Petra starrte auf Dave hinab.
»Warum erzählen Sie Dave nicht einfach, was er wissen will«, sagte Danny. »Was macht das schon?«
»Er hat mich gedemütigt«, antwortete Petra.
»Er ist ein Cop«, sagte Danny. »Er versucht jeden zu demütigen, selbst mich, weil er glaubt, ein Recht darauf zu haben, die Wahrheit zu erfahren, egal wie. Weshalb tun Sie ihm nicht den Gefallen?«
Dave bedachte Danny mit einem durchdringenden Blick und runzelte die Stirn; aber Petra setzte sich wieder.
Sie räusperte sich und sagte mit fester Stimme: »Er hat mir gesagt, daß sich eine tote Seele in London aufhält, eine tote Seele aus der Hölle.«
»Was ist eine tote Seele?« fragte Danny.
Der Erzdiakon meldete sich zu Wort. »Die Seele eines toten Sterblichen, die, je nach Urteil, in den Himmel oder in die Hölle kommt. Wir wissen, daß südlich des Flusses etwas geschehen ist. Dieses Gebiet hat sich in eine Hochburg des Verbrechens verwandelt, in der alles außer Kontrolle ist. Wir glauben, daß diese tote Seele dort einen Stützpunkt errichtet hat, von dem aus sie ihre üblen Aktivitäten startet.«
»Und weswegen ist sie hier?« fragte Dave.
»Sie müssen doch von der Konferenz wissen?« fragte Petra.
»Wir glauben, daß sie einen erfolgreichen Ausgang verhindern soll. Der Erzengel ist hier, um die Konferenz zu schützen. Eine direkte Konfrontation der beiden würde zur Zerstörung der Stadt führen; Millionen Menschen würden sterben. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um einen solchen Zusammenstoß zu verhindern.«
»Und wie nennt sie sich, diese tote Seele?« fragt Dave. »Wie hieß sie, als sie noch lebte?«
»Sie nennt sich Manovitch«, flüsterte Petra.
Keiner sagte etwas. Schließlich durchbrach Dave die Stille.
»Ich denke, jetzt glaube ich Ihnen«, sagte er mit brüchiger Stimme.
Der Mann war recht groß und hatte ein eckiges Gesicht. Er trug einen langen Regenmantel und besaß schmale, aber kräftig aussehende Hände. Seine Name war John Fields.
Die Frau neben ihm war fast so groß wie er; sie reichte ihm bis über die Schultern. Sie trug einen Wollmantel und hatte den rechten Arm in seinen linken eingehakt. Ihr Name war Susan Fields.
Es war zwei Uhr morgens. Das Paar hatte Freunde am anderen Ende des Stadtteils besucht und war jetzt auf dem Heimweg. Der Distrikt war nicht besonders gefährlich, obwohl es in diesen Tagen in London nirgends vollkommen sicher war, so daß Fields – als ein junger Mann aus dem Schatten trat und sich vor dem Paar aufbaute – mit Vorsicht gepaarte Überraschung zeigte.
»Sie haben mich erschreckt«, sagte er und spürte, wie er zunehmend wütend wurde. In den wenigen Augenblicken, in denen sie einander unter dem Licht der Straßenlaterne abschätzten, kam er zu dem Schluß, daß er stärker war als sein Gegenüber.
»Peters?« fragte der Mann.
»Was sagt er, John?« fragte die Frau mit schriller Stimme. »Komm, laß uns weitergehen.« Sie versuchte ihren Mann auf die Straße zu zerren, um an dem Mann vorbeizukommen, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte.
»Sie sind nicht Peters«, sagte der Mann.
»Nein, ich bin nicht Peters«, erwiderte Fields, dem plötzlich klar wurde, daß es sich hier nicht um einen Überfall handelte, sondern sehr wahrscheinlich um eine alte Fehde. Er atmete erleichtert auf. Er war nicht Peters. Der junge Mann vor ihm hatte etwas mit Peters zu regeln, aber nicht mit ihm. Etwas Animalisches umgab ihn; etwas Tierisches, das Fields erschreckte und ihm den Wunsch eingab, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.
Fremde, eigenartige Augen starrten ihn mit einer Feindseligkeit an, wie er sie bis zu dieser Nacht noch nie gesehen hatte.
Fields ließ zu, daß ihn seine Frau auf die Straße zerrte, um so an dem jungen Mann vorbeizukommen, als dieser plötzlich auf ihn zukam und ihn an der Kehle packte. Fields ließ seine Frau los und versuchte, die überraschend kräftigen Finger des Fremden von seinem Hals zu lösen. Plötzlich hatte Fields das Gefühl, als ob diese Hände nicht nur seine Luftröhre zerquetschen, sondern ihm auch das Rückgrat brechen könnten.
Er hörte seine Frau schreien. Sie trat nach der Gestalt, die vor seinen Augen immer undeutlicher wurde. Eine Hand schlug zu und sandte sie über die Straße vor einen fahrenden Wagen. Fields hörte Bremsen quietschen, dann einen dumpfen Aufschlag.
Er spürte, wie seine Augen hervorquollen, wie ihm die Zunge aus dem Mund hing. Er trat mit aller Wucht gegen die Genitalien seines Angreifers, verfehlte sie, traf den Oberschenkel. Jemand kam Fields zu Hilfe, der Autofahrer, und er merkte, wie sich der Griff um seinen Hals lockerte. Fields stolperte röchelnd gegen die Wand; weiße Lichter tanzten vor seinen Augen.
Als er aufschaute, sah er, wie der junge Mann den Fahrer, der nur noch aus Armen und Beinen zu bestehen schien, hochhob und gegen die Bordsteinkante schlug. Dann hörte er ein knirschendes Geräusch. Fields begann zu laufen.
Susan lag stöhnend auf der Straße. John wollte zu ihr, doch er konnte nicht; er lief statt dessen weiter, während er vor Angst und Schmerz und wegen der erlittenen Demütigung weinte. Er hatte es fast bis zum Ende der Straße geschafft, als ihn ein Stein in den Rücken traf und seinen Körper durchschlug.
KAPITEL SECHS
»Manovitch«, wiederholt Danny leise. »Dieser Hurensohn hat uns gerade noch gefehlt.«
Manovitch war 1996, zu der Zeit als der Engel auf der Erde weilte, während der großen Brandstiftungswelle gestorben, die weltweit die Großstädte überschwemmte. Sein Körper, der nur durch die Zähne identifiziert werden konnte, war in einem ausgebrannten Apartment gefunden worden, das dem damaligen Detective Sergeant Dave Peters gehört hatte. Manovitch hatte versucht, eine Sprengfalle anzubringen und war seiner eigenen Brandbombe zum Opfer gefallen.
Die Jungs sagten, Mutter Teresa sei, nachdem er nach heftigern Kampf in der Kathedrale über den gefallenen Engel gesiegt hatte, nach Hause zurückgekehrt, nur um zu entdecken, daß er keine Wohnung mehr hatte und all seine Besitztümer vernichtet worden waren. Mutter Teresa hatte es nicht viel ausgemacht, da er erst kurz zuvor bei einem Kaufhausbrand Frau und Kind verloren hatte; die ausgebrannte Wohnung versetzte ihn in die Lage, endgültig mit seiner Vergangenheit zu brechen.
»Es kann nicht zwei Manovitchs geben«, flüsterte Dave. »Nicht noch einen von dieser Sorte.«
»Dann kennen Sie ihn?« fragte Lloyd.
Erneut hatte Dave das Gefühl, daß Lloyd Smith sich der Verbindung zwischen ihm und Manovitch bewußt war, doch geduldig erklärte er ihm, daß er und Danny schon früher mit Manovitch aneinandergeraten seien.
Lloyd beugte sich vor und schaute Dave an. »Okay, nun, Sie sind hier, um uns zu helfen, Manovitch zu fangen, bevor er unsere Konferenz ruiniert – oder bevor der Erzengel zu dem Schluß gelangt, sich persönlich mit Manovitch befassen zu müssen. Petra hat erklärt, daß der Erzengel hauptsächlich hier ist, um die Konferenz auf dieser Seite des Flusses mit seiner Gegenwart zu schützen. Doch Manovitch scheint zu Satans erfolgreichsten und liebsten Generälen auf den Schlachtfeldern Armageddons zu gehören, und der Erzengel will ihn unbedingt schnappen.«
Dave starrte Lloyd an und entschied, daß es an der Zeit war, offen zu spielen. »Ist das eine abgekartete Sache?« fragte er, während er sich vorbeugte. »Benutzt man uns, um Manovitch aus seinem Versteck zu locken?«
»Ja«, sagte Danny. »Hört sich an, als wären wir der Köder.«
»Nun, so grob würde ich es nicht ausdrücken«, sagte der Erzdiakon, der die Hände verschränkte und offenbar nicht im mindesten beleidigt war. »Hier handelt es sich um ein recht kompliziertes Szenario, und ich denke, Sie machen es sich mit ihrem ›Köder‹ und der ›abgekarteten Sache‹ zu einfach. Es… es ist einer der Gründe, weshalb Sie hier sind.«
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