Teufelskreis
Keith R.A. Decandido
Für Grace Anne Andreassi DeCandido, Helga Borck, Ursula K. LeGuin, Constance Hassett, Joanne Dobson und all die anderen Frauen, die mir so vieles beigebracht haben.
Erik hatte gerade Bier von dem Dämonenschädel gewischt, der hinter dem Tresen hing, als der Fremde eintrat. In das Demonsbane Inn verirrten sich normalerweise kaum Reisende. Nur äußerst selten war das Gesicht eines Gastes Erik unbekannt. Weniger selten war, dass ihm der Name nicht geläufig war. Er merkte sich Gesichter nur durch regelmäßige Begegnungen. Erik kümmerte es nicht, wer in seine Kneipe kam, solange dieser jemand nur genügend Durst und Bares mitbrachte.
Der Fremde, der an einem der Tische saß, schien entweder auf etwas zu warten oder nach etwas zu suchen. Er beachtete weder die kleinen runden Holztische und Stühle noch die dunklen Holzwände, die ohnedies nur schwer zu erkennen waren. Das Demonsbane hatte keinerlei Fenster, lediglich ein paar Fackeln spendeten leidlich Helligkeit. Erik machte sich nie die Mühe, die Tische geordnet aufzustellen, weil die Leute sie ohnehin so platzierten, wie es ihnen am besten in den Kram passte. Nach einer Weile stand der Fremde auf und trat vor die Holztheke. »Gibt es hier keine Bedienung?«, wandte er sich an den Wirt.
»Scharf beobachtet«, entgegnete Erik und betrachtete angelegentlich den Lappen, mit dem er sich um das Wahrzeichen seines Hauses gekümmert hatte. Er sah nicht ein, gutes Geld für einen Kellner auszugeben. Wenn die Leute etwas zu trinken haben wollten, fanden sie ganz von allein zur Theke. Und wenn sie dafür schon zu betrunken waren, kam ihm das auch entgegen. Das hielt sie davon ab, sich um den letzten Rest Verstand zu saufen, zu randalieren und am Ende noch die Einrichtung zu demolieren. Nein, auf Prügeleien konnte Erik getrost verzichten, er betrieb eine ruhige Taverne.
Der Fremde warf ein Silberstück auf den Tresen und fragte: »Was ist Euer teuerstes Getränk?«
»Eberschnaps aus dem Norden«, erwiderte Erik, ohne auch nur einen Moment nachdenken zu müssen. »Die Orcs stellen ihn her. Machen das fabelhaft, die grünen Jungs, wie mir aus dem berufenen Mund meiner Stammgäste immer wieder versichert wird...«
Der Fremde rümpfte abfällig die Nase. »Nein, nichts, was von Orcs kommt!«
Erik zuckte die Achseln. Die Leute hatten oft merkwürdige Ansichten, wenn es um Alkohol ging. Er kannte Gäste, die sich über die fragwürdigen Vorzüge von Bier oder Brandy heftiger stritten als über Politik oder Religion. Und wenn dieser Gentleman Orc-Getränke nicht ausstehen konnte, sollte das nicht Eriks Problem sein.
»Ich hätte auch ganz banalen frisch gebrannten Korn.«
»Her damit!« Der Fremde hieb mit der Faust auf den hölzernen Tresen, und die Erschütterung wirbelte Nussschalen, Beerenkörner und Staub auf, die sich dort angehäuft hatten. Erik säuberte den Tresen höchstens einmal im Jahr. Außer ihm und dem Dämonenschädel konnte niemand hinter die Theke blicken, folglich gab es keinen Grund, dort zu putzen.
Einer der von Erik erwähnten Stammgäste, ein Soldat, der am liebsten Eberschnaps trank, wandte sich zu dem Fremden um. »Macht es Euch etwas aus, mir zu verraten, was Ihr gegen das Orc-Gesöff einzuwenden habt? Ich habe nie etwas Besseres die Kehle runterrinnen lassen!«
Der Fremde blickte fast mitleidig, während Erik eine Glasflasche aus dem Regal angelte und etwas von ihrem Inhalt in einen leidlich sauberen Becher füllte.
»Ich habe gar nichts gegen das Gesöff von Orcs, guter Mann – nur die Orcs selbst, die mag ich nicht.« Der Fremde streckte seine Hand aus. »Ich heiße übrigens Margoz. Ich bin Fischer und alles andere als glücklich darüber, wie leer meine Netze in letzter Zeit bleiben.«
Der Soldat ignorierte die ihm dargebotene Hand und erwiderte, ohne sich selbst vorzustellen: »Das sagt für mich nur, dass Ihr kein wirklich guter Fischer seid.«
Margoz senkte die Hand wieder, als ihm klar wurde, dass der Soldat ihn nicht sonderlich mochte. Stattdessen nahm er seinen Becher auf und brummte: »Ich bin ein guter Fischer, Sir. Ich stamme ursprünglich aus Kul Tiras – doch die Umstände zwangen mich, von dort fortzugehen.«
Neben Margoz saß ein Händler, der an seinem Bier nippte. »Die Umstände, hm. Richtig, wurdest sicher eingezogen, um deinen hübschen Kopf gegen die Brennende Legion hinzuhalten, was?«
Margoz nickte düster und fuhr sich mit der Hand über den Nacken »Wie so viele andere auch, ja. Ich habe versucht, mir hier in Theramore ein neues Leben aufzubauen. Aber wie könnte ich das wohl bei all den verdammten Grünhäuten, die die guten Fischgründe ganz für sich allein beanspruchen?«
Erik ertappte sich dabei, wie er zustimmend nickte. Zumindest einem Teil von Margoz' Argumentation konnte er nur beipflichten. Er selbst war erst nach Theramore gekommen, als die Brennende Legion bereits geschlagen war. Nicht, um zu kämpfen – die Kämpfe waren bereits vorbei gewesen –, sondern um sein Erbe anzutreten. Eriks Bruder Olaf war gegen die Legion marschiert und gefallen. Er hatte Erik genug Geld hinterlassen, um diese Taverne zu eröffnen – was eigentlich Olafs eigener Traum für die Zeit nach dem Militärdienst gewesen war. Außer einem hübschen Sümmchen hatte Olaf ihm auch noch die hässliche knöcherne Fratze eines Dämons vererbt, den der Bruder eigenhändig im Kampf besiegt hatte.
Erik hatte eigentlich keine besondere Lust gehabt, eine Taverne zu betreiben. Aber eigentlich hatte er auch nie zu etwas anderem besondere Lust gehabt. Deshalb eröffnete er das Demonsbane in Gedenken an seinen Bruder. Er setzte völlig zu Recht darauf, dass die Bürger von Theramore einen Ort mit einem Namen schätzen würden, der die Vertreibung der Dämonen symbolisierte. Letztlich hatte das ja zur Gründung ihres Stadtstaates geführt.
»Das sehe ich anders«, brummte der Soldat und spielte mit seinem Becher. »Ihr habt selbst im Krieg gekämpft, Fischer. Ihr wisst also, was die Orcs für uns getan haben.«
»Was sie für uns getan haben , bereitet mir auch keinerlei Bauchgrimmen, guter Mann«, sagte Margoz, »aber es stinkt mir ganz gewaltig, was sie uns derzeit zumuten.«
»Sie kriegen von allem nur das Beste«, bestätigte ein Schiffskapitän an einem der Tische hinter dem Soldaten. »Oben bei Ratchet bevorzugen die Gnome die Orcs immer bei Reparaturen oder der Vergabe von Landeplätzen. Letzten Monat musste ich einen halben Tag warten, bevor sie mich mit meinem Kahn andocken ließen. Aber so ein Orc-Boot kam zwei Stunden nach mir an und durfte sofort anlegen.«
Der Soldat drehte sich um, fixierte den Kapitän scharf und schnarrte: »Dann fahrt doch woanders hin als nach Ratchet.«
»Man hat nicht immer die Wahl«, sagte der Kapitän störrisch. Sein narbiges Gesicht war gerötet und aufgedunsen. In seinen Augen schien es zu flackern.
,,S' ist ja auch nicht so, dass sie Reparaturen überhaupt nötig hätten«, meinte der Mann neben dem Kapitän. Von einer Schläfe zur anderen verlief eine Narbe, die den Anschein erweckte, als hätte vor langer Zeit jemand versucht, ihn seines Skalps zu berauben. Was der Unbekannte nicht geschafft hatte, war der seither verstrichenen Zeit mit sichtbar mehr Erfolg gelungen: Bis auf einen schütteren Haarkranz, der noch dazu höchst ungepflegt wirkte, verbarg nichts mehr die altersfleckige Haut, die sich über der Halbkugel seines Schädels spannte.
Erik überlegte, dass das trotz des fortgeschrittenen Alters wohl der Erste Maat des Kapitäns sein musste, weil beide die gleiche Kleidung trugen. »Sie haben Eichen oben in den Bergen über Orgrimmar, machen ihre Schiffe daraus. Und was haben wir? Schwache Fichten, das ist alles. Sie horten es, jawohl, behalten all das gute Holz. Unsere Boote lecken überall. Und das nur wegen dem Ausschuss, mit dem wir arbeiten müssen.«
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