„Wartet!“ Ronnie folgte den beiden. „Habt ihr etwas von einem Leichenwagen gesagt? Ihr habt ihn gesehen? Hier?“
„Ja. Ist hier vorbeigefahren. Schätze vor ´ner Dreiviertelstunde oder so. Hab nicht auf die Uhrzeit geachtet. Wir hatten gerade besseres zu tun.“ Er zwinkerte seiner Freundin zu, die inzwischen vor der geöffneten Beifahrertür stand. „Also, mach´s gut Alter. Und nichts für Ungut, wegen deinem Reifen. Is ja nur´n Platten. Wir haben nichts kaputt gemacht.“
Beide stiegen ein und zogen die Türen hinter sich ins Schloss.
Der Ofenrohrauspuff gab ein tiefes Brummen von sich, während der Wagen langsam an Ronnie vorbeirollte. Das Mädchen sah ihn durch das Seitenfenster an, aber Ronnie war mit seinen Gedanken ganz woanders.
Der Leichenwagen .
Sollte ihm tatsächlich der Zufall zu Hilfe kommen, dem Wagen wieder auf die Spur zu kommen? Wohin mochte er wohl gefahren sein, wenn die beiden ihn auf diesem Weg gesehen hatten? Und war Sandy noch immer in dem Wagen gewesen? Er hatte nur eine Chance, Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Er musste diesem Weg folgen.
Die Lichter des Golfs verschwanden hinter der Wegbiegung und auch das Dröhnen des Auspuffs war kaum noch zu hören. Ronnie stand alleine auf dem ansonsten menschenleeren Waldweg. Er betrachtete den Opel. Am besten machte er sich zu Fuß auf die Suche. Allzu weit konnte der Weg vermutlich nicht in den Wald hineinführen. Und ohne Auto war er erheblich unauffälliger unterwegs. Er verriegelte die Wagentür, bevor er sich aufmachte und dem Weg tiefer in den finsteren Wald hinein folgte.
Der Gedanke, womöglich doch nicht alleine zu sein, kam ihm nicht.
KAPITEL 23
Adam hockte in seinem Versteck zwischen dichten Farnen und kochte innerlich vor Wut.
Ein leichtes Kitzeln erregte seine Aufmerksamkeit, als eine Spinne seinen linken Handrücken erklomm. Er hob sie mit Daumen und Zeigefinger der andern Hand an und rieb beide Finger kurz und druckvoll aneinander. Die zurückbleibende schwarze Masse wischte er an seinem Hosenbein ab, während er beobachtete, wie der lilafarbene Golf langsam über den Waldweg davonfuhr.
Das blonde Mädchen und sein Freund wären ganz sicher leichte Beute gewesen. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass es ein Leichtes gewesen wäre, dem Typen eins mit dem Hammer über den Schädel zu geben und seinen Platz im Auto einzunehmen. Vielleicht hätte er die Kleine auch einfach ins Schloss gebracht und sich in einem der zahlreichen Zimmer mit ihr vergnügt.
Am liebsten hätte er vor Enttäuschung geschrien, wenn er daran dachte. Endlich hätte auch er mal wieder einen Stich für sie beide klarmachen können.
Und was für einen. Die kleine Blonde war nach seinem Geschmack ein echtes Ass. Sie hatte mindestens so viel Feuer, wie die kleine Schlampe, die Kid an diesem Abend angeschleppt hatte und von der er sich aus irgendwelchen Gründen nicht wieder losreißen konnte.
Und wem hatte er diese Pleite zu verdanken? Einzig diesem verfluchten Typen, von dem sein Bruder sich hatte mitnehmen lassen.
Aber warum zum Teufel war er überhaupt hier aufgetaucht? Offenbar hatte er ja keine Ahnung gehabt, dass Kid und er diesen Weg entlanggefahren waren. Nein, auf diese Idee hatten ihn erst die Blonde und ihr Macker gebracht.
So eine verfluchte Scheiße.
Dieser Typ hatte ihm den ganzen Abend vermasselt. Aber das würde Adam ihm heimzahlen.
Er schob die gefächerten Pflanzenblätter beiseite, um den Waldweg besser überblicken zu können. Der Opel stand nach wie vor mit ausgeschaltetem Licht und Motor am Rand des Weges. Vom Fahrer war nichts zu sehen. Vorsichtig schob Adam seinen Oberkörper aus dem Pflanzendickicht und sah gerade noch, wie der Opelfahrer zu Fuß hinter der nächsten Biegung verschwand. Von dort aus waren es noch etwa einhundert Meter bis zur nächsten Abzweigung.
Und dort würde er unweigerlich auf den abgestellten Leichenwagen stoßen.
Dann wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihn die Suche nach seiner Freundin ins Schloss führte. Zwar war der einzige offene Zugang eine gut getarnte Kellertür, aber früher oder später würde es ihm sicherlich gelingen, in das Gebäude einzudringen. Notfalls mit auch mit Gewalt, davon war Adam überzeugt. Und was das bedeutete, mochte er sich nicht einmal vorstellen.
Es bestand kein Zweifel, dass er das verhindern musste.
Er hob den Hammer vom Waldboden auf und trat hinaus auf den Feldweg. Sein Körper warf im Mondlicht einen bedrohlichen Schatten, während er den Hammer wie einen Baseballschläger hin und her schwang.
Dann machte er sich auf den Weg.
KAPITEL 24
Die dicke Holztür Tür quietschte und ächzte, als Jonas sie langsam aufzog. Die Geräusche hallten in der leeren Eingangshalle wider und Vanessa lief ein Schauer über Rücken und Arme.
„Hui, ganz schön unheimlich“, flüsterte sie und griff nach Jonas Unterarm.
„Es ist sensationell. Schau nur, wie das Mondlicht durch die oberen Fenster fällt. Der ganze Raum wirkt, als wäre er in magisches Licht getaucht. Absolut perfekt.“
„Wir haben ziemliches Glück, dass gerade Vollmond ist, oder?“
Jonas lächelte.
„Okay, kein Glück. Du hast es geplant, richtig?“
„Sagen wir, ich habe es bei meinen Terminvorschlägen durchaus berücksichtigt.“
„Du bist wirklich ein Perfektionist.“
„Von nichts kommt nichts.“
„Das hast du wohl recht. Wo geht´s lang?“
„Ich würde gerne zuerst ein paar Fotos von dir auf der Treppe dort drüben machen. Wer weiß, wie lange der Mond noch so hell ist. Die anderen Bilder können wir später immer noch machen.“
„Welche anderen Bilder? Meinst du das Schlafzimmer?“
„Warte ab und lass dich überraschen.“
Sie durchquerten die Halle und ihre Schritte hallten auf dem staubigen Steinboden wider.
„Schau, jemand muss die Fliesen rausgerissen haben. Man kann noch erkennen, wie der Boden früher einmal ausgesehen hat.“ Jonas wischte dicken Staub mit der Schuhspitze beiseite. Überreste eines karierten Marmorbodens kamen zum Vorschein.
„Nachdem das Kinderheim aufgelöst worden war, setzten ziemlich schnell Plünderungen ein. Die Leute haben rausgerissen, was nicht niet- und nagelfest war. Darum wurde das Gebäude dann sehr bald verschlossen. Außerdem wollte man wohl vermeiden, dass sich hier Obdachlose und verwahrloste Jugendliche einquartieren.“
Vanessa lehnte sich gegen die Wand. Von dem hellen, abbröckelnden Putz hob sie sich mit ihrer leicht gebräunten Haut und ihrem schwarzen Outfit ab, wie ein Insekt auf einer weiß getünchten Wand. Sie stemmte den Absatz ihres rechten Stiefels gegen die Mauer, so dass der ohnehin schon kurze Rock noch mehr lediglich von Nylon und Spitze bedeckte Haut freigab.
Sie beobachtete Jonas, der hinter dem Sucher seiner Kamera in Deckung ging und sie erneut fotografierte.
Sah er in ihr tatsächlich nur ein x-beliebiges Fotomodell, mit dem er hier und heute einen Job durchzog? Oder würde er ihren weiblichen Reizen im weiteren Verlauf des Abends doch noch erliegen und seine Professionalität über Bord werfen?
Diese Frage beschäftigte sie, während sie, noch immer mit dem Rücken an die Wand gelehnt, von einer lasziven Pose zur nächsten wechselte. Kein Zweifel, auch sie konnte die ganze Sache professionell durchziehen, musste sich aber eingestehen, dass Jonas eine gewisse Anziehungskraft auf sie ausübte, der sie sich gerne hingegeben hätte. Er war einfach ein verdammt toller Typ.
„Gehst du rüber auf die Treppe?“ Jonas Stimme holte sie aus ihrer Gedankenwelt.
„Was genau soll ich tun?“
„Setzt dich einfach auf die Stufen und lass deiner Phantasie freien Lauf. Du machst das schon.“
Vanessa erklomm die imposante Freitreppe. Als sie etwa auf der Hälfte angelangt war, setzte sie sich mit gespreizten Beinen mittig auf die steinernen Stufen, wobei ihr Oberkörper unterschiedlichste Posen einnahm.
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