III Wer ist die Albacora?
Der kleine Toppsegelschoner Miranda erinnerte an eine riesige, flatternde Motte. Möwen umkreisten ihn schreiend, als er gischtumhüllt wendete. Seine Spieren gingen über, dann fingen die Segel den Wind von der anderen Seite ein.
Die Miranda krängte so weit nach Lee, daß die See durch ihre Speigatten rauschte, sogar über die Reling einstieg und die Vierpfünder an Deck umspülte, als seien es Felsen im Meer. Das Donnern der Brecher und das Knallen der Leinwand umgaben das Schiff. Kommandos waren kaum nötig, denn jeder an Bord wußte, was er zu tun hatte und wo Gefahren drohten. Die See konnte einem Mann an Deck die Knochen brechen, der Wind ihn fauchend über Bord fegen. Ein so kleines, quirliges Schiff brauchte aufmerksame und erfahrene Männer.
Achtern am Kompaß hielt sich ihr Kommandant, Leutnant James Tyacke, an einer Pardune fest. Wie seine ganze Besatzung war er naß bis auf die Haut. Mit geröteten Augen starrte er durch die Gischt hoch zum brettharten Großsegel und seiner Flagge, während das Schiff mit südlichem Kurs durch die Seen pflügte.
Sie hatten die ganze Nacht und ein Gutteil des Tages dazu gebraucht, um sich aus der Saldanhabucht freizusegeln, weg von den ankernden Kriegsschiffen, Versorgern, Bombarden, Truppentransportern und kleineren Einheiten. Leutnant Tyacke war lange nach Westen abgelaufen, um genügend Raum für eine schnelle Reise hinunter zu Commander Warrens kleiner Flottille zu haben. Noch aus einem anderen Grund war er weit auf See hinaus gesegelt, und den ahnte allenfalls der zweite Mann an Bord. Tyacke wollte so viel Raum wie möglich zwischen sich und die Flotte legen, damit ihn nicht wieder ein Befehl zum Flaggschiff zurückrief.
Er hatte seinen Auftrag ausgeführt, hatte Bolithos Depeschen dem General und dem dortigen Commodore übergeben und war nun froh, wieder unterwegs zu sein.
Tyacke war dreißig Jahre alt und seit drei Jahren Kommandant der Miranda. Verglichen mit ihr war das Flaggschiff wie eine Stadt gewesen, in der es mehr Rotröcke gab als Seeleute. Natürlich kannte er solch große Schiffe. Vor acht Jahren war er Leutnant auf der Majestic gewesen, einem Zweidecker in Nelsons Mittelmeerflotte. Er hatte im unteren Batteriedeck gekämpft, als Nelson die Franzosen in der Bucht von Abukir vernichtete. Aber sie waren zu furchtbar, diese Bilder seiner Erinnerung. Im Lauf der Zeit verwischten sie sich wie Szenen aus einem Albtraum. Später zählte man ihn zu den Glücklichen — nicht wegen des Sieges, für den sich nur Leute rühmen konnten, die nicht dabeigewesen waren. Aber er hatte überlebt, wo so viele gefallen waren oder sich unter der Säge und dem Messer des Schiffsarztes zu Tode geschrieen hatten. Und er war auch nicht als mitleidheischender Krüppel daraus hervorgegangen, an dessen Verdienste sich niemand erinnern wollte.
Leutnant Tyacke blickte auf den Kompaß. Sein Schiff schnitt durch die Wogen, als seien sie Luft. Er legte die Hand aufs Gesicht und spürte, was er jeden Tag beim Rasieren im Spiegel sah. Eine Kanone war explodiert oder eine brennende Lunte herübergeschleudert worden und hatte eine Ladung Pulver entzündet. Niemand war übriggeblieben, der ihm den genauen Ablauf beschreiben konnte. Niemand außer ihm. Die ganze rechte Hälfte seines Gesichts war weggebrannt worden und sah nun aus wie gegrilltes Fleisch. Die Leute drehten sich weg, um ihn nicht sehen zu müssen. Ein Wunder, daß die Augen unverletzt geblieben waren.
Er erinnerte sich, wie er vor Stunden mit den Depeschen an Bord des Flaggschiffs gekommen war. Er hatte weder den dortigen Commodore noch den General gesehen. Ein gelangweilter Oberst nahm ihm den Umschlag ab, ein Glas Wein in der gepflegten Hand, und lud ihn nicht einmal zum Sitzen ein, schon gar nicht zum Mittrinken.
Als er dann über die Seite des riesigen Schiffes in sein Beiboot hinunterkletterte, war eben dieser Oberst an die Reling geeilt.»Leutnant! Warum haben Sie uns nichts von Nelson und seinem Sieg berichtet?«hatte er ihm nachgerufen.
Tyacke hatte an der schwarzen, gewölbten Bordwand hinaufgeblickt und seine Verachtung nicht länger verhehlt.»Niemand hat mich danach gefragt, Sir!»
Benjamin Simcox, als Master-Gehilfe für Navigation auf der Miranda zuständig, saß im Beiboot neben seinem Kommandanten. Im gleichen Alter wie Tyacke, war er wie der Schoner selbst aus der Handels- zur Kriegsmarine gewechselt. Mit Bob Jay, dem zweiten Master-Gehilfen, machten sie den nur 22 Meter langen Schoner zu einem perfekten Segler, auf den jeder an Bord stolz war.
Tyacke, Simcox oder Jay waren die drei Wachführer, und Tyacke und Simcox waren in den drei Jahren Freunde geworden. Ihr unterschiedlicher Rang trennte sie nur bei so offiziellen Anlässen wie jetzt beim Besuch des Flaggschiffs.
Tyacke sah Simcox an, vergaß seine Entstellung für einen Augenblick und sagte:»Das war seit einem Jahr das erste Mal, daß ich wieder den Degen angelegt habe, Ben.»
Simcox nickte und erinnerte sich daran, wie er einmal nachts in der Kammer neben der des Kommandanten erwacht war. Tyacke hatte im Traum laut auf ein Mädchen eingeredet, das versprochen hatte, auf ihn zu warten. Das Gestammel war herzzerreißend gewesen. Simcox hatte Tyacke an der Schulter gerüttelt, damit nicht das ganze Schiff mithörte. Eine Erklärung war nicht nötig. Tyacke hatte eine Flasche Brandy geholt, die bis zur Morgendämmerung leer gewesen war. Tyacke hatte dem Mädchen, das er seit seiner Jugend kannte, keine Vorwürfe gemacht. Niemand würde sein Gesicht jeden Morgen sehen wollen, sagte er.
Nachdem sich die Miranda auf dem neuen Kurs stabilisiert hatte, rief Simcox durch den Lärm seinem Kommandanten zu:»Prima, wie sie läuft!«Er zeigte auf eine Figur, die sich bei der Luke angeleint hatte, Hose und Strümpfe mit Erbrochenem bekleckert:»Dem allerdings geht's nicht so gut!»
Es war Midshipman Roger Segrave, seit Gibraltar auf der Miranda. Sein früherer Kommandant hatte Tyacke gebeten, ihn zu übernehmen, damit der Junge auf einem kleineren Schiff mehr praktische Seemannschaft lernte als auf dem Dreidecker und Selbstvertrauen gewann. Es hieß, der Onkel des Midshipman sei
Admiral in Plymouth und bange um den guten Namen der Familie. Roger durfte auf keinen Fall durch das Leutnantsexamen fallen. Tyacke hatte klar gesagt, daß er nichts davon hielt. Der junge Mann störte die eingespielte Bordroutine wie ein unwillkommener Besucher.
Simcox war von der alten Schule. Von einem Tampen oder einer Ohrfeige zur rechten Zeit hielt er mehr als von langen Reden über Disziplin. Doch verbohrt war er nicht. Also erklärte er dem Midshipman, was ihm bevorstand. Leutnant Tyacke war der einzige Offizier an Bord, und Segrave als Kadett durfte auf diesem kleinen Schoner keine Privilegien erwarten. Hier waren alle eine einzige Besatzung, anders als auf einem übervollen Linienschiff.
Segrave sank stöhnend über die Luke. Sechzehn Jahre war er alt und fast so hübsch wie ein Mädchen; er benahm sich wie ein scheuer Edelknappe, auch der Besatzung gegenüber. Zwar gehörte er nicht zu den verwöhnten Monstern, von denen Simcox gehört hatte, aber leider auch nicht zu den jungen Männern, die alles erfolgreich anpacken konnten. Er gab sich Mühe — ohne Erfolg. Jetzt starrte er in den Himmel, gleichgültig gegenüber dem peitschenden Gischt und seiner beschmutzten Kleidung. Leutnant Tyacke musterte ihn kühl.»Binden Sie sich los, gehen Sie nach unten und holen Sie uns Rum. Leider kann ich niemand anderen schicken, alle werden hier gebraucht.»
Simcox grinste hinter dem Jungen her, der ächzend unter Deck verschwand.»Gehen Sie nicht ein bißchen hart mit ihm um, James?»
Tyacke zuckte mit den Schultern.»Schadet nichts. In ein oder zwei Jahren läßt er Männer an der Gräting auspeitschen, nur weil sie ihn scheel angeschaut haben.»
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