Hodges setzte sich an die Spitze.»Mein Kamerad, Billy Norris«, sagte er,»ist dort geblieben und beobachtet weiter, Sir. Bleiben Sie dicht hinter mir. Ich hab' den Weg markiert. «Und Bolitho glaubte ihm aufs Wort, obwohl er nirgends ein Zeichen sehen konnte.
Erstaunlich, wie nahe sie waren. Schon nach kurzer Zeit tippte Hodges ihn auf den Arm und bedeutete ihm, unter einem scharfblättrigen Busch Deckung zu suchen. Und da lag auch schon, wie auf offener Bühne, der Meeresarm vor ihnen. Hier war es viel lichter als im Wald; die letzten Sonnenstrahlen spielten noch im Laub und malten schillernde Reflexe auf die träge Dünung. Langsam schob sich Bolitho vorwärts und versuchte, die schmerzhaften Stiche in Brust und Händen zu ignorieren. Dann erstarrte er und vergaß alle Unbequemlichkeiten, denn jetzt konnte er das Schiff deutlich sehen. Hinter sich hörte er, wie Allday seine eigenen Gedanken aussprach:»Bei Gott, Captain, es ist der Schuft, der die Dons auf das Riff gelockt hat!»
Bolitho nickte. In dem engen Meeresarm wirkte die Brigantine größer, aber sie war nicht zu verkennen. Er hätte sie, das wußte er genau, auf Jahre hinaus nicht vergessen. Dann hörte er auch das klägliche Stöhnen, von dem Hodges berichtet hatte; ein scharfer, metallischer Klang drang vom anderen Ufer der Bucht herüber.
«Sie legen den armen Teufeln Handschellen an«, flüsterte Allday. Bolitho zwängte sich noch etwas vor und erkannte die Ankerkette der Brigantine, ein längsseits liegendes Boot und ein glimmendes Licht an der Kampanje. Keine Flagge, ebenso wie damals. Aber zweifellos war die Mannschaft auf der Hut. Zwei Geschütze waren schußbereit ausgefahren, die Mündungen gesenkt, um etwaige Angreifer mit einer Salve zu empfangen.
Langsam glitt ein Boot vom Ufer zum Schiff hinüber, und Bolitho fuhr zusammen, als er den Aufschrei einer Frau hörte. Schrill, nervenzerreißend hallte der Ton von den Bäumen wider.
«Sie schaffen die Sklaven an Bord«, knirschte Allday.»Werden bald ablegen, schätze ich.»
Bolitho nickte und befahl Keen:»Holen Sie die anderen. Aber sie sollen leise sein. «Er sah sich nach dem zweiten Späher um, der dumpf im Busch hockte.»Du gehst mit!«Und zu Allday:»Wenn wir sie schnappen, werden wir endlich erfahren, wer hinter der Sache mit der Nervion steckt.»
Allday hatte beide Hände an seinem Entersäbel.»Bin sehr dafür, Captain!»
Dumpfe Laute drangen von der Brigantine herüber, dann folgte ein schriller Aufschrei, der in ein langgezogenes Kreischen überging, das aber plötzlich wie abgeschnitten verstummte. Wie weit mochte es wohl bis zur offenen See sein? Der Sklavenfänger mußte so unauffällig, wie er hereingekommen war, auch wieder hinaus und sich alle Mühe geben, jedes Aufsehen zu vermeiden, bis sein Schiff klar von der Küste war.
Bolitho konnte kaum glauben, daß er hier saß und ausgerechnet dieses Schiff beobachtete. Während die Undine lange nach den Überlebenden der Nervion gesucht und dann noch weite Umwege gemacht hatte, um das Land und andere Schiffe zu meiden, war dieser Sklavenfänger in aller Ruhe seinen Geschäften nachgegangen, als sei nichts geschehen. Er mußte eiserne Nerven besitzen.
Jetzt waren wieder Schreie zu hören, wie von Tieren im Schlachthaus. Slavenhändler hatten keine Empfindungen. Und schon gar kein Mitleid.
Bolitho hörte ein schwaches Geräusch hinter sich und dann Soames' leise, unbewegte Stimme:»Der junge Keen hat recht. Es ist tatsächlich dasselbe Schiff. «Prüfend blickte er über die Brigantine hinweg zu den Baumwipfeln empor.»Nicht mehr viel Zeit, Sir. In einer Stunde ist es stockfinster, vielleicht schon früher.»
«Glaube ich auch. «In der Lichtung wurden jetzt die Sklaven zusammengetrieben. Ein paar Rauchfetzen stiegen von einem Feuer auf; vielleicht hatte daran ein Schmied an den Handfesseln gearbeitet. Dort war der schwächste Punkt.»Nehmen Sie zwanzig Mann und umgehen Sie das Lager. Beim ersten Alarmzeichen feuern Sie mit allem, was Sie haben. Das sollte wenigstens eine Panik verursachen.»
«Aye. So wird's gehen.»
Bolithos Kopf war eiskalt vor Erregung. Bei solchen Gelegenheiten überkam ihn stets eine Art Besessenheit.»Ich brauche zehn Mann, die schwimmen können. Wenn wir es schaffen, an Bord zu kommen, solange sie noch verladen, müßten wir das Achterdeck halten können, bis Sie die Boote gestürmt haben und uns zu Hilfe kommen.»
Er hörte, wie Soames sich das stoppelige Kinn rieb.»Ein tollkühner Plan, Sir — aber jetzt oder nie!»
«Also dann… Sagen Sie Rojart, er soll mit ein paar Mann als Flankenschutz den Platz hier halten. Denn wenn alles schiefgeht, müssen wir wieder hierher zurück.»
Soames kroch zurück und gab flüsternd die Befehle weiter. Weitere Gestalten krochen raschelnd heran, und Keen meldete:»Unsere Abteilung ist klar, Sir.»
«Unsere Abteilung?»
Keens weiße Zähne blitzten in dem schwindenden Licht.»Ich schwimme ausgezeichnet, Sir.»
Besorgt murmelte Allday:»Hoffentlich gibt es hier keine von diesen verdammten Wasserschlangen!»
Bolitho blickte in die Gesichter der Männer. Wie gut er inzwischen die meisten von ihnen kannte! Er sah alles in diesen letzten Augenblicken. In manchen Augen glitzerte Angst, Erregung, auch die gleiche Wildheit, die ihn selber überkommen hatte. Und manche Gesichter waren von schierer brutaler Kampfeslust verzerrt.
Kurz befahl er:»Wir gehen unter diesen überhängenden Büschen ins Wasser. Laßt Schuhe und Strümpfe und alles andere bis auf die Waffen hier. Allday, Sie sorgen dafür, daß die Pistolen gut eingewickelt werden, damit sie trocken bleiben!»
Er inspizierte den Himmel. Es wurde schnell dunkel, nur an den Baumwipfeln hielt sich noch der sanfte Widerschein der Abendsonne. In der Bucht und bei der Brigantine war das Wasser schwarz und glanzlos wie flüssiger Schlamm.
«Los!»
Er hielt den Atem an, als ihm das Wasser über den Gürtel und dann bis zum Hals stieg. Es war sehr warm. Noch ein paar Sekunden wartete er, etwa auf einen Alarmruf oder Musketenschuß. Aber die erstickten Schreie vom Lager her verrieten, daß er den Zeitpunkt gut gewählt hatte. Die Sklavenfänger waren jetzt zu beschäftigt, um überall zugleich aufzupassen.
Die anderen schwammen mit hochgehaltenen Waffen, nur Keen überholte ihn mit gleichmäßigem Kraulen.»Ich schwimme zur Ankerkette, Sir«, flüsterte er und grinste tatsächlich dabei.
Weiter, immer weiter… Dann hatten sie den halben Weg hinter sich, und Bolitho wußte: wenn sie jetzt entdeckt wurden, waren sie verloren. Hoch ragten die Masten und Rahen über ihnen auf, die gerefften Segel hoben sich scharf gegen den Himmel ab. In der Dämmerung leuchtete die Ankerlaterne besonders hell. Nackte Füße platschten über die Decksplanken, und ein Mann lachte wild auf: ein trunkenes Lachen. Vielleicht brauchte man eine Extraration Rum für solche Arbeit, dachte Bolitho.
Und dann klammerten sie sich am Schiff fest; die Strömung zerrte an ihren Beinen und drückte sie gegen die rauhen Planken, so daß sie unter dem Überhang des Schiffsrumpfes verborgen blieben.
«Hier kann man uns von den Booten aus nicht sehen, damit sind wir erst mal sicher«, keuchte Allday.
Da schallte ein furchtbarer Schrei über das Wasser; Bolitho dachte im ersten Moment, es sei ein Todesschrei. Aber der Matrose neben ihm deutete zum Ufer, das sie eben verlassen hatten, und wäre dabei fast abgetrieben.
Im letzten Abendschein war dort Rojarts gefalteltes Hemd deutlich zu erkennen. Er stand offen und ungedeckt da, die Arme weit ausgebreitet, als wolle er die ganze Bucht mit allem, was darin war, umarmen. Wieder und wieder schrie er, dann drohte er mit den Fäusten und stampfte mit den Füßen, als sei er verrückt geworden.
Bei Rojarts plötzlichem Erscheinen wurde es an Bord der Brigantine schlagartig still; dann hörte Bolitho Stimmengewirr und Schritte auf den Planken und wußte, daß es mit der Überraschung vorbei war. Keen hing am Wasserstag unter dem Bugspriet, ließ sich jetzt aber zu Bolitho hintreiben. Verzweifelt keuchte er:»Niemand hat Rojart darauf vorbereitet, daß es das Schiff ist, das die Nervion vernichtet hat. Er muß es eben erst entdeckt haben… »
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