«Kommen Sie, Captain!«sagte Allday.»Es hat keinen Zweck mehr!«Er feuerte noch einmal in den andrängenden Haufen und grunzte befriedigt: er hatte einen Todesschrei gehört.
In den nächsten Sekunden herrschte solches Durcheinander, daß keiner begriff, was eigentlich vorging. Im einen Augenblick saß Bolitho rittlings auf dem Bugspriet, im nächsten schwamm er auf die schwarze Masse der Bäume zu. Er wußte nicht mehr, wann er getaucht und wieder hochgekommen war, aber seine Kehle war rauh wie Sandpapier, nicht nur vom Brüllen, sondern vom schieren Überlebenskampf. Schaum spritzte auf, er hörte Getrampel an Bord der Brigantine, denn immer mehr ihrer Leute hatten jetzt schwimmend oder im Boot das Schiff erreicht und kletterten an Deck. Immer noch pfiffen Kugeln über seinen Kopf, und mit einem erstickten Schrei sank ein getroffener Matrose unter die Wasserfläche.
«Zusammenbleiben!«Mehr konnte er nicht rufen, denn immer wieder klatschten ihm übel schmeckende Wellen in den Mund. Vom Strand her rannte eine weiße Gestalt in das aufspritzende Wasser; Bolitho tastete nach seinem Degen und fiel dabei stolpernd vornüber, denn seine Füße stießen auf Sand und Kies. Es war Soames, der ihn keuchend vor Anstrengung und mit zerzaustem Haar aufs Trockene zog. Bolitho rang verzweifelt nach Luft. Es war mißlungen, und sie hatten manchen guten Mann verloren. Umsonst.
Allday kam aus dem Wasser; zwei weitere lagen wie tot auf dem Sand, doch verriet ihr schwerer Atem, daß sie noch lebten. Mehr waren nicht da.
Von der Brigantine her krachte ein Kanonenschuß, aber die Kugel ging weit daneben, fuhr splitternd durch die Bäume, Vögel und Sklaven kreischten im Chor dazu.
Heiser berichtete Soames:»Ich konnte nur ein Boot erobern, Sir. Es waren zu viele Sklavenfänger an Land. «Seine Stimme zitterte vor Wut und Verzweiflung.»Als sie auf diesen spanischen Leutnant schossen, griffen meine Jungs an. Zu früh. Tut mir furchtbar leid, Sir.»
«Sie können nichts dafür. «Schweren Schrittes ging Bolitho am Wasser entlang und spähte hinaus, ob noch ein Schwimmer käme.»Wie viele haben Sie verloren?»
«Sieben oder acht«, erwiderte Soames dumpf und mit einer Handbewegung zum Strand, wo mehrere dunkle Gestalten lagen.»Aber wir haben ein Dutzend umgelegt. «Und, fast schreiend vor plötzlicher Wut:»Wir hätten dieses verfluchte Schiff gekriegt! Bestimmt!»
«Ja. «Bolitho gab die Suche auf.»Lassen Sie unsere Leute antreten, dann gehen wir ins Boot. Wir müssen Mr. Fowlar und seine Truppe abholen, solange es noch finster ist. Bei Tageslicht kommt uns der Sklavenjäger dazwischen, denke ich.»
Es war nur ein kümmerliches Boot und leckte ziemlich stark; ein paar verirrte Musketenkugeln hatten es getroffen. Einer nach dem anderen kletterten die erschöpften Männer hinein. Sie waren zu müde, um einander auch nur anzusehen; es war ihnen sogar gleichgültig, wo sie sich befanden. Wenn sie jetzt hätten kämpfen müssen, wären sie kurz und klein geschlagen worden.
Bolitho betrachtete sie gespannt. Flüchtig dachte er an eine Äußerung, die Herrick vor vielen Wochen getan hatte: Im Frieden sind sie eben anders. Vielleicht.
Die Verwundeten stöhnten und schluchzten leise; er schob Keen zu ihnen hin.»Kümmern Sie sich um sie!«Er sah, wie der junge Mann zurückzuckte, und wußte, daß auch er nahe am Zusammenbrechen war. Da streckte er den Arm aus und drückte ihm die Schulter.»Reißen Sie sich zusammen, Mr. Keen!«Und zu Soames gewandt:»Mr. Fowlars Leute können nachher die Riemen übernehmen. Sie werden besser bei Kräften sein.»
Er fuhr herum. Zwischen den Bäumen dröhnte ein Geräusch auf wie von einem riesigen, stampfenden Tier, und dazu gellte wildes, vielstimmiges Geschrei übers Wasser.
«Um Gottes willen, was ist das?«murmelte Allday erschrocken.
«Die Sklaven im Lager. «Soames stand neben Bolitho, ihr Boot wollte soeben ablegen.»Sie wissen mehr als wir.»
Bolitho konnte sich nur mit Mühe im Gleichgewicht halten, denn das überladene Fahrzeug schwankte gefährlich in der
Strömung. Die Sklaven mußten inzwischen begriffen haben, daß sie — obwohl die Brigantine mit ihren Kanonen noch immer draußen lag — jetzt nicht mehr gefesselt auf die andere Seite der Welt verschleppt würden. Dieses Mal jedenfalls nicht. Bolitho dachte an die Boote der Eingeborenen, die Herrick gesichtet hatte. Vielleicht waren sie schon angekommen?
«Streicht Riemen!«kommandierte er.»Da ist Mr. Fowlar!»
Enttäuscht starrte der Steuermannsmaat auf das Boot.»Da drin ist aber für meine Leute kein Platz, Sir!»
«Sie müssen aber rein, wenn sie am Leben bleiben wollen. «Allday übernahm die Ruderpinne und zählte die ins Boot kletternden Männer. Irgendwie fanden sie alle Platz, doch die Riemen ließen sich kaum bewegen, und das Boot lag so tief, daß es nur knappe sechs Zoll Freibord hatte.
«Ablegen!»
Bolitho zuckte zusammen: ein Kanonenschuß krachte, aus der Bordwand der Brigantine schoß eine lange, gelbrote Flamme wie eine giftige Zunge. Die Kugel zischte über das Heck des Bootes hinweg und grub sich in den Sand.
«Ruhe!«rief Bolitho.»Und Schlag halten!«Denn unsauberes Rudern hätte zuviel Gischt aufgeworfen, dann mußte das Boot ein besseres Ziel bieten.
«Einer ist eben gestorben«, flüsterte Keen heiser.»Hodges,
Sir.»
«Werft ihn ins Wasser! Aber die Trimmung ausgleichen, das Boot muß ruhig liegen!«Armer Hodges, er würde nie mehr über die Marschen von Norfolk streifen, nie wieder den Anhauch der Nordsee auf seinem Gesicht spüren oder einem Flug Enten nachschauen. Ärgerlich schüttelte sich Bolitho — was war mit ihm los? Der Leichnam glitt über den Bootsrand, und der Ruderer, der dazu Platz gemacht hatte, rutschte wieder an die Ducht.
«Sie haben das Feuer eingestellt«, bemerkte Soames.»Lecken sich wahrscheinlich ihre Wunden, genau wie wir.»
Wieder fühlte Bolitho Bitterkeit in sich aufsteigen. Der Sklavenfänger hatte eine Anzahl Männer verloren, gewiß. Aber er hatte immer noch genügend Neger an Bord, so daß sich seine Reise auch ohne die an der Lagerstelle lohnte. Während er, Bolitho… Er versuchte, nicht an ihren Mißerfolg zu denken. Seine Männer waren vermutlich deswegen zurückgewichen, weil sie das Vertrauen zu ihm verloren hatten. Und wer die Nervion angegriffen hatte, blieb immer noch ein Rätsel. Die
Besatzung eines Sklavenschiffes bestand gewöhnlich aus dem Abschaum vieler Häfen und Länder. Vielleicht hatte Davy tatsächlich recht gehabt, und er hätte die Brigantine überhaupt in Ruhe lassen sollen. Der Kopf tat ihm genauso weh wie die Prellung an seinem Oberschenkel. Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.
Fowlar sagte:»Mr. Mudge hat es mir erklärt, Sir. Morgen muß die Undine sich weit vom Land klarhalten, wegen der Sandbänke hier herum. Der Sklavenkapitän kennt wahrscheinlich eine bessere Durchfahrt, aber… «Er sprach nicht zu Ende.
«Ja. «Bolitho sah ein paar überhängende Bäume sich wie eine halbzerstörte Brücke übers Wasser recken.»Wir machen hier fest. Lassen Sie die Männer rasten und verteilen Sie, was noch an Wasser und Verpflegung vorhanden ist.»
Niemand antwortete. Manche schienen im Sitzen zu schlafen und blieben unbeweglich hocken, wie Bündel alter Lumpen.
Bolitho versuchte, nicht an die Brigantine zu denken. Hätte er sie nicht angegriffen, so wüßte ihr Kapitän gar nicht, daß die Undine in der Nähe lag. Offenbar hatte man die Fregatte nicht gesichtet und wußte auch nicht, wer der Angreifer gewesen war. Es war schließlich nichts Ungewöhnliches, daß ein Sklavenhändler dem anderen die Beute abzujagen versuchte. Aber wegen seiner, Bolithos, Dickköpfigkeit würde der Sklavenkapitän jetzt die Undine erkennen, sobald er die freie See gewann. Die Undine durfte sich nicht zu nahe heranwagen, und eine lange Verfolgungsjagd hatte auch keinen Zweck. Somit wußte der Kapitän, falls er an der Verzögerung von Puigservers Mission beteiligt war, jetzt zumindest, daß die Undine unterwegs war.
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