mein Erlebnis von Chateaudun erzählt habe?«
»Nein, Heinrich.«
»Das war erstaunlich genug.
»Anfang der sechziger Jahre fand mein Vater auf der Landstraße einen Menschen, der krank zusammengebrochen war. Er nahm ihn mit ins Forsthaus, wo er sich als ein französischer Tapeziergehilfe auswies, der in Breslau gearbeitet hatte und sich auf dem Wege zur Heimat befand. Wir haben den erkrankten Menschen verpflegt und ihn schließlich, gesund, mit einiger Unterstützung nach seinem Vaterlande geschickt und seiner später nur selten gedacht.
»Während wir Jäger 1870 in Chateaudun lagen, wurden unsre Truppen arg von den französischen Räuberbanden, diesen Franktireurs, belästigt. Wir hatten vor allem die Aufgabe, den Burschen das Handwerk zu legen. So waren wir eines Tages mit der Kompanie ausgezogen, um die Waldränder etwas zu säubern. Wir gerieten dabei in einen Hinterhalt, wurden arg zusammengepfeffert und auseinandergesprengt. Ich flüchtete mit einem Kameraden in den Wald. Während [234] wir den Rückweg nach Chateaudun suchen, sehen wir uns unerwartet von etwa dreißig Franktireurs umringt. Schon wollen wir feuern, um unser Leben so teuer als möglich zu verkaufen, denn diese Franktireurs schlachteten alles ab, was in ihre Gewalt fiel, als eine Stimme auf deutsch sagt: >Laßt das, ihr seid Gefangene.< Hierauf ließen wir die Büchsen sinken und gaben uns gefangen.
»Der Hauptmann der Bande kam auf uns zu und betrachtete uns höhnisch, es war der, der uns die deutschen Worte zugerufen hatte. Wie ich mir den Kerl mit seinen dunkeln Augen und dem kleinen schwarzen Schnurrbart ansehe, steigt unwillkürlich das Bild des französischen Tapeziers, den wir vor sieben Jahren im Hause hatten, in mir auf. Ich frage: >Sind Sie einmal in Schlesien gewesen?< Erstaunt antwortet er: >Ja,< - >Und sind im Hause eines Försters freundlich verpflegt worden?<
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