Als Jonas den zweiten Schlag heranfliegen sah, versuchte er, beide Arme als Deckung in die Höhe zu reißen, doch nur sein rechter gehorchte dem durch die Nervenbahnen geschickten Befehl.
Sein linker Arm blieb taub.
Scheiße. Das ist genau das, was du jetzt nicht gebrauchen kannst.
Mit dem Mut der Verzweiflung wich Jonas zurück und der Hammer sauste nur wenige Millimeter an seinem Gesicht vorbei.
Doch sein Angreifer war unermüdlich. Schon startete er die nächste Attacke. Mit einem einzigen großen Schritt befand er sich wieder unmittelbar vor Jonas, dessen linker Arm sich nur ganz allmählich von dem ersten Wirkungstreffer erholte. Das Kribbeln hatte nachgelassen und zumindest die Finger gehorchten seinen Befehlen.
Wenn doch nur der Rest auch noch… Er wich zur Seite aus, als der andere einen weiteren Schritt in seine Richtung machte. Er stand im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken zur Wand.
„Komm schon, du miese Ratte“, zischte sein Gegner und Speichel flog Jonas entgegen. „Ich krieg dich doch sowieso. Du machst es nur schlimmer, wenn du so rumzappelst. Du willst doch nicht als Feigling sterben, oder? Die Kleine hat schließlich auch ganz tapfer stillgehalten, als ich ihr den Schädel mit meinem Freund hier…“
„Halt einfach dein verfluchtes Maul, du Monster“, schrie Jonas ihn an. Er spürte, dass die Verzweiflung allmählich die Kontrolle über ihn gewann. Und er wusste, dass dies seine Aussichten, lebend aus diesem Kampf herauszukommen, erheblich reduzierte. „Was willst du überhaupt von uns? Was haben wir dir getan?“
Wie ein Boxer tänzelte der andere vor ihm hin und her, wobei der Hammer immer wieder mit einem pfeifenden Geräusch durch die Luft sauste.
„Nichts. Nichts habt ihr getan. Genau genommen, hast gerade du mir sogar einen außerordentlich großen Gefallen getan, indem du mir die Kleine so perfekt verschnürst serviert hast. Aber es ändert leider nichts daran, dass du dummerweise zurückgekommen bist und ich dich nun irgendwie loswerden muss. Also, komm schon her.“
Erneut stürzte er sich auf Jonas, der inzwischen beschlossen hatte, dass die Wand in seinem Rücken seine Ausgangslage eher verschlechterte, als dass sie ihm nützte. Mit einer schnellen Bewegung glitt er zur Seite.
Der Hammer hieb in die Wand. Staub und kleine Steine stoben auf und rieselten zu Boden. Pfeilschnell drehte der andere sich um die eigene Achse und funkelte Jonas mit seinen dunklen Augen an.
Dann warf er den Hammer.
Ein Fehler. Er hat einen Fehler gemacht.
Jonas, der nun mit dem Rücken zum Geländer der Galerie stand, sah das Geschoss auf sich zurasen. Er ließ sich fallen. Als er der Länge nach auf dem Boden aufschlug, fuhr einmal mehr ein rasender Schmerz durch seine Schulter.
Der Hammer jagte über seinen Körper hinweg. Jonas sah, wie das Werkzeug über das Geländer flog und tief unter ihm in der Dunkelheit der Empfangshalle verschwand, wo es mit einem dumpfen Knall aufschlug.
Der Hammerwerfer stieß ein wildes Brüllen aus und stürzte auf Jonas zu. Offenbar hatten ihn der missglückte Wurf und die Erkenntnis, dass er seinem Gegner nun unbewaffnet gegenüberstand, endgültig rasend gemacht.
Jonas sprang wieder auf die Füße und machte einen Ausfallschritt zur Seite, als sich sein Angreifer mit ausgestreckten Armen in seine Richtung warf. Mit der vollen Wucht seines Körpergewichtes krachte er gegen das morsche Holzgeländer.
Noch ehe Jonas ihm nachsetzen konnte, brach ein Stück von einem guten Meter Länge aus dem Geländer heraus und stürzte in die Tiefe. Jonas Angreifer stand schwankend auf der Kante der Galerie und versuchte verzweifelt, seinen Körper wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Während Jonas noch überlegte, ob er den Unbekannten vor dem unmittelbar bevorstehenden Sturz bewahren oder ihn doch lieber mit einem dezenten Tritt in den Rücken die Galerie hinunterstürzen sollte, verlor dieser endgültig den Kampf gegen die Schwerkraft.
Er stieß einen langgezogenen Schrei aus, während sein Körper nach vorne kippte und in die Tiefe stürzte, wo er in der Dunkelheit verschwand.
KAPITEL 48
Die Eisenstange fiel scheppernd aus ihren Händen.
Schluchzend und am ganzen Körper zitternd sank Sandy neben Ronnie auf die Knie, während das grässliche Geräusch brechender Knochen wieder und wieder in ihren Ohren echote.
„Na siehst du.“ Kid legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. „War doch gar nicht so schwierig.“
„Fass mich ja nicht an“, zischte Sandy und entzog sich seinem Griff.
„Steh auf!“
Sandy sah ihn wortlos an. Sie fror ganz erbärmlich und ihre Augen brannten von der Unmenge vergossener Tränen.
„Los, du sollst aufstehen.“
„Was willst du denn noch? Ich habe doch alles getan, was du von mir wolltest. Bitte lass mich gehen. Oder wenigstens ihn.“ Sie deutete auf Ronnie.
„Sieht es für dich so aus, als würde er einfach hier herausspazieren, wenn ich es ihm erlaube?“ Er wandte sich dem am Boden liegenden Ronnie zu und stieß ihn leicht mit dem Fuß an.
„Hallo! Aufwachen! Du kannst gehen! Siehst du, er reagiert nicht mal. Ich denke, wir haben ganze Arbeit geleistet. Der geht nirgendwohin. Außerdem sind wir zwei noch längst nicht fertig. Es wird allmählich Zeit, dass wir mal zur Sache kommen, findest du nicht? Der eigentliche Höhepunkt steht schließlich noch aus.“
Ein langgezogenes Geräusch, gefolgt von einem dumpfen Knall, ließ ihn herumfahren.
„Was zum Henker war das?“
„Was meinst du?“, schluchzte Sandy. „Ich habe nichts gehört.“
„Willst du mich verscheißern? Das war ja wohl kaum zu überhören. Was bitte geht da vor sich?“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:
„Adam. Was um alles in der Welt treibst du da oben? Manchmal hast du wirklich nichts als Scheiße im Kopf.“
Er griff Sandy in die Haare und zog sie zu sich heran.
„Ich gehe jetzt da raus und sehe nach, was mein Brüderchen dort veranstaltet. Und wenn ich wiederkomme und ihr habt euch auch nur einen Zentimeter von der Stelle bewegt, dann knalle ich euch beide ab. Und solltest du auf die glorreiche Idee kommen, alleine abhauen zu wollen, dann werde ich deinem Freund hier bei lebendigem Leib den Bauch aufschlitzen und ihm seine Nieren zum Abendbrot servieren. Und ganz abgesehen davon würdest du mit deinen Fußfesseln ohnehin nicht weit kommen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
Sandy versuchte zu nicken, aber Kids Griff in ihre Haare hinderte sie daran. Noch einmal zog er kräftig und heftige Schmerzen tobten über ihre Kopfhaut.
„Ja“, hauchte sie. „Ich habe verstanden.“
„Gut.“ Er ließ ihre Haare los und stieß sie unsanft zurück auf den Boden. „Dann sehen wir uns gleich.“
Mit einem unheimlichen Funkeln in den Augen betrachtete er noch einmal seinen Revolver, überprüfte die geladene Trommel und steckte ihn schließlich zurück in den Hosenbund. Dann ließ er Sandy und Ronnie zurück und verschwand durch eine Tür, von deren Existenz Sandy bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts bemerkt hatte.
Dann war sie allein.
Allein mit Ronnie.
KAPITEL 49
Sie beugte sich über ihn und betrachtete ihren Freund. Zwar hatten sie sich im Verlauf des Tages zerstritten, aber er war der Mann, den sie liebte. Und dennoch zögerte sie, ihn zu berühren.
Sein Gesicht war fürchterlich entstellt, blutverschmiert und beängstigend blass.
Leichenblass.
Zudem zeigte es keinerlei Regung. Kein Muskel bewegte sich, kein noch so kleines Zucken seiner Augenlider verriet, ob er überhaupt noch am Leben war. Wie eine marmorne Maske glänzte seine fahle Haut im Schein der künstlichen Beleuchtung.
Ihr Blick glitt hinunter zu seinen Knien. Deutlich konnte sie die hervorstehenden Knochen unter dem dunkelrot gefärbten Stoff seiner Hose erkennen.
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