Schon war es, als sollte es den an der Zahl zweimal stärkeren Spaniern gelingen, die Freibeuter in die Flucht zu schlagen und Gibraltar zu retten. Da griff die Schar des Basken Michele, dem es gelungen war, sich einen Weg durch das Gehölz zu bahnen, in den Kampf ein.
Diese dreihundert Männer, die gerade zur rechten Stunde kamen, entschieden das Schicksal des Handgemenges.
Die von allen Seiten bedrängten Spanier wurden in das Innere der Festung zurückgeworfen, und mit ihnen rückten gleichzeitig die Flibustier ein, unter denen sich der Olonese, der Schwarze Korsar und der Baske befanden, die wunderbarerweise unversehrt geblieben waren.
Obgleich zurückgeworfen, setzten die Spanier im Fort ihre hartnäckige Verteidigung fort, entschlossen, lieber zugrunde zu gehen, als das Banner Spaniens zu streichen.
Der Schwarze Korsar stürmte, als einer der ersten, in einen der weiten Höfe, in welchem über zweihundert Spanier mit verzweifelter Erbitterung kämpften. Er versuchte, die Feinde zurückzuwerfen und deren Reihen zu durchbrechen.
Schon mehrere Büchsenschützen waren unter seinen wuchtigen Streichen gefallen, als er einen, Krieger in vornehmer Kleidung, den Hut mit Straußenfedern geschmückt, auf sich zukommen sah.
»Gebt acht, Cavaliere!« rief der Edelmann, indem er sein langes, blitzendes Schwert mit einer Bewegung erhob, als ob er den Korsaren töten wollte. Dieser, der sich soeben mit Mühe eines Hauptmanns erwehrt hatte, der nun sterbend zu seinen Füßen lag, wandte sich um und rief erstaunt: »Ihr seid es, Graf?«
»Ja, ich, Cavaliere!« antwortete der Kastilianer. »Verteidigt Euch, die Freundschaft zwischen uns ist jetzt zu Ende! Wir sind Gegner! Ihr kämpft für die Freibeuterei – ich für die Fahne Kastiliens!«
»Ich habe eine Dankespflicht gegen Euch, Graf! Wie kann ich meine Waffe gegen Euch richten?«
»Nein, wir sind quitt! Entweder falle ich unter Eurem Schwerte oder Ihr unter dem meinigen! Ehe das Banner hier fällt, stirbt Graf Lerma, zusammen mit seinen tapferen Offizieren!«
Nach diesen Worten stürzte er auf den Korsaren und reizte ihn mit dem Schwerte.
Der Kapitän, der sich der Überlegenheit seiner Waffen über den Kastilianer bewußt war, wich einen Schritt zurück.
»Ich bitte Euch: Zwingt mich nicht, euch zu töten!«
Der Graf lächelte. »Los, Herr von Ventimiglia!«
Während rings der Kampf mit wachsender Erbitterung tobte, während die Verwundeten stöhnten und klagten, die Gewehre knatterten und Pistolen knallten, gingen beide Kämpfer aufeinander los.
Der Graf attackierte mit Ungestüm und verdoppelte seine Stöße, die prompt zurückgegeben wurden. Einer wie der andere hatte, außer dem Schwert, auch den Dolch gezogen, um besser parieren zu können. Sie gingen vor, gingen zurück, fielen sich wieder mit erneuten Kräften an, indem sie achtgeben mußten, in den Blutlachen nicht auszugleiten.
Der Korsar, der es vermied, den edlen Kastilianer zu töten, führte jetzt einen geschickten Hieb, eine Terz, mit der er dem Grafen das Schwert zu Boden schlug. Ein Spiel, das ihm schon im Hause des Notars gelungen war.
Zu Füßen des Grafen röchelte noch der Hauptmann, der kurz zuvor von dem Korsaren verwundet worden war. Der Graf stürzte sich auf ihn, entriß ihm das Schwert, das er noch krampfhaft in der Hand hielt, und warf sich von neuem auf den Gegner. Gleichzeitig war ihm ein spanischer Soldat zu Hilfe gekommen.
Ventimiglia, der nun gezwungen war, Front gegen zwei Angreifer zu machen, zauderte nicht mehr. Mit einem blitzartigen Hieb schlug er den Soldaten nieder. Dann wandte er sich gegen den Grafen, den er von der Seite anfiel. Der Kastilianer, der die schnelle Wendung des Korsaren nicht erwartet hatte, bekam einen Stoß derart in die Brust, daß ihm die Schwertspitze auch den Rücken durchdrang.
»Graf!« schrie Ventimiglia, indem er ihn in seinen Armen auffing, »das ist ein trauriger Sieg für mich; aber Ihr habt es so gewollt!«
Der Sterbende schlug noch einmal die Augen auf und sagte schmerzlich: »So wollte es das Schicksal! ... Wenigstens ist es mir erspart ... das Banner Kastiliens ... fallen zu sehen!«
»Carmaux! Stiller! Zu Hilfe!« rief der Korsar.
»Laßt ... Cavaliere! ... Zu spät!«
Ein Blutstrom schnitt ihm die Rede ab.
Der Korsar war bewegt. Er warf noch einen letzten Abschiedsblick auf den tapfern Spanier, nahm dann sein blutiges Schwert wieder und stürzte sich mit dem Rufe: »Seeleute, mir nach!« von neuem in das Kampfgetöse.
Der Kampf innerhalb des Forts tobte noch immer mit äußerster Heftigkeit. Hinter den Verteidigungsständen, auf den Türmen, in den Kasematten kämpfen die Spanier mit der Wut der Verzweiflung. Der alte, tapfere Kommandant von Gibraltar lag mit allen seinen Offizieren erschlagen am Boden. Trotzdem ergaben sich seine letzten Truppen noch nicht.
Eine Stunde dauerte das Gemetzel. Fast alle Verteidiger fielen rings um die Fahne ihres fernen Vaterlandes.
Während die Flibustier des Olonesen das Fort besetzten, erstürmte der Baske mit seinen Leuten das nicht weit entfernte zweite Fort und zwang die Verteidiger, nachdem er ihnen Schonung des Lebens zugesagt hatte, zur Übergabe.
Gegen zwei Uhr war diese schon in der Frühe begonnene Schlacht zu Ende. Vierhundert Spanier und einhundertundzwanzig Freibeuter lagen erschlagen teils in den Wäldern, teils in- und außerhalb des Forts von Gibraltar.
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Der Schwur des Schwarzen Korsaren
Während die Freibeuterschar sich jetzt wie ein reißender Strom über die nunmehr unverteidigte Stadt ergoß, um zu plündern, untersuchten ihre Führer die angehäuften Leichen im Fort, in der Hoffnung, den gehaßten van Gould unter ihnen zu finden.
Entsetzliche Bilder boten sich bei jedem Schritt dar. Überall Berge Toter, durch Säbelhiebe gräßlich zerstückelte Leichen mit verstümmelten Armen, gespaltenen Schädeln und Wunden, aus denen noch das Blut floß. In den Verteidigungsständen, in den Zugängen zu den Kasematten, überall Blutlachen.
Als Ventimiglia die Verwundeten jammern hörte, versuchte er, sowohl Korsaren als auch Spanier aus ihrer schlimmen Lage zu befreien. Mit Hilfe Mokkos und der beiden Flibustier schaffte er sie fort von den Leichenhaufen und ließ sie verbinden. Überall sprang er hilfreich ein.
Schon glaubten sie, beinahe allen Unglücklichen geholfen zu haben, als sie aus einer Ecke des Hofes, wo Spanier und Freibeuter übereinander lagen, eine Stimme vernahmen, die ihnen bekannt erschien.
»Wasser, Caballeros!« hörte man unter einem Haufen Toter rufen.
»Himmel!« rief Stiller. »Das ist ja der Katalonier.«
Sofort machten sie sich daran, den Ärmsten zu suchen. Zwei lange, magere Arme und ein mit Blut besudelter Kopf kamen zum Vorschein.
»Carrai!« rief der Mann, plötzlich seine Retter erblickend.
»Herzensfreund!« rief Carmaux freudig bewegt. »Wie freue ich mich, dich noch lebend zu treffen! Hoffentlich haben sie deine hagere Gestalt nicht allzu schlimm zugerichtet!«
»Wo bist du verwundet?« fragt der Korsar, indem er ihn aufrichtete.
»Man hat mir einen Säbelhieb auf die Schulter und einen ins Gesicht versetzt!«
»Fühlst du, daß deine Verwundungen gefährlich sind?«
»Sie haben mir große Schmerzen verursacht. Gebt mir zu trinken!«
»Nimm, Gevatter!« sagte Carmaux und reichte ihm ein Fläschchen hin. »Nimm, es wird dich stärken!«
Der Katalonier, der Fieber hatte, leerte es gierig.
Dann wandte er sich zum Schwarzen Korsaren: »Ihr sucht den Gouverneur von Maracaibo, nicht wahr?«
»Hast du ihn gesehen?«
»O Herr, Ihr habt die Gelegenheit verpaßt, ihn mit einem Halsband zu beehren, und ich, ihm die fünfundzwanzig Hiebe zurückzugeben!«
»Was heißt das?«
»Daß der Halunke, Euren Sieg voraussehend, hier gar nicht erst gelandet ist! Er ließ sich mit der Karavelle des Grafen Lerma, um Eure Schiffe nicht zu kreuzen, nach der Ostküste des Sees bringen. In Coro wollte er sich ausschiffen, um einen spanischen Segler zu besteigen.«
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