Maya blickte zu ihm herauf, als er die Treppe herunterkam. “Hallo.” Es war eine passive Begrüßung, nicht freudig, aber auch nicht widerwillig. Neutral. Wie jemand, der einen Fremden begrüßt.
“Hallo Maya.” Er bewegte sich auf sie zu, um sie zu umarmen und ein Anflug von Unbehagen warf einen Schatten über ihr Gesicht. Er ließ es bei einer halben Umarmung bleiben, legte einen Arm um ihre Schultern, während ihre Hand einmal auf seinen Rücken klopfte. “Du siehst… du siehst gut aus.”
“Mir geht es gut.” Sie räusperte sich und fuhr fort: “Das ist Greg.”
Der Junge, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, tat einen Schritt nach vorn und streckte eine enthusiastische Hand aus. “Mr. Lawson, es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen.” Er war groß, etwa eins-neunzig, mit kurzem blonden Haar, perfekten Zähnen und gebräunten Armen, um die sich die Ärmel seines Polo-Shirts spannten.
Er sah aus wie der Quarterback eines High School Footballteams.
“Äh, ebenfalls, Greg.” Null schüttelte die Hand des Jungen. Greg hatte einen festen Griff, fester als notwendig.
Null war er sofort unsympathisch. “Du bist ein, äh, Freund von Maya aus der Akademie?”
“Mein Freund”, sagte Maya unbeirrbar.
Der Typ? Null gefiel er jetzt noch weniger. Sein Lächeln, seine Zähne. Eifersucht brannte in ihm. Dieser grinsende Idiot stand seiner Tochter nah. Näher als Null es erlaubt war.
“Warum stehen wir hier herum? Kommt rein, bitte.” Maria schloss die Tür und führte sie auf das Wohnzimmer zu. “Setzt euch. Das Abendessen ist noch nicht ganz fertig. Kann ich euch was zu Trinken anbieten?”
Sie antworteten, doch Null hörte es nicht. Er war zu beschäftigt damit, diese relativ fremde Person in seinem Haus zu inspizieren – und damit meinte er nicht Greg. Maya blühte zu einer jungen Frau auf mit ihrem neuen Haar, ihrer gebügelten Kleidung, dem Freund, der Akademie und ihrer Karriere… und er war kein Teil davon. Hatte nichts damit zu tun.
Trotz allem, was geschehen war, hatte Maya sich nicht von dem Ziel abbringen lassen, das sie sich fast zwei Jahre zuvor gesetzt hatte. Sie wollte eine CIA Agentin werden – noch mehr, sie wollte die jüngste Agentin in der Geschichte der CIA werden. Doch es hatte nichts damit zu tun, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Sie hatte selbst einige fürchterliche Erlebnisse überstanden, das schlimmste davon, als sie von einem psychopathischen Attentäter entführt und einem Menschenhändlerring übergeben wurde. Deshalb wollte sie zu den Beschützern gehören, die verhindern, dass solche Dinge anderen jungen Frauen geschehen.
Nachdem sie das letzte Jahr der High School übersprungen hatte, bewarb sich Maya ohne Nulls Mitwissen bei der Militärakademie West Point. Obwohl ihre Noten hervorragend waren, hatte sie keine Ausbildung als Reserveoffizier und nicht vor, in den Militärdienst zu treten, weshalb sie nicht die beste Kandidatin wäre. Doch auch dafür hatte sie einen Plan.
Mit einer List und Tücke, die auf eine illustre Karriere im Geheimdienst vorahnen ließ, ging Maya über den Kopf ihres Vater zu dem Agentenkollegen (und Freund) Todd Strickland. Durch ihn, und weil sie Agent Nulls Tochter war, schaffte sie es, ein Empfehlungsschreiben des damaligen Präsidenten Eli Pierson zu bekommen, der dachte, er täte Null einen persönlichen Gefallen. Sie wurde bei West Point akzeptiert und zog vor Ende dieses ersten Sommers, nachdem sie die Wahrheit über ihre Mutter erfahren hatte, nach New York.
Null fand das alles erst heraus, als sie schon ihre Taschen packte. Doch da war es schon zu spät, um sie aufzuhalten, obwohl er dies natürlich dennoch versuchte. Er schaffte es nicht, sie davon abzubringen.
Jetzt war sie in ihrem zweiten Jahr und obwohl die Bande zwischen Vater und Tochter fast aufgelöst waren, blieb Maria, so gut wie sie konnte, mit Maya in Kontakt und informierte Null. Er wusste, dass sie die Klassenbeste war, bei allem, was sie tat, glänzte und die Bewunderung der Fakultät auf sich zog. Er wusste, dass sie auf große Taten zuschritt.
Er wünschte sich nur, dass es nicht dieselbe Karriere wäre, die den Tod ihrer Mutter verursacht und die Beziehung zu ihrem Vater ruiniert hatte.
“Also.” Greg räusperte sich neben Maya auf dem Sofa, während Null ihnen gegenüber in einem Sessel saß. “Maya erzählt mir, dass Sie ein Buchhalter sind?”
Null lächelte dünn. Natürlich würde Maya einen so langweiligen Beruf als seine Deckung wählen. “Das stimmt”, erwiderte er, “Unternehmensfinanzierung.”
“Das ist… interessant.” Greg zwang sich zum Lächeln.
Was für ein Schleimer. Was findet sie nur an dem Typen? “Und du Greg?” fragte er. “Was hast du vor? Willst du Offizier werden?”
“Nein, nein, ich glaube, das ist nicht das Richtige für mich.” Der Junge winkte mit der Hand ab, als ob er die Idee wie eine Fliege totschlagen wollte. “Ich möchte zum NCAVC. Spezifischer zum BAU…” Er hielt inne und lachte leicht über sich. “Entschuldigung Mr. Lawson, Ich vergaß, dass ich mit einem Zivilen spreche. Ich möchte ein FBI Agent werden, bei der Einheit für Verhaltensanalyse. In der Division für gewalttätige Verbrechen. Wissen Sie, die Leute, die Massenmörder, inländische Terroristen und so jagen.”
“Das klingt aufregend”, gab Null flach zurück. Natürlich wusste er, was die NCAVC war und BAU – fast jeder, der das Abendprogramm im Fernsehen sah, wusste das – doch er sagte nichts. Er hatte sogar nur geringen Zweifel daran, dass wenn dieses kriecherische Kind ihm gegenüber wüsste, wer er war, Agent Null, ihm das ölige Grinsen vom Gesicht rutschen würde und er binnen einer halben Sekunde zu einem schleimigen Fan von ihm würde.
Doch er konnte nichts davon sagen. Stattdessen fügte er hinzu: “Klingt ganz schön ehrgeizig.”
“Greg schafft das”, stimmte Maya zu, “er ist der Beste der zweiten Klasse.”
“Das bedeutet,junior’”, erklärte Greg Null. “Aber im Point nennen wir sie nicht so. Und Maya hier ist die beste in der dritten Klasse.” Er reichte hinüber und drückte sanft Mayas Knie.
Null musste sich mit aller Gewalt davon abhalten, seine Lippe nicht zu einem Knurren hochzuziehen. Plötzlich verstand er, warum Maya den Jungen mitgebracht hatte. Er war mehr als nur ein Puffer zwischen ihnen. Wenn er dabei war, konnten sie nicht offen sprechen. Es gäbe kein Gespräch über die CIA, über die Vergangenheit. Verdammt, er war sich nicht mal sicher, ob er das fragen konnte, worüber er am meisten sprechen wollte, Sara.
Dass Maya ihn verließ, um zur Akademie zu gehen, erdrückte ihn. Doch Sara… trotz all der Zeit, die vergangen war, fühlte es sich immer noch wie der Sargnagel an, der sein Herz durchstochen hatte.
Greg redete immer noch, sagte etwas über das FBI und wie dort nach dem Skandal aufgeräumt wurde, und dass seine Familie Verbindungen hatte, oder irgendetwas. Null hörte nicht zu. Er blickte hinüber zu ihr, zu seiner Tochter, zu der jungen Frau, die er großgezogen hatte, der er alles gab, was er konnte. Er hatte ihre Windeln gewechselt. Ihr beigebracht, zu laufen und zu sprechen und zu schreiben und Softball zu spielen und wie man eine Gabel benutzt. Er hatte ihr Stubenarrest erteilt, sie umarmt, wenn sie weinte, sie aufgemuntert, wenn es ihr schlecht ging, Pflaster auf aufgeschürfte Knie geklebt. Er hatte ihr Leben gerettet und wegen ihm wurde ihre Mutter getötet.
Als er zu ihr herüberblickte und versuchte, ihr in die Augen zu schauen, sah sie weg.
In diesem Moment wusste er es. Es gäbe keine Versöhnung, zumindest nicht heute Abend. Dies war nur eine Formalität. Hiermit sagte ihm Maya, du verdienst es, zu wissen, dass ich am Leben bin und es mir gut geht, doch davon abgesehen nicht mehr.
Sie starrte auf den Teppich, während Greg über irgendetwas weiterplapperte, ihr Blick war nachdenklich. Ihr Lächeln stockte und als es verschwand, verließ auch Null die Hoffnung, seine Tochter zurückzuerlangen.
Читать дальше