Bolitho wandte sich ab. Im Kampf Mann gegen Mann würde Soames besser sein. Andererseits benötigte Herrick, wenn ihm selbst etwas zustieß, auf der Undine eher einen Mann mit Hirn als einen mit Muskeln, falls er in eigener Verantwortung weitersegeln mußte.
«Sie kehren mit dem letzten Arbeitskommando an Bord zurück. «Er kritzelte ein paar Zeilen auf Fowlars Block.»Und Sie werden, so gut Sie können — «, absichtlich übersah er die Enttäuschung auf Davys Gesicht,»- Mr. Herrick klarmachen, was ich vorhabe.»
Gepreßt erwiderte Davy:»Ich bin dienstälter als Soames, Sir. Es ist mein gutes Recht, an dieser Aktion teilzunehmen.»
Bolitho blickte ihn gelassen an.»Aber was Ihre Pflicht ist, entscheide ich. Ihre Loyalität setze ich dabei voraus. «Er warf einen Seitenblick auf Soames, der vor einer Doppelreihe Matrosen auf und ab schritt.»Sie kommen auch noch dran, dessen seien Sie sicher.»
Ein Schatten fiel über Fowlars Karte — es war Rojart, der spanische Leutnant mit den ewig traurigen Augen.
«Ja, Tenientel»
Er mußte in einem der anderen Boote an Land gekommen sein.
«Ich möchte mich Ihnen zur Verfügung stellen, Capitan.« Stolz blickte er zu Davy und Allday hinüber.»Don Luis hat mir befohlen, Sie nach besten Kräften zu unterstützen.»
Bolitho seufzte. Rojart hatte sich bereits des öfteren als Träumer erwiesen. Vielleicht kam das von seinen furchtbaren Erlebnissen beim Schiffbruch. Immerhin — ein weiterer Offizier, auch wenn er Spanier war, würde von Nutzen sein. Außerdem war damit noch ein Offizier weniger an Bord.»Sie sehen also, Mr. Davy, daß Mr. Herrick Ihre Hilfe mehr denn je benötigt. «Und zu Rojart:»Ich nehme Ihr Angebot mit Dank an, Teniente.»
Der Spanier lächelte mit blitzenden Zähnen und verneigte sich.»Zu Ihren Diensten, Capitan!»
Grinsend murmelte Allday:»Na, dann helfe uns Gott!»
Wieder wurde ein Wasserfaß aus dem Wald an den Strand geschleift; keuchend klappte Duff seine Brille zusammen und rief:»Das letzte, Sir!«Strahlend musterte er die Umstehenden.»Eine volle Ladung!»
Soames schnallte sich den Gürtel enger und meldete:»Abteilung klar zum Abmarsch, Sir. «Er deutete auf die angetretenen Matrosen.»Alle bewaffnet, aber ohne überflüssiges Gepäck. «Davy übersah er einfach.
Keen sammelte seine Patrouille soeben am anderen Ende des Strandes, und an einer flachen Stelle stand Pryke bei einem Haufen Bauholz, das die Helfer nach seinen Angaben zurechtgesägt hatten.
Davy legte formell die Hand an den Dreispitz.»Viel Glück,
Sir!»
Lächelnd entgegnete Bolitho:»Danke, Mr. Davy. Werden wir hoffentlich nicht allzu nötig brauchen. «Und zu Fowlar:»Gehen Sie voran, und machen Sie sich dabei Notizen. Wer weiß — vielleicht kommen wir wieder.»
Damit wandte er sich um und schritt auf den Waldrand zu.
«Kurze Rast!«Bolitho zog die Uhr aus der Tasche seiner Kniehose und sah nach der Zeit. Die Stundenziffern waren jetzt schon schwerer zu erkennen als vorhin. Er blickte hoch. Der Himmel war bereits dunkler, und über den Bäumen lag es nicht mehr wie Gold, sondern wie Purpur. Erschöpft ließen sich die Matrosen nieder oder lehnten sich an Bäume, um sich von dem
Gewaltmarsch zu erholen. Anfangs war es nicht allzu schwer gewesen. Mit Äxten hatten sie sich einen Pfad gehauen und waren ganz gut vorangekommen; aber als sie sich der Stelle näherten, wo nach Bolithos und Fowlars Schätzung die schmale Bucht liegen mußte, ließen sie die Äxte stecken und bahnten sich ihren Weg durch Busch und Schlingengewächse mit bloßen Händen.
Nachdenklich betrachtete Bolitho seine Leute. Ihre Hemden waren zerschlitzt, Gesichter und Arme blutig von den Rissen tückischer Zweige und Dornen. Hinter ihnen wurden die verschlungenen Äste dunkler und schienen im Dunst verrottender Vegetation zu zittern wie in einem Wind, den man nicht spürte.
Soames trocknete sich Gesicht und Nacken mit einem Tuch.»Ich habe Späher vorausgeschickt, Sir. «Er riß einem Mann die Feldflasche vom Mund.»Langsam, Idiot! Das muß vielleicht noch eine ganze Weile reichen!»
Bolitho sah Soames jetzt mit anderen Augen. Die Männer zum Beispiel, die er als Späher ausgesucht hatte, waren nicht die Stärksten oder die Befahrensten, wie man es bei einem Leutnant seiner Herkunft erwartet hätte. Beide Späher waren ganz frische Rekruten der Undine und ohne jede seemännische Erfahrung. Der eine hatte auf einer Farm gearbeitet, und der andere war Jagdgehilfe in Norfolk gewesen. Doch beide waren sehr gut ausgewählt. Fast lautlos waren sie zwischen den Bäumen verschwunden.
«Was halten Sie davon, Captain?«murmelte Allday.
Beim Anblick dieses kraftvollen, zuverlässigen Mannes ließ Bolithos Spannung etwas nach.»Wir sind jetzt schon ziemlich dicht dran. «Wie Herrick wohl zurechtkam? Und ob er noch mehr Eingeborenenboote gesichtet hatte? Wie die meisten seiner Männer fühlte er sich an Land unbehaglich — abgeschnitten vom Schiff.
Fowlar zischte:»Achtung, da kommt jemand.»
Musketenläufe richteten sich ziellos aufs Gebüsch, und ein paar Männer griffen nach ihren Entermessern.
«Nur einer von unseren Spähern!«rief Soames und trat auf die schattenhafte Gestalt zu.»Bei Gott, Hodges, du hast dich beeilt!»
Der Mann kam auf die kleine Lichtung und blickte Bolitho an.»Ich habe das Schiff gefunden, Sir. Es liegt 'ne knappe halbe
Meile entfernt. «Er zeigte in die Richtung.»Wenn wir etwas abdrehen, sollten wir in 'ner knappen Stunde dort sein.«»Was noch?»
Hodges hob die Schultern. Er war ein mageres Kerlchen, und Bolitho konnte sich gut vorstellen, wie er als Wildhüter in den Marschen von Norfolk herumgestreift war.
«Ich bin nicht zu nahe 'rangegangen, Sir«, sagte er.»Aber sie liegen ziemlich dicht unter Land. Einige Leute waren an Land, auf einer Lichtung. Ich habe… «Er zögerte.»Ich habe so eine Art Stöhnen gehört. «Er schüttelte sich.»Lief mir richtig kalt über den Rücken, kann ich Ihnen sagen, Sir.»
«Wie ich dachte«, sagte Soames wütend.»Sklavenjäger, verfluchte! Sie haben wahrscheinlich ihr Lager an Land, fangen die armen Teufel ein und teilen sie in Gruppen. Mädchen in der einen, Männer in der anderen. Dann werden die Kräftigsten ausgesucht.»
Fowlar spuckte ins Laub und nickte grimmig.»Den übrigen schneiden sie die Hälse durch, um Pulver und Blei zu sparen, und lassen sie liegen.»
Bolitho blickte den Späher an; Fowlars brutalen Kommentar wollte er nicht hören. Daß diese Dinge geschahen, war allgemein bekannt, aber anscheinend wußte niemand, was dagegen zu tun war. Besonders da viele einflußreiche Persönlichkeiten Profite aus dem Sklavenhandel zogen.»Haben sie Wachen aufgestellt?«fragte er.»Zwei hab' ich gesehen, Sir. Aber sie fühlen sich anscheinend ganz sicher. Das Schiff hat zwei Kanonen ausgefahren.»
«Natürlich«, knurrte Soames.»Wenn einer versucht, die armen Teufel zu befreien, kriegt er den Bauch voll Schrapnell.»
Der spanische Leutnant trat zu ihnen. Trotz des Gewaltmarsches brachte er es irgendwie fertig, in seinem gefältelten Hemd mit den weiten Ärmeln elegant auszusehen.»Vielleicht sollten wir umkehren, Capitan.« Vielsagend hob er die Schultern.»Hat keinen Sinn, dieses Schiff zu alarmieren, wenn es bloß ein Sklavenhändler ist, oder?»
Soames wandte sich wortlos ab. Sicher war er, ebenso wie der Großteil der Matrosen, empört darüber, daß Rojart die Sklaverei für eine ganz normale Einrichtung hielt.
«Wir gehen weiter vor, Teniente. Unsere Boote treffen sowieso nicht vor morgen früh ein. Mr. Soames, übernehmen Sie das Kommando hier. Ich will mir das selbst ansehen. «Bolitho winkte Midshipman Keen.»Sie kommen mit. «Und während er auf den Wald zuging, sagte er noch:»Die anderen machen sich bereit, mir zu folgen. Kein Wort; und haltet Tuchfühlung, damit ihr nicht getrennt werdet. Wer einen Schuß abfeuert, mit Absicht oder aus Versehen, kann sich auf was gefaßt machen!»
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