Der Korsar, der sich bisher mit bewundernswerter Energie auf den Füßen gehalten hatte, folgte ihm, während die Flibustier, in Erwartung des Basken und seiner Gefährten, sich am Waldesrand niederließen.
Da dieser Tag doch nicht nutzlos verbracht werden durfte, machten sich viele Korsaren auf den Weg, um die Gegend auszuspionieren und die beste Angriffsstelle zu finden.
Einige verwegene Patrouillen drangen sogar bis in Sicht der Festung vor, um sich ein klares Bild von den vom Feinde ergriffenen Maßnahmen zu machen, wobei sie sich als schiffbrüchige Fischer ausgaben.
Überall fanden sie Straßen mit Laufgräben durchzogen, mit Kanonen bestückt, überall das Feld überschwemmt und mit hohen, stacheligen Pfahlwerken versehen. Ferner hatten sie erfahren, daß der Kommandant der Feste, einer der tapfersten und mutigsten Soldaten, die Spanien zu jener Zeit besaß, seine Leute hatte schwören lassen, lieber mit dem letzten Mann unterzugehen, als das Banner des Vaterlandes preiszugeben.
Es hatte zur Folge, daß selbst die kühnsten Piraten nicht ganz ohne Besorgnis dem Kampf entgegensahen. Von einigen wurde schon befürchtet, daß diese Expedition mit einer Niederlage enden würde.
Der Olonese, der sofort von den Berichten der Kundschafter Kenntnis erhielt, verlor jedoch den Mut nicht. Am Abend, als er seine Offiziere um sich versammelt hatte, sprach er jene Worte, die von der Geschichte überliefert wurden und die das feste Vertrauen auf sich und seine Leute bezeugten:
»Seeleute, wir müssen morgen stark sein und kämpfen!
Verlieren wir die Schlacht, so verlieren wir auch unser Leben und alle unser Schätze, die uns so viel Mühe und Blut kosteten. Wir haben schon viel zahlreichere Feinde besiegt als hier in Gibraltar. Große Reichtümer erwarten uns hier! Schaut auf eure Führer und folgt ihrem Beispiel!«
Um Mitternacht langten die Schiffe des Basken Michele mit ungefähr vierhundert Mann an.
Alle Flibustier des Olonesen standen schon zum Abmarsch nach Gibraltar bereit, dessen Forts sie aber erst am folgenden Morgen anzugreifen gedachten, da man sich nicht auf einen nächtlichen Kampf einlassen wollte.
Sobald die vierhundert Mann des Basken ausgeschifft waren, reihten sie ihre Kolonnen ein. Nachdem man etwa zwanzig Mann zur Bewachung der Schiffe zurückgelassen hatte, setzte sich das kleine Heer, mit seinen drei Führern an der Spitze, in Bewegung.
Carmaux und Stiller, die sich beide ausgeruht und gut gegessen hatten, gingen hinter dem Schwarzen Korsaren her.
»Freund Stiller«, sagte der immer gutgelaunte Freibeuter, »hoffentlich setzen wir diesmal die Tatzen auf den Spitzbuben van Gould! Wie schön, wenn wir ihn beide unserem Kommandanten ausliefern könnten!«
»Ja, sobald die Forts erobert sind, wollen wir in die Stadt gehen, um ihn an der etwaigen Flucht zu hindern! Ich weiß, daß unser Kommandant fünfzig Leuten den Befehl gegeben hat, sofort den Wald zu besetzen, um dem Flüchtigen den Weg abzuschneiden.«
»Und dann ist ja auch der Katalonier da, der ihn nicht aus den Augen verlieren wird!«
»Ob er schon in Gibraltar sein wird?«
»Sicher sehen wir diesen Mordskerl tot oder lebendig wieder!«
In diesem Augenblick fühlte sich Carmaux an der Schulter berührt, und eine wohlbekannte Stimme rief:
»So ist's, Gevatter!«
Carmaux und Stiller drehten sich um und erblickten den Afrikaner.
»Du bist's, Freund Kohlensack?« rief Carmaux. »Wo kommst du her?«
»Seid zehn Stunden suche ich euch und laufe wie ein Pferd auf und ab. Stimmt es, daß euch der alte Gouverneur eingefangen hatte?«
»Wer hat das erzählt?«
»Ein Flibustier!«
»Es war so, Gevatter, doch wie du siehst, sind wir ihm wieder entschlüpft, und zwar durch die Hilfe des braven Grafen Lerma.«
»Den wir im Haus des Notars zu Maracaibo gefangenhielten?«
»Desselben. Und wie steht's mit den beiden Verwundeten, die wir dir überließen?«
»Sie sind schon gestern morgen gestorben«, antwortete der Neger.
»Arme Teufel!... Und der Katalonier?«
»Der muß jetzt schon in Gibraltar sein!«
»Dort werden wir harten Widerstand finden, meine Freunde!«
»Ich fürchte auch, daß die meisten von unsern Leuten heut nicht mehr zu Abend essen werden!«
»Hoffen wir, nicht unter den Toten zu sein!«
Inzwischen drangen die langen Kolonnen schweigsam durch das Dickicht des Waldes, der zu dieser Zeit noch Gibraltar umgab. Kleinere Trupps, zumeist Bukanier, gingen ihnen als Kundschafter voraus.
Einige bei der Vorhut gefallene Schüsse zeigten den Angriffstruppen, daß die Stadt nicht mehr fern war. Da der Olonese, der Schwarze Korsar und der Baske durch die Schüsse eine Falle vermuteten, beeilten sie sich, mit etwa zehn Mann die Spitzenabteilung zu erreichen.
Doch wurde ihnen bald kund, daß es sich nicht um ein Gefecht, sondern lediglich um einen Kugelwechsel zwischen den Vorposten gehandelt hatte.
Pierre, der nun wußte, daß die Spanier von seinem unmittelbaren Herannahen unterrichtet waren, gab jetzt den Befehl, bis zum Morgengrauen haltzumachen. Er wollte sich vorher selber von den Verteidigungsmaßnahmen des Gegners und von der Beschaffenheit des Geländes ein Bild verschaffen. Schon hatte er bemerkt, daß der Weg anfing, sumpfig zu werden.
Rechts erhob sich eine bewaldete Anhöhe. Eiligst bestieg er sie in Begleitung des Schwarzen Korsaren, in der Hoffnung, von dort aus einen guten Teil der Umgebung überschauen zu können.
Als sie auf dem Gipfel anlangten, begann die Morgendämmerung. Der Lichtschein am Himmel warf nach der Ostküste hin mit Blitzesschnelle einen rötlichen Strahl und färbte das Wasser mit einem rosa Widerschein. Das verkündete einen herrlichen Tag.
Der Olonese und Ventimiglia richteten ihren Blick sogleich auf einen ihnen gegenüberliegenden Felsen, auf dem sich zwei mächtige, zinnengekrönte Forts erhoben, über welchen das Banner Spaniens wehte. Ein Meer von Häusern mit weißem Gemäuer dehnte sich dahinter aus.
Pierre runzelte die Stirn. »Wahrhaftig! Das wird keine leichte Aufgabe sein, diese beiden Forts ohne Geschütz und Leitern zu erobern!« rief er. »Entweder vollbringen wir Wunder an Tapferkeit, oder wir werden so geschlagen, daß wir für lange Zeit genug haben!«
»Auch der Weg zum Berg ist ja ganz unzugänglich gemacht worden«, sagte der Korsar. »Sieh nur die Palisaden und Batterien, die wir nehmen müssen, und zwar unterm Feuer der Forts!«
»Und der Sumpf vor uns!«
»Ja, unsere Leute werden gezwungen sein, fliegende Brücken zubauen!«
»Wenn sich der Sumpf nur umgehen ließe, und wir von der Ebene aus angreifen könnten! Aber was sehe ich? Die Ebene ist ja überschwemmt... Und sieh nur, wie schnell das Wasser steigt!«
»Wir haben einen Kommandanten vor uns, der alle Kriegslisten kennt, Pierre. Was gedenkst du zu tun?«
»Unser Heil zu versuchen. Gibraltar bietet reiche Ernte. Und was würde man von uns denken, wenn wir zurückwichen! Man würde kein Vertrauen mehr zu unserer Führung haben.«
»Das ist wahr. Unser Korsarenruhm hätte ein Ende.«
»Außerdem soll doch dein Todfeind mein Gefangener werden! Ich will dir und dem Basken die Führung unserer Haupttruppen übergeben! Bringt sie über den Sumpf, und erzwingt so den Weg zum Berge! Ich werde indessen, hinter dem Buschwerk versteckt, um den Sumpf herumgehen. So hoffe ich ungesehen über die Mauern des ersten Forts zu gelangen.«
»Aber wo nimmst du die Leitern her?«
»Ich habe meinen Plan. Lenkt nur die Aufmerksamkeit der Spanier auf euch! Das übrige überlaßt mir! Wenn in drei Stunden Gibraltar nicht in unsern Händen ist, bin ich nicht mehr der Olonese. Nehmen wir Abschied voneinander, denn wer weiß, ob wir uns lebend wiedersehen!«
Die beiden tapferen Korsaren umarmten sich. Dann verließen sie den Hügel.
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