Maya kam zum Abendessen.
Null inspizierte seine Jeans, versicherte sich, dass sie keine Löcher oder Kaffeeflecken hatte und wechselte sein altes T-Shirt durch ein gestreiftes Hemd aus.
Du bist ein Lügner.
Er fuhr sich mit dem Kamm durch sein Haar. Es wurde zu lang. Er ergraute langsam, besonders an den Schläfen.
Mama starb wegen dir.
Er drehte sich zur Seite und inspizierte sich im Spiegel, zog die Schultern zurück und versuchte, den kleinen Bauch einzuziehen, der sich um seinen Nabel gebildet hatte.
Ich hasse dich.
Die letzte bedeutungsvolle Unterhaltung, die er mit seiner ältesten Tochter hatte, war beißend. In dem Hotelzimmer des Plaza, als er ihnen die Wahrheit über ihre Mutter sagte, war Maya vom Bett aufgestanden. Sie begann ruhig, doch ihre Stimme erhob sich schnell um eine Oktave. Ihr Gesicht wurde immer röter, als sie ihn verfluchte. Sie nannte ihn bei jedem Schimpfwort, das er verdient hatte. Sagte ihm ganz genau, was sie über ihn, sein Leben und seine Lügen dachte.
Danach war nichts mehr wie früher. Ihre Beziehung hatte sich plötzlich dramatisch verändert, doch das war nicht der schmerzhafteste Teil. Wenigstens war sie damals noch körperlich anwesend. Nein, was danach kam war viel schlimmer. Nach dem Geständnis im Hotel, nachdem sie wieder zurück in ihr Haus in Alexandria gekehrt waren, ging Maya zurück zur Schule. Sie beendete die elfte Klasse. Zwar hatte sie zwei Monate verpasst, doch sie konzentrierte sich so stark auf ihre Aufgaben, wie Null es noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte.
Dann kam der Sommer und dennoch verschloss sie sich in ihr Zimmer zum Lernen. Er brauchte nicht lange, um zu verstehen, was geschah. Maya war extrem intelligent – zu schlau für ihr eigenes Wohl, hatte er oft gesagt. Doch in diesem Fall war sie zu clever für sein Wohl.
Maya lernte und arbeitete hart und konnte aufgrund einer wenig bekannten Statut ihrer Schule das letzte Jahr überspringen, indem sie alle Abschlussprüfungen schaffte. Sie schoss die High School vor dem Ende dieses ersten Sommers ab – doch es gab keine Zeremonie, keine Kappe und Robe, kein Abschlussfest mit den Klassenkameraden. Keine stolzen, lächelnden Fotos neben ihrem Vater und ihrer Schwester. Sie erhielt nur eines Tage einen formalen Brief und ein Zeugnis in der Post, was zu Nulls elendem Erstaunen führte, als er verstand, was sie versuchte, zu tun.
Und dann, erst dann, war sie weg.
Er seufzte. Das war schon länger als ein Jahr her. Er hatte sie zuletzt diesen letzten Sommer gesehen, im Juli oder August, kurz nach seinem vierzigsten Geburtstag. Sie kam nur selten zurück von New York. Bei dieser Gelegenheit war sie zurückgekehrt, um eine ihrer Sachen aus dem Lagerplatz abzuholen und hatte zögernd zugestimmt, mit ihm zu Mittag zu essen. Ihr Treffen war ungelenk, angespannt und größtenteils still. Er fragte, drängte sie dazu, von ihrem Leben zu erzählen und sie gab kurze Antworten und vermied Blickkontakt.
Und jetzt kam sie zum Abendessen.
“Hey.” Er hatte Maria nicht in das Loft-Schlafzimmer eintreten hören, doch er spürte ihre Arme um seine Taille, wie ihr Kopf sich gegen seinen Rücken lehnte, als sie ihn von hinten umarmte. “Es ist in Ordnung, nervös zu sein.”
“Ich bin nicht nervös.” Er war sehr nervös. Ich freue mich drauf, sie zu sehen.”
“Ja, natürlich.” Maria hatte das Treffen organisiert. Sie war diejenige, die Maya kontaktiert hatte, um sie einzuladen, wenn sie das nächste Mal in der Stadt wäre. Die Einladung hatte sie vor zwei Monaten gemacht. Maya war dieses Wochenende in Virginia, um ein paar Schulfreunde zu treffen und hatte zögernd zugestimmt, zu kommen. Nur zum Abendessen. Sie würde nicht bleiben. Das gab sie sehr deutlich bekannt.
“Hey,” sagte Maria sanft hinter ihm, “ich weiß, dass jetzt vielleicht nicht der beste Zeitpunkt dafür ist, aber…”
Null zuckte zusammen. Er wusste, was sie sagen würde und wünschte, dass sie es nicht täte.
“Ich habe meinen Eisprung.”
Für einen langen Moment erwiderte er nichts. Es war lang genug, um zu bemerken, dass die Stille, die zwischen ihnen gähnte, unangenehm war.
Als sie zusammenzogen, waren sie sich einig, dass keiner der beiden besonders an einer Hochzeit interessiert war. Kinder waren nicht mal auf seinem Radar. Doch Maria war nur zwei Jahre jünger als er, sie ging stark auf die Vierzig zu. Auf ihrer biologischen Uhr gab es keine Schlummertaste mehr. Zuerst bemerkte sie es nebenbei in einer Unterhaltung, doch dann hörte sie auf, zu verhüten und begann, ihren Zyklus streng zu verfolgen.
Dennoch hatten sie sich niemals zusammengesetzt, um es zu besprechen. Es war, als ob Maria einfach annahm, dass weil er schon zwei Kinder hatte, er gerne wieder Vater würde. Er sprach es zwar niemals laut aus, doch insgeheim hatte er den Verdacht, dass dies der Grund war, warum sie nicht darauf drängte, dass er zur Agentur zurückkehrte oder zumindest zur Universität. Es gefiel ihr, wo er war, denn es bedeutete, dass jemand da wäre, um sich um ein Baby zu kümmern.
Wie kann das sein, dachte er verbittert, dass mein Leben als arbeitsloser Ziviler komplizierter ist als jenes, das ich als Geheimagent hatte?
Er hatte mit seiner Antwort zu lange gewartet, und als er schließlich sprach, klang es erzwungen und lahm. “Ich glaube”, erwiderte er schließlich, “dass wir damit erst mal langsam machen sollten.”
Er spürte, wie ihre Arme von seiner Taille fielen und fügte hastig hinzu: “Nur, bis wir diesen Besuch hinter uns haben. Dann reden wir darüber und entscheiden —”
“Weiter zu warten.” Sie spuckte die Worte fast aus und als er sich drehte, um sie anzusehen, starrte sie mit unverhohlener Enttäuschung auf den Teppich.
“Das sage ich doch gar nicht.”
Doch, das sagst du.
“Ich glaube nur, dass es ein ernsthaftes Gespräch braucht”, erklärte er.
Damit ich genügend Mut aufbringe, um zuzugeben, dass ich es nicht will.
“Wir sollten uns zumindest zuerst darum kümmern, was jetzt vor uns liegt.”
Wie die Tatsache, dass die beiden Kinder, die ich schon großgezogen habe, mich hassen.
“Ja”, stimmte Maria leise zu. “Du hast recht. Wir warten weiter.” Sie wandte sich um und ging aus dem Schlafzimmer.
“Maria, warte…”
“Ich muss das Abendessen fertigkochen.” Er hörte ihre Schritte auf der Treppe und schalt sich selbst leise dafür aus, dass er so schlecht mit der Situation umgegangen war. So wie mit seinem ganzen Leben in letzter Zeit.
Dann klingelte es an der Tür. Das Geräusch sandte ein elektrisches Kribbeln durch sein Nervensystem.
Er hörte, wie die Tür sich öffnete. Marias fröhliche stimme: “Hallo! So schön, dich zu sehen. Komm rein, komm rein.”
Sie war hier. Plötzlich fühlten sich Nulls Füße wie Bleigewichte an. Er wollte nicht heruntergehen. Wollte sich der Situation nicht stellen.
“Und du musst Greg sein…” sagte Maria.
Greg? Wer zum Teufel ist Greg? Plötzlich fand er die Willenskraft, sich zu bewegen. Eine Stufe nach der anderen geriet sie langsam in sein Blickfeld. Es waren erst ein paar Monate vergangen, seitdem er sie gesehen hatte, doch sie raubte ihm dennoch den Atem.
Maya war jetzt achtzehn, kein Kind mehr, und das zeigte sich schneller als er zugeben wollte. Als sie sich im vergangenen Sommer zum Mittagessen trafen, war ihr Haar noch lang und zu dem durch das Militär vorgeschriebenen Knoten gebunden, doch seitdem hatte sie es kürzer geschnitten, ein sogenannter Pixie-Schnitt, kurz an den Seiten und am Hinterkopf, zog er sich über ihre Stirn, hob ihr schlankes Gesicht hervor, das reifer und kantiger wurde. Sie sah stärker aus, die Muskeln in ihren Armen entwickelten sich, klein doch fest.
Sie sah ihm jeden Tag ähnlicher, während er täglich weniger wie er selbst aussah und sich fühlte.
Читать дальше