Um die spätere Hauptstadt Jerusalem herum wachsen die jüdischen Stämme allmählich zu einer staatlichen Einheit zusammen, die sich ab 1000 v. Chr. unter den Königen Saul, David und Salomo und nach siegreichen Kämpfen gegen Philister und Ammoniter zu einem palästinensischen Machtzentrum entwickelt. Allerdings nur kurzfristig. Um 926 v. Chr. teilt sich das kleine Reich in zwei Teile, einen Nordstaat Israel unter dem Einfluss der Assyrer und den Südstaat Juda, der unter ägyptischem Einfluss steht. Der Staat Israel wird im Jahr 722 v. Chr. von den Assyrern ausgelöscht. Juda wird von den Babyloniern unter Nebukadnezar II. bei einem Feldzug gegen Ägypten überfallen, der König Zedekia wird geblendet, die Oberschicht 586 v. Chr. nach Babylon deportiert. Der Tempel in Jerusalem als jüdisches Zentralheiligtum wird zerstört. Erst in den Jahren nach 539 v. Chr., als die Perser die Babylonier besiegen, ist die Rückkehr in die Heimat möglich. Viele Juden bleiben in Babylon.
In Judäa entsteht nach der Rückkehr aus dem Exil eine Theokratie (Gottesherrschaft) mit einem Hohen Priester und einem Hohen Rat an der Spitze. Der Perserkönig Kyros finanziert den Wiederaufbau des salomonischen Tempels. Die religiöse Überlieferung wird aufgeschrieben und die Bibel das Heilige Buch, das im Mittelpunkt des gesamten Lebens steht und anstelle von Kultbildern verehrt, beschützt und als Offenbarung Gottes verstanden wird.
Gleichzeitig mit dieser Religion des Buches bildet sich der Monotheismus aus: Jahwe wird nicht nur als der stärkste, sondern als der einzige Gott verkündet, zum Beispiel vom Propheten Jeremia, der nach 585 v. Chr. starb. Die Propheten als öffentliche Mahner spielen eine wichtige Rolle im Leben des jüdischen Volkes, weil sie es sind, die zu Besinnung und Reformen aufrufen und damit die öffentliche Diskussion und eine ständige Überprüfung des Glaubens in Gang halten.
Als sich im ersten Jahrhundert v. Chr. die Spannungen innerhalb der verschiedenen jüdischen Gruppierungen zu einem Bürgerkrieg ausweiten, tritt die Weltmacht Rom auf den Plan, die die Ordnung und die eigenen Machtansprüche im östlichen Mittelmeergebiet gefährdet sieht. Es kommt zu einer fatalen Konfrontation, deren Folgen bis in die Gegenwart reichen.
Im Jahr 63 v. Chr. marschiert der römische Feldherr Pompeius in Jerusalem ein und sorgt dafür, dass ganz Judäa von romtreuen Vasallen verwaltet wird, deren nützlichster Herodes der Große ist. Nach dessen Tod im Jahr 4 v. Chr. wird die Herrschaft unter die Söhne des Herodes aufgeteilt. Für die Römer entstehen dadurch mehrere Krisenherde zugleich. Konflikte und Unruhen führen zu kleineren Kriegen, bis die Römer schließlich durchgreifen und 70 n. Chr. das zentrale Heiligtum der Juden, den Tempel von Jerusalem, zerstören. Sie vernichten damit zugleich den jüdischen Staat.
Seither fühlen sich die Juden staaten- und heimatlos. Sie müssen in der Diaspora, der Zerstreuung, leben und können nicht einmal die übrig gebliebene Westmauer der Tempelanlage aufsuchen, um zu beten und zu klagen. Immer wieder, noch bis ins 20. Jahrhundert hinein, wird ihnen der Zugang zur Klagemauer verboten: nach einem Aufstand gegen die römischen Besatzer (132 -135 n. Chr.), unter den christlichen Kreuzfahrern im Mittelalter und 1947 bis 1967 unter jordanischer Verwaltung.
Nach der Zerstörung des Tempels erzwingen die Römer mit imperialer Härte die endgültige Niederlage der letzten Aufständischen, die sich 73 n. Chr. auf dem Felsplateau von Masada verschanzt haben. Die von dem jüdischen Historiker Flavius Josephus niedergeschriebene Geschichte des »Jüdischen Krieges« schildert den Widerstand gegen die römische Besatzungsmacht bis zum bitteren Ende auf der Festung Masada, das bis heute ein Identitätsmythos des jüdischen Staates geblieben ist.
Der Ort dieser Tragödie ist faszinierend und bedeutungsschwer.
Was im 20. Jahrhundert auf dem Felsen von Masada nach drei Ausgrabungsperioden freigelegt wurde, zeugt von einem ausgeklügelten Verteidigungssystem mit großen Zisternen und Wasserleitungen, Anbauflächen, Tierhaltungs- und Wohnanlagen im Innern der Festung. Nur weil sie eine gewaltige Erdrampe aufschütten, gelingt es den römischen Truppen nach Jahren, die Festung zu stürmen.
Die meisten jüdischen Einwohner hatten schon nach der Zerstörung des Tempels die Region verlassen, ohne jedoch ihren Glauben, ihre Riten und ihre Gebräuche aufzugeben. Reibungen mit den Bewohnern der Gastländer blieben nicht aus. Beide Seiten versuchten, sich voneinander abzugrenzen. Da die Juden überall in der Minderheit waren, wurden sie im Verlauf der Geschichte immer wieder für rechtlos erklärt und gezwungen, massive Einschränkungen hinzunehmen. So wurden sie genötigt, in der Öffentlichkeit ein Kennzeichen zu tragen (»Judenhut« oder »Judenstern«). Das Laterankonzil der römischen Kirche erließ 1215 ein Kennzeichnungsgebot, nachdem schon im Jahr 717 der Kalif Omar II. eine solche Pflicht in seinem Machtbereich eingeführt hatte. Erst in der europäischen Aufklärung wurde diese Art von Diskriminierung beseitigt, von den deutschen Nationalsozialisten 1938 aber wieder eingeführt.
Dies ist dann der Auftakt zur brutalsten Judenverfolgung der Geschichte. Ihr fallen mehr als sechs Millionen Menschen zum Opfer. Alle vorhergegangenen Verbrechen an jüdischen Menschen werden durch diesen organisierten Völkermord in den Schatten gestellt. Die Diskriminierungen, Verfolgungen und Vernichtungsversuche bedrohten zwar den Bestand des jüdischen Volkes, führten aber zu einer intensiven Identitätsbildung über Jahrhunderte hinweg, so dass sich im 20. Jahrhundert wieder ein »Judenstaat« konstituieren konnte (1948).
Das Lebensprinzip der historisch gewachsenen jüdischen Identität ist die mündliche und schriftliche Tradition. Zu ihr gehören das Gesetz mit seinen 613 Geboten und Verboten (Thora), die Lehre (Talmud) sowie die Forschung und Kommentierung der Gesetzesvorschriften (Midrasch). Diese Vorschriften und die Art ihrer Verinnerlichung und Anwendung wurden im Lauf der jüdischen Geschichte zum Kernthema der Auseinandersetzung mit anderen Religionen, vor allem mit dem aus dem Judentum hervorgegangenen Christentum.
Das früheste Beispiel dafür gab Jesus selbst. Als Jude glaubte er wie alle anderen Juden an einen einzigen Gott. Aber es missfiel ihm, auf welche Weise vor allem die Mächtigen unter ihnen diesem Gott ihre Verehrung entgegenbrachten: indem sie genau den Gesetzen der jüdischen Religion wie den Speisevorschriften, der Sabbatruhe und der Beschneidung folgten. Für Jesus waren dies, verglichen mit der Sorge und Fürsorge gegenüber den Armen, Kranken und Verachteten, eher Äußerlichkeiten, und das bekundete er auch öffentlich. Ein Stein des Anstoßes, der viele andere ins Rollen brachte und am Ende dazu führte, dass die jüdischen Priester beschlossen, Jesus zu beseitigen.
13. Die Würfel sind gefallen
Schon im Wirrwarr der Verschwörungsvorgänge um den Senator Catilina taucht sein Name auf, der zum Inbegriff römischer Machtfülle werden sollte: Gaius Julius Caesar (100 - 44 v. Chr.). Er ist sicherlich der bekannteste und schillerndste Machthaber des Römischen Reiches; nicht ohne Grund haben zahlreiche Künstler und Schriftsteller Caesar als Thema von Bildern, Dramen und Romanen gewählt. Uns ist er heute noch präsent als Figur des überambitionierten Feldherrn in den Erfolgscomics »Asterix und Obelix«. Hier tritt er unter anderem auf als Dauerverlierer im Kampf gegen ein kleines gallisches Dorf und dessen berühmte Einwohner.
Überambitioniert soll er auch im wirklichen Leben gewesen sein, ehrgeizig und machtorientiert. Aber er war alles andere als ein Verlierer: Nach einer zunächst unspektakulären Beamtenlaufbahn begann 69 v. Chr. - unterstützt durch eine pekuniär interessante Eheschließung - seine politische Karriere mit der Wahl als Quästor in den Senat. Er gründete ein Triumvirat mit Crassus und Pompeius und erreichte 59 v. Chr. ein weiteres seiner großen Ziele: Er wurde zum Konsul gewählt und erhielt danach das Prokonsulat über Gallien. Diesen beachtlichen Machtgewinn nutzte er für einen langjährigen, am Ende erfolgreichen Krieg gegen die Einwohner Galliens (58 - 49 v. Chr.), das danach für Jahrhunderte im römischen Machtbereich blieb. Über eine Million Gallier soll dabei ihr Leben verloren haben, eine weitere Million wurde versklavt.
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