James ‚Tiny‘ Deng grunzte, als er mit Albert Chaos SUV auf die Ellis Street abbog und sich nach einem Parkplatz umsah. Er hasste es regelrecht, wenn er mit Jake Leung zusammenarbeiten musste. Jake hielt einfach nie die Klappe.
„Also halte ich sie auseinander und eine von ihnen – die mit den langen Haaren – krallt sich in meinen Arm. Schau mal, was sie mit mir gemacht hat.“ Jake hielt einen Arm hoch, um die Kratzer zu zeigen, aber Tiny sah gar nicht richtig hin.
Auf der Ellis Street war weit und breit kein Parkplatz zu sehen, aber Tiny fand eine Lücke vor einem Hydranten. Er zuckte die Schultern und parkte dort. Dann zog er einen Zettel aus dem Handschuhfach und legte ihn auf das Armaturenbrett. Dort stand in Blockbuchstaben SFPD – EINSATZ. Tiny hatte keine Ahnung, wo der Boss das Teil herhatte, aber es war nützlich, wenn man keinen Parkplatz fand.
Soweit Tiny sich erinnern konnte, war erst einmal jemand trotzdem abgeschleppt worden, und der Boss hatte das Auto wiederbekommen, ohne einen einzigen Penny zu bezahlen.
So machte man Geschäfte.
„Egal, ich wollte der Schlampe ’ne Lektion erteilen, also habe ich …“
Zu dieser Zeit hatte sein Partner seine zwei Meter fünf große Gestalt bereits aus dem SUV bewegt und starrte ihn einfach nur an, weil er noch angeschnallt auf dem Beifahrersitz saß.
„Äh, Jake? Wir sind da.“
„Häh?“ Jake sah sich um und wurde sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass der Wagen angehalten hatte. „Richtig.“ Er öffnete die Tür und sprang auf den Gehweg. Dabei konnte er gerade noch dem Hydranten ausweichen. „Also. Was suchen wir noch mal?“
Tiny grunzte erneut. Er hatte es ihm bereits erklärt, aber Jake hörte so gern den Klang seiner eigenen Stimme, dass er sonst nicht viel mitbekam.
„Wir suchen zwei Typen in diesem Hotel“, sagte er. „Die haben so ein Schwert und wir sollen’s für den Boss holen. Er hat gesagt, wir sollen jeden abmurksen, der uns in die Quere kommt.“
„Okay. Das machen wir. Lass uns hoffen, dass sie keine Schlampen dabeihaben. Ich will keine neuen Kratzer.“ Er blickte bedauernd auf seinen Arm, der, soweit Tiny sehen konnte, keine Schramme aufwies.
Tiny sah sich um. Er entdeckte eine dreistöckige Fassade mit einem Laden für Bilderrahmen im Erdgeschoss und einem Zeichen neben der Tür, das nach oben deutete.
„Sieht so aus, als wäre es hier – lass uns mal nachsehen.“
Tiny ging auf die Tür zu, Jake folgte ihm. Nachdem sie eine schmale Treppe hinaufgestiegen waren, standen sie in einer kleinen Lobby mit rissigen Ledersofas und kaputten Tapeten. Zwei Flure mit ausgeblichenen Teppichen führten nach hinten. Hinter einer abgewrackten Theke saß ein aknebedeckter Junge, der Entertainment Weekly las. Auf dem Namensschild auf seiner Brust stand ELMER.
Ohne auch nur von seiner Zeitung aufzusehen, sagte Elmer mit gelangweilter Stimme: „Kann ich Ihnen helfen?“
Tiny tauschte einen kurzen Blick mit Jake und zog seine .45er, Jake tat es ihm nach. Während Tiny eine Kimber Ultra Refined Carry Pistole Modell II bei sich trug, musste Jake es wie üblich mit seiner Para-Ordnance Nite-Tac ACP übertreiben. Meistens dienten die Waffen sowieso nur zum Drohen. Wenn jemand in den Lauf einer solchen Handfeuerwaffe blickte, taten alle für gewöhnlich, was ihnen befohlen wurde.
Als er keine Antwort bekam, ließ Elmer sein Magazin sinken, sprang von seinem Hocker und stieß ihn aus Versehen nach hinten um.
„Oh, Gott, bitte töten Sie mich nicht, bitte nicht …“
„Schnauze!“, brüllte Jake. „Du hörst dich an wie ’ne Schlampe. Ich hasse Schlampen.“
„Nur eine Frage“, sagte Tiny und ignorierte seinen Partner. „Ist heute jemand angekommen? Vielleicht zwei Typen Mitte zwanzig?“
Elmer konnte seine Augen nicht vom Lauf von Tinys Kimber lösen.
„Da wa-wa-waren-diese, äh, diese zwei Kerle. In, äh, Raum 102.“
„Danke“, sagte Tiny. Er nickte in Richtung der Treppe. „So, jetzt hau hier ab und komm erst in ungefähr einer Stunde wieder, nicht früher. Wenn du irgendjemandem was sagst, werden wir dich finden und dir den Kopf wegpusten.“
Elmer lief blitzschnell hinunter und floh aus der Haustür.
Tiny drehte sich um und ging vor Jake den Flur hinunter. Er folgte dem Zeichen für die Zimmer 100 bis 150. Seine riesige Gestalt füllte die gesamte Breite des engen Korridors aus.
Als sie vor Zimmer 120 standen, hielt Tiny drei Finger hoch.
Dann zwei.
Dann einen.
Dann trat er die Tür ein.
Im Zimmer befanden sich zwei winzige weiße Männer. Natürlich waren aus seiner Perspektive alle winzig …
Einer hatte wirres dunkles Haar und saß am Schreibtisch. Der andere hatte sich auf dem Bett niedergelassen, das näher am Fenster stand. Er hielt ein Schwert – mit Sicherheit das, das sie für den Boss holen sollten.
Er erhob seine .45er.
„Keine Bewegung.“
„Wir bewegen uns nicht“, sagte der am Schreibtisch schnell, stand auf und erhob die Hände.
„Keiner wird verletzt, in Ordnung?“, sagte Jake. „Wir sind nur hier, um diesen kleinen Zahnstocher da abzuholen. Wisst ihr, ihr könntet euch damit ein Auge ausstechen.“
Der Typ, der auf dem Bett saß, betrachtete Jake misstrauisch.
„Ihr wollt dieses Schwert?“
„Das stimmt. Also, mach deinen hässlichen Kopf zu und schieb es rüber!“
Jake ging zu ihm.
Tiny hielt seine Waffe auf den gerichtet, der am Schreibtisch stand.
Jake trat neben den anderen mit dem Schwert und drückte ihm die .45er an die Schläfe. Dann streckte er seine freie Hand aus.
„Gib es mir.“ Er versuchte, bedrohlich zu klingen. „Versuch hier bloß nichts Dummes, oder ich schwöre bei Gott, ich jage dir eine Kugel in den Kopf.“
Tiny wusste es besser und wünschte, sein Partner würde aufhören zu reden. Wenn Jake wirklich abdrückte, würde ihn der Rückstoß auf diese Distanz zu Boden werfen. Außerdem würde der Schuss sonst wohin gehen. Das einzige Mal, dass Jake je die Waffe abgefeuert hatte, war auf dem Schießstand in Pression gewesen, auf unbewegliche Ziele. Plötzlich schlug der Typ Jakes Hand weg, griff nach dem Lauf und schlug ihm den Griff des Schwerts ins Gesicht.
Tiny reagierte eine Sekunde lang nicht. Er war seit Jahren Geldeintreiber und hatte noch nie gesehen, dass irgendjemand irgendwas tat, außer sich nass zu machen, wenn er eine .45er auf sich gerichtet sah.
Er war sich ziemlich sicher, dass das alles nicht passiert wäre, wenn Jake für eine halbe Sekunde die Klappe gehalten hätte.
Der am Schreibtisch sprang ihn an und Tiny versuchte, einen Schuss zu platzieren, aber die Kugel landete in der Decke. Billiger Gips regnete auf sie herunter, während der Typ ihn umrannte.
Oder es zumindest versuchte, denn Tiny wog mindestens dreihundert Pfund und das meiste davon waren Muskeln.
Der Typ boxte Tiny ein paar Mal gegen die Brust.
Tiny lächelte nur.
Dann schlug er den Typen mit voller Kraft ins Gesicht, sodass er quer durch den Raum gegen den Schreibtischstuhl flog und zusammenbrach. Er lag bewusstlos auf dem Boden.
Tiny drehte sich um und sah, dass sein Bruder jetzt die .45er in der Hand hielt und auf Jake zielte. Im Gegensatz zu Jake, der nicht viel mehr tun konnte, als in Strömen zu schwitzen, zielte er aus sicherer Distanz. Jake setzte sich auf das Bett neben der Tür.
Scheiße.
Der Kurzhaarige legte das Schwert aufs Bett und griff die .45er mit beiden Händen.
Tiny setzte seinen bedrohlichsten Tonfall ein und zielte auf seinen Gegner.
„Fallen lassen.“
„Du zuerst, Jackie Chan. Eine Bewegung und ich knipse deinen Freund aus.“
Tiny zuckte die Schultern.
„Mach ruhig. Dann hält er vielleicht endlich mal das Maul.“
„Hey!“, sagte Jake. „Was zur Hölle, Tiny, warum kannst du nicht …?“
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