Gute Idee, dachte Hunt. Er schloss die Tür zu seinem Büro auf und schaltete das Licht ein. Mit entschlossenem Schritt lief er über den Teppichboden zu seinem Schreibtisch. Er nahm einen breiten schwarzen Filzstift und ein Blatt Schreibpapier sowie eine Rolle Klebestreifen. Lächelnd begann er zu schreiben.
Der Postbote fuhr dreimal am Haus vorbei, ehe er anhielt. David Adams grinste in sich hinein, als er sah, dass der rote Wagen vor dem Haus bremste. Er hatte den Briefkasten ausgegraben, das Loch aufgefüllt und den Kasten ganz hinten im Hof abgeladen. Später, nach dem Frühstück, würde er den Pfosten zu Feuerholz zersägen und den Briefkasten selbst in Stücke schlagen. Der Postbote stieg aus dem Wagen, und mit den Briefen in der Hand ging er über die Auffahrt direkt auf die Vordertür zu.
Rasch schloss David die Gittertür und verriegelte die eigentliche Haustür. Immer noch grinsend zog er die Vorhänge zu. Der Postbote musste allmählich verzweifeln. Er sah miserabel aus, und er stellte die Post sogar am Tag zu. Bald hatten sie den Bastard in die Enge getrieben!
John Smith klopfte an die Tür. »Mister Adams!«
David sagte nichts, rührte sich nicht.
Erneutes Klopfen. »Mister Adams!«
David antwortete nicht.
»Ich weiß, dass Sie da drinnen sind«, sagte der Postbote. Er klopfte wieder, lauter jetzt, kräftiger. »Mister Adams? Es tut mir leid, Sie darüber informieren zu müssen, dass Sie gegen ein Bundesgesetz verstoßen. Da Sie keinen Briefkasten haben, sind Sie verpflichtet, entweder ein Postfach an Ihrem Wohnort oder einen Briefschlitz an Ihrer Tür zu haben, damit die Post ordnungsgemäß zugestellt werden kann. Wenn nicht, beeinträchtigen Sie den Betriebsablauf des US Postal Service und können gerichtlich verfolgt werden.«
David lächelte. Es lag ein harter Unterton in der Stimme des Postboten und mehr als nur eine Andeutung von Verzweiflung.
»Ich weiß, dass Sie da drinnen sind«, wiederholte der Postbote. Seine Stimme bekam nun einen verführerischen, gerissenen Beiklang. »Ich habe hier Sendungen, von denen ich weiß, dass Sie sie gerne sehen würden. Darlas letzten Brief. Ein Brief von ihrem Geliebten. Das ist heute gute Post, Mister Adams. Gute Post.«
David sagte nichts, obwohl er den Hundesohn am liebsten angeschrien hätte. Er blieb regungslos stehen. Dann hörte er, wie der Postbote die Briefe wütend auf die Türschwelle warf und davonstapfte. Einen Augenblick war das Starten des Automotors zu vernehmen, gefolgt vom Abrollgeräusch der Reifen, das leiser wurde, als der Wagen davonfuhr. David zog die Vorhänge auf, öffnete die Tür, atmete tief durch und fühlte sich gut.
Es war nur eine Frage der Zeit.
Doug, Tegarden und Mike saßen schweigend auf der einsamen Bank vor dem Bayless. Von dort konnten sie das Geschäftsviertel der Stadt zu einem großen Teil überblicken. Während der letzten Stunde hatten sie beobachtet, wie der Postbote die Straße auf und ab gefahren war und verzweifelt versucht hatte, irgendwo Post zuzustellen. Alle Geschäfte hatten ihre Briefkästen entfernt oder die Briefschlitze blockiert, und die meisten Bürger hatten Schilder aufgestellt, einige sorgfältig von Hand auf Pappe gemalt, einige am heimischen PC ausgedruckt, andere grob hingekritzelt:
KEINE POSTANNAHME
EIN EINZIGER BRIEF KANN DEINEN GANZEN TAG RUINIEREN
ICH FASSE KEINEN BRIEF AN, ES SEI DENN, DU KLEMMST IHN MIR ZWISCHEN MEINE KALTEN, TOTEN FINGER
POST IST FÜR KINDER UND ANDERE LEBEWESEN UNGESUND
POST IST SCHEISSE
Das Verhalten des Postboten war immer hektischer geworden, wie er von Laden zu Laden hastete, von der Tankstelle zu einem Büro, und sein Fahrstil wurde immer verrückter, während er zum vierten, fünften, sechsten Mal am selben Straßenabschnitt vorbeifuhr. Von außen betrachtet erschien er wie ein gefangenes, zum Sterben verdammtes Insekt, das aus dem tödlichen Gefängnis eines Glasgefäßes zu entkommen suchte.
Doug war nervös und aufgeregt - und er wusste, dass die anderen Männer es auch waren -, doch alle drei hatten Masken aus wortkargem Desinteresse aufgesetzt, als wären sie drei ältere Herrschaften, die ihre Zeit auf einer Parkbank totschlugen und beiläufig kommentierten, was ihnen vor die Augen kam.
»Sieht so aus, als ginge er wieder zum Donut-Stand«, sagte Tegarden gedehnt.
»Jau«, sagte Mike.
Doug empfand beinahe so etwas wie Mitleid wie mit dem Postboten. Er mochte es nicht, wenn jemand verletzt oder verwundet wurde. Aber er musste nur an Trish und Billy denken, an Hobie und Stockley und all die anderen, damit dieses Mitgefühl verflog und einer grimmigen Befriedigung wich.
Der Postbote bekam, was er verdiente.
»Er versucht, Briefe unter der Tür der Versandhaus-Filiale durchzuschieben.«
»Wird nicht klappen«, sagte Tegarden.
Der Postbote rannte zu seinem Wagen zurück und fuhr zum achten Mal die Straße entlang.
Das Wasser kam am Vormittag des neunten Tages zurück, die Elektrizität am selben Nachmittag. Am Ende des nächsten Tages waren sowohl Gasversorgung als auch Telefonverbindung wiederhergestellt.
Der Postbote war mehr als zwei Tage lang nicht gesehen worden. Als Doug die Polizeiwache anrief, berichtete ihm Mike, dass Smith' Wagen sich seit zweiundfünfzig Stunden nicht vom Postamt wegbewegt hatte. »Ich glaube, es ist Zeit, dass wir da reingehen und nachsehen«, sagte er. »Bin gespannt, was da vor sich geht.«
Sie fuhren gemeinsam in vier Wagen, und Doug musste die ganze Zeit an Jack und Tim denken. Wenn alles vorbei war, musste es einen Gedenkgottesdienst für sie geben. Für alle Opfer der Post.
Fliegen summten um die eingetrockneten Köpfe der toten Hunde. Die Luft war erfüllt vom Verwesungsgestank der Tierkadaver. Die acht Männer marschierten über den Parkplatz zur Tür des Postamts.
Mike gab Tegarden, dem größten und stärksten Mann der Truppe, ein Zeichen. »Tritt sie ein«, sagte er und zeigte auf die Glastür.
Tegarden kam der Aufforderung mit Freuden nach, und explodierende Scherben und Splitter flogen ins Innere des Gebäudes.
Sie stiegen durch den Türrahmen.
Im Postamt war es dunkel. Die Fenster waren vollkommen mit Brettern vernagelt, die Beleuchtung ausgeschaltet. Braunes Packpapier bedeckte Wände, Fußboden und Decke. Zögernd drangen die Männer tiefer ins Gebäude vor, Doug voran. Die Geräusche ihrer Schritte kamen ihnen in der Stille erschreckend laut vor. »Wo zum Teufel sind Sie?«, rief Doug.
Es kam keine Antwort. Die Männer bewegten sich vorsichtig vorwärts, blieben nahe beieinander. Im Raum herrschte totales Chaos. Der hohe Metalltisch, der an einer Wand gestanden hatte, war umgestürzt, und der Boden war übersät mit Papier und Päckchen und zerbrochenen Möbeln. Auf dem Schalter lag eine tote Ratte, daneben große Knochen, wahrscheinlich von einem Hund, die zu einem präzisen, geometrischen Muster arrangiert worden waren. Die gesamte Oberfläche des Schalters war mit eingetrocknetem Blut bedeckt.
Doug ging langsam um den Schalter herum. Das Postamt schien leer zu sein, wie tot. Doug war dennoch nervös und angespannt bis in die Haarwurzeln. Auf Zehenspitzen ging er zu der offenen Tür, die in den hinteren Raum führte.
Aus dem Raum war ein langes, leises Seufzen zu vernehmen.
Und ein verängstigtes Wimmern.
Doug blieb wie angewurzelt stehen. Sein Herz schlug heftig. Als er hinter sich blickte, sah er Furcht auf den Gesichtern sowohl der erfahrenen wie auch der jungen Polizisten. Sie alle hatten die Geräusche gehört, nur wusste keiner von ihnen, was man davon halten sollte. Nur Mike schien unbeeindruckt. Er schob sich an Doug vorbei und machte sich bereit, den Angriff auf den hinteren Raum des Postamts anzuführen, doch Doug hielt ihn zurück. Er hatte Angst, wusste aber, dass diese Aufgabe in seiner Verantwortung lag. »Nein«, sagte er.
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