Doug lächelte. Das war ein taktischer Fehler des Postboten gewesen, da war er sicher. Denn der Gestank und die Seuchengefahr durch die verwesenden Früchte, Tiere und was sonst noch in den Päckchen gewesen war, hätten Doug letztendlich gezwungen, den Garten zu säubern und dadurch dem Postboten Energie zu verschaffen. Stattdessen war der Postbote seinerseits gezwungen gewesen, Kraft darauf zu verwenden, die Päckchen zu beseitigen.
Die Anzeichen waren unmerklich, aber sie waren da.
Der Postbote bekam Angst.
Er wurde schlampig.
Es ging abwärts mit ihm.
Sie mussten ihn nur weiterhin auflaufen lassen.
Die Tage waren lang. Die Nächte waren länger.
Telefon, Gas, Wasser und Strom waren seit dem Tag unterbrochen, nachdem die Päckchen verschwunden waren, und sowohl Doug als auch Trish begannen zu riechen, weil sie nicht baden konnten. Zu essen gab es Sandwiches und Gegrilltes, und sie tranken warmes Bier und warme Cola. Während der endlosen Tage warteten sie auf der Veranda und versuchten zu lesen, ohne wirklich etwas aufzunehmen, oder sie gingen ins Krankenhaus, um bei Billy zu sitzen. Das Hospital besaß seine eigenen, unabhängigen Stromgeneratoren, und wenn es Doug und Trish wegen der neuerlichen Überfüllung auch nicht erlaubt war, das rationierte Wasser zu verwenden oder die Nacht in der gekühlten Luft der Klimaanlage zu verbringen, so hatten sie wenigstens die befriedigende Gewissheit, dass man sich um Billy kümmerte.
Der Psychiater, der von Phoenix gekommen war, sagte ihnen nach einer Sitzung mit Billy, die den ganzen Nachmittag gedauert hatte, dass ihr Sohn ein gesunder und ausgeglichener Junge sei und mit der richtigen Unterstützung in der Lage sein sollte, sich von den Schrecken zu erholen.
Nachts wurde Dougs unruhiger Schlaf von Träumen gestört. Träume, in denen Willis eine Geisterstadt war und sämtliche Gebäude aus Postsendungen bestanden. Träume, in denen Trish nackt und verführerisch auf dem Bett lag, von Kopf bis Fuß mit abgestempelten Briefmarken bedeckt. Träume, in denen Billy eine Uniform des Postal Service trug und den Postboten grinsend auf dessen höllischen Runden begleitete.
Das Benzin im Bronco ging zur Neige, aber Doug konnte nicht anders, als in die Stadt zu fahren und sich bei der Polizei nach der Lage zu erkundigen. Der Postbote kam jede Nacht und stellte die Post zu, die er nun im Briefkasten deponierte. Doug fürchtete immer wieder, dass jemand in der Stadt nachgab, einen Brief annahm oder, schlimmer noch, abschickte. Doch Mike und Tegarden sagten jedes Mal, dass der Widerstand gegen den Postboten ungebrochen sei, soweit sie es sagen konnten.
Der sechste Tag verging.
Die Klimaanlage im Krankenhaus war abgestellt worden, um Treibstoff für die Generatoren zu sparen, aber die Fenster waren geöffnet, und eine leichte Brise kühlte Billys Zimmer. Doug und Billy spielten Monopoly, während Trish zuschaute; dann spielten Trish und Billy Parcheesi, während Doug zuschaute.
Wie dünn doch die Fassade der Zivilisation war, dachte Doug. Wie wenig es braucht, um sie alle wieder in die Höhlen zurückzutreiben. Es waren nicht nur die Gesetze, die die Menschen von den Tieren unterschieden. Es war nicht die Vernunft. Es war auch nicht die Kultur oder die Regierung. Es war die Kommunikation, die ihnen die Annehmlichkeiten des modernen Lebens sicherte. Ein Zusammenbruch der Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung, wo fast alles von der zuverlässigen Übertragung korrekter Informationen abhing, machte die Menschen hilflos und verloren, was zur Aufgabe normaler Verhaltensregeln führte und den Weg ins Chaos ebnete.
Wie weit entfernt der Alltag zu sein schien. Der Beruf, die Schule. Wie idyllisch und unschuldig das alles nun wirkte. Doug versuchte sich zu erinnern, wann wieder Schulanfang war, doch er wusste es nicht. Er wusste nicht einmal mehr das Datum.
Während er zum Polizeirevier ging, um zu sehen, was vor sich ging, blieb Trish im Krankenhaus. Auf dem Weg kam Doug am Circle-K-Einkaufszentrum vorbei. Er fuhr langsamer, als er den Postboten sah, der den blauen Postkasten vor dem Kiosk öffnete. Der Kasten war völlig leer, und wütend schlug der Postbote die Metallklappe zu. Doug schauderte, so hager, beinahe skeletthaft sah der Postbote aus. Seine blasse Haut war ausgebleicht wie weiße Knochen, und sein ehemals feuerrotes Haar war stumpf.
In Doug keimte Hoffnung auf. Sein Plan schien aufzugehen. Offenbar hatte er recht gehabt: Smith mochte in der Lage sein, Post zu ersetzen und zu erzeugen, aber dazu brauchte er Nachschub an neuer Post. Doug lächelte in sich hinein.
Plötzlich drehte Smith sich zu ihm um und grinste. Er sah ihm direkt in die Augen, als wüsste er genau, dass Doug ihn beobachtet hatte. Die perfekten Zähne in dem weißen Gesicht, das wie die Fratze eines Totenschädels aussah, leuchteten Furcht erregend. Ein zum Leben erwachtes Monster aus einem Comic-Heft. Der Postbote griff in seine Tasche und zog eine Hand voll Briefumschläge heraus, fächerte sie auf wie ein Kartenspiel, bot sie Doug an.
Doug trat aufs Gaspedal und fuhr am Circle K vorbei, ohne den Postboten anzusehen, während ihm das Herz bis zum Hals schlug.
Seine Furcht überlebte die Fahrt bis zum Polizeirevier nicht. Zum ersten Mal hatte er gute Neuigkeiten zu berichten, und als er erzählte, was er gesehen hatte, brachen die Polizisten in Jubel aus.
»Keine Post«, sagte Mike und grinste. »Keine Post! Keine Post!«
Die andere fielen in den Sprechgesang ein.
»Keine Post! Keine Post! Keine Post!«
Tril Allison stand mit seinen Söhnen vor dem Wohnzimmerfenster und beobachtete, wie der rote Wagen des Postboten vor ihrer Einfahrt abbremste. Annie, die nicht hinschauen wollte, weil sie Angst hatte, blieb in der Küche.
Der Wagen kam zum Stehen, und der Postbote stieg aus. Er sah außergewöhnlich dünn aus, fast ausgezehrt, und selbst aus der Entfernung konnte Tril die knochigen Hände sehen, die aus den Ärmeln der Uniform ragten, und das hagere, ausgemergelte Gesicht. Trils Hände umklammerten die Fensterbank. Er hatte Angst und war zugleich in Hochstimmung; er fürchtete sich und war zugleich freudig erregt. Es funktionierte! Der Englischlehrer hatte recht gehabt. Wenn er keine Post zustellen konnte, verlor John Smith seine Kraft. Er starb.
Durch das Fenster traf Trils Blick sich mit dem des Postboten, und zum ersten Mal seit langer Zeit blickte Tril nicht weg.
Der Postbote bewegte sich zum hölzernen Briefkasten und öffnete die Klappe. Umschläge quollen heraus, weiße und gelbbraune, dünne und gepolsterte, große und kleine: die unberührte Post, die in den vergangenen Tagen zugestellt worden war. Der Postbote blickte wieder zum Haus. Tril sah unbändige Wut auf dem weißen, ausgemergelten Gesicht, einen Ausdruck von Schmerz und Hass, so rau und ungehemmt, dass beide Jungen vom Fenster zurückwichen.
Doch Tril hielt dem Blick stand.
Er beobachtete, wie der Postbote wütend die Umschläge vom Boden aufhob und sie in den Kasten zurückschob. Er sah hin, als der Mann noch mehr Post vom Wagen holte und sie ebenfalls hineinschob. Er schaute zu, als er die Klappe des Briefkastens schloss.
Der Postbote ging zur Fahrertür des Wagens. Er warf einen wütenden Blick zum Haus und sagte etwas, was Tril nicht verstehen konnte, ehe er einstieg und in einer Staubwolke davonfuhr.
Tril wartete eine Weile, um sicherzugehen, dass der Postbote nicht zurückkehrte. Dann sah er Annie an, dann seine Söhne. Schließlich nahm er Hammer und Nägel und ging nach draußen, um den Briefkasten zuzunageln.
Hunt James fuhr in eine der sechs Parklücken vor dem Gebäude, das er sich mit Dr. Elliott teilte. Er war gekommen, um den Postschlitz in seiner Bürotür mit Klebeband zu verschließen, damit der Postbote nicht in der Lage war, irgendetwas an seine Geschäftsadresse zuzustellen. Er lief über den ausgeblichenen, rissigen Asphalt und betrat den kurzen Fußweg. Im Fenster des Zahnarztes sah er neben dem vertrauten Schild »Heute keine Kontrolluntersuchungen« ein weißes, rechteckiges Stück Pappe, auf dem in hastig hingekritzelten Buchstaben »ABSOLUT KEINE POST!« geschrieben stand.
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