HAU AB, HIER LAUERT DER TOD!
Zögernd griff er nach der massiven Klinke und drückte die Tür langsam nach innen. Sein Herz setzte einen Schlag aus und begann danach, um so heftiger zu klopfen, als die Tür ein in seinen Ohren unendlich lautes Quietschen von sich gab. Sein Körper erstarrte und er lauschte in das Innere des Gebäudes hinein.
Stimmen.
Zwar konnte er keine Details verstehen, aber er war sich absolut sicher, dass sich dort drinnen Leute miteinander unterhielten.
Folglich waren es mindestens zwei.
Er wusste, dass es das Cleverste gewesen wäre, sich umgehend aus dem Staub zu machen, aber seine Neugierde war geweckt. Er wollte unbedingt wissen, was sich dort abspielte.
So leise wie möglich schlüpfte er durch den Türspalt. Zu seinen Füßen erstreckte sich eine steile Treppe. Stufen, die vermutlich in den Keller des Schlosses führten. Das trübe Licht, das er durch den Türspalt hatte sehen können, suchte sich einen Weg offensichtlich aus einem der Kellerräume, die sich unmittelbar an die Treppe anschließen mussten.
Sein Herz klopfte bis zum Hals, während er einen Schritt vor den nächsten setzte und die Treppe hinunter ging. Mit jedem Schritt, schienen die Stimmen lauter zu werden.
Seiner Einschätzung nach, handelte es sich tatsächlich um zwei Personen. Und sie schienen über irgendetwas zu streiten. Zumindest bildete er sich ein, in der einen Stimme Wut, vielleicht aber auch Verzweiflung, zu erkennen.
Gehörte sie einer Frau?
Er war sich nicht sicher, vermutete es aber.
Nach wenigen Metern endete der Gang vor drei Türen. Die Türen, die nach links und rechts abzweigten waren geschlossen. Keinerlei Licht schimmerte durch die Schlitze unter den massiv anmutenden Holztüren. Lediglich aus dem Raum direkt vor ihm, dessen Tür nur angelehnt war, drang trübes Licht.
Auf Zehenspitzen schlich er zu der angelehnten Tür und riskierte einen Blick in den dahinter liegenden Raum.
Die beiden Personen, es handelte sich in der Tat um einen Mann und eine Frau, wurden zur Hälfte von einem Sofa verdeckt. Sie standen mit dem Rücken zu ihm und der Mann schlug in diesem Augenblick mit etwas, das für Jonas wie eine Eisenstange aussah, auf etwas ein, das im Schutz den Sofas auf dem Boden zu liegen schien.
Gebannt starrte Jonas auf die Szene, die sich vor seinen Augen abspielte. Er wagte kaum zu atmen. Wieder rang er mit sich. Er musste von hier verschwinden.
Sofort.
Aber die Situation fesselte ihn. Was würden die beiden als nächstes tun? Was trieben sie dort überhaupt? Und wer oder was lag dort am Boden? Zu dumm, dass er von ihrem Gespräch fast nichts mitbekam. Zum einen sprachen sie ziemlich leise, zum anderen lag ein lautes Brummen in der Luft. Vermutlich von einem Generator, denn irgendwoher musste der Strom ja kommen, der die elektrische Beleuchtung ermöglichte.
Aber obwohl er kein Wort verstehen konnte, schien es offensichtlich zu sein, dass die beiden sich über etwas stritten.
Dann sah er, wie der Mann der Frau die Metallstange hinhielt.
KAPITEL 45
Sandy schüttelte den Kopf.
„Nein. Bitte. Das ist doch hoffentlich nicht dein Ernst.“ Aber sie wusste, dass er es sehr wohl ernst meinte.
Mit zitternden Händen griff sie nach dem Rohr.
Wieder sah Kid sie mit diesem durchdringenden Blick an, der sich tief in ihre Gedanken zu graben schien. „Und wage es bloß nicht, es gegen mich zu erheben. Dann jage ich deinem Freund hier sofort eine Kugel ins Hirn. Verstanden?“ Er zog seine Waffe aus dem Hosenbund hervor und betrachtete ihren silbernen Lauf mit geradezu abartiger Entspanntheit. „Also? Wie hast du dich entschieden?“
Sandy schluckte und versuchte wieder einmal vergeblich, die Tränen der Verzweiflung zurückzuhalten.
„Was soll ich tun?“, schluchzte sie und wischte sich mit dem Handrücken den Schnodder aus dem Gesicht.
„Hier“, sagte Kid nur und stieß mit dem Fuß leicht gegen Ronnies linke Kniescheibe.
„Nein, das kann ich nicht tun. Niemals.“
„Gut. Dann erschieße ich ihn.“ Er richtete den Revolver auf Ronnies Kopf. „Überleg es dir gut. Wenn ich abgedrückt habe, gibt es kein Zurück mehr.“
„Du bringst uns doch sowieso um.“ Sandys Stimme zitterte.
„Dich schon. Irgendwann. Aber er hier hat noch eine klitzekleine Chance, lebend aus dieser Sache rauszukommen. Willst ausgerechnet du es sein, die sie ihm versaut? Eine interessante Vorstellung. Gerade die Frau, die er liebte und wegen der er überhaupt erst in diese missliche Lage geraten ist, ist schuld an seinem Tod. Die Frau, die ihn als einzige hätte retten können. Diese Frau hat es vermasselt.“
„Du bist so ein unglaubliches Schwein.“
„Was hast du gesagt?“
„Nichts. Gar nichts. Ich nehme alles zurück.“
„Gut.“ Er lächelte.
Seltsam, wenn er so dasteht, sieht er überhaupt nicht so aus, wie ein geisteskranker Mörder. Er sieht sogar richtig gut aus. Aber ist es nicht genau das, was diese Leute so gefährlich macht? Dass man ihnen ihren Wahnsinn eben nicht ansieht, wenn sie einem auf der Straße begegnen? Oder in der Disco.
„Los jetzt.“ Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Wir haben nicht ewig Zeit.“
Sandy griff das Stahlrohr mit beiden Händen. Sie spürte die Übelkeit in sich aufsteigen und als sie Ronnies Kniescheibe betrachtete, musste sie würgen.
„Gut so. Und jetzt holst du kräftig aus und schlägst zu. Und wenn du vorher abbremst oder ich irgendwie das Gefühl habe, dass du es nicht vernünftig machst – du weißt, was dann passiert oder?“
Sie nickte.
„Gut. Dann los.“
In diesem Augenblick konnte Sandy es nicht mehr zurückhalten. Obwohl ihr Magen vollkommen leer war, übergab sie sich. Grüngelber Schaum lief ihr Kinn herab und tropfte auf ihre Kleidung, ihre nackten Füße und den Boden.
„Himmel. So schwer ist es doch wirklich nicht.“ Kid riss ihr die Eisenstange aus der Hand, holte aus und ließ sie mit atemberaubender Geschwindigkeit auf Ronnie niedersausen.
Das Geräusch der berstenden Kniescheibe fuhr Sandy durch Mark und Bein. Ronnies Körper zuckte zusammen. Er stöhne kurz auf, ohne aus seiner Bewusstlosigkeit zu erwachen. Sofort bildete sich eine Blutlache unter seinem Knie.
„So. Jetzt du. Sein anderes Knie. Oder er stirbt. Du kannst es dir aussuchen.“ Er reichte Sandy die Stange.
Ihre Hände krampften sich um das kalte Metall.
Sie sah die Blutspritzer.
Ronnies Blut.
Sie war kurz davor, sich erneut zu übergeben, würgte die saure Flüssigkeit aber wieder hinunter.
Es tut mir so leid. Es tut mir so unendlich leid, Darling. Aber ich kann nicht anders. Er wird dich erschießen. Ich bin mir absolut sicher, dass er es tun wird, wenn ich nicht…
„Jetzt! Sofort!“
Kids Schrei befreite sie aus ihrer Starre. Sie riss das Metall in die Höhe. Tränen strömten über ihr Gesicht. Kid und die Welt um sie herum verbargen sich hinter einem verschwommenen Schleier. Eine Mischung aus Schwindel und unbeschreiblichen Kopfschmerzen ergriff sie. Sie war sicher, das Grauen in ihrem Kopf würde diesen jeden Augenblick explodieren lassen. Der Alptraum wollte einfach kein Ende nehmen.
Dann schlug sie zu.
KAPITEL 46
Jonas hatte genug gesehen.
Mehr als genug.
Er schlich in Richtung des Ausgangs, nur darauf bedacht, sich bloß nicht durch ein Geräusch zu verraten. Er beschleunigte seine Schritte, als er die erste Stufe der Kellertreppe erreichte.
Er erklomm die Treppe, lehnte die Tür hinter sich an, so wie er sie bei seiner Ankunft vorgefunden hatte und stand außer Atmen in der klaren Nachtluft. Fahles Mondlicht verlieh der Umgebung einen unheimlichen Blaustich.
Die Hände auf die Knie gestützt, atmete er tief durch. Schweiß lief über seine Stirn und tropfte ihm ins Gesicht. Er zitterte und wurde das Gefühl nicht los, sich ebenfalls jeden Augenblick übergeben zu müssen. Wieder und wieder lief die Kellerszene vor seinem geistigen Auge ab.
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