»Freunde! Mitbewohner von Woodbury!«, spricht er mit dröhnender Stimme ins Mikrofon, das an eine PA-Anlage hinter ihm angeschlossen ist. Sein Bariton steigt in den Nachthimmel, das Echo hallt in den leeren Rängen wider. »Ihr habt hart gearbeitet, damit diese Stadt besteht! Und gleich werdet ihr dafür belohnt! Seid ihr bereit, knallharte Action zu erleben?«
Von den Rängen erschallen schrille Schreie und wildes Gegröle.
»Dann raus mit den Kriegern!«
Auf das Stichwort hin fahren riesige Spotlights über die Dächer, werden von unglaublichem Lärm begleitet, ehe sie durch die Arena leuchten. Eins nach dem anderen kommt auf einer Reihe riesiger, schwarzer Vorhänge zum Stehen, die jeweils den Eingang der fünf Tunnel bedecken, welche aus den Katakomben des Stadions in die Arena führen.
Am gegenüberliegenden Ende der Arena öffnet sich ein Garagentor, und Zorn, der jüngere der beiden Wachen, erscheint im Schatten des Tunnels. Gekleidet in behelfsmäßige Schulterpolster und Schienbeinschoner, hält er eine große Machete in der vor latentem Wahnsinn zitternden Hand. Er tritt in die Arena, geht auf die Mitte zu. In seinem Gesicht kann man die wilde, manische Entschlossenheit sehen. Er bewegt sich steif, ruckartig, ein Kriegsgefangener, der sich das erste Mal seit Wochen wieder bewegen darf.
Beinahe gleichzeitig öffnet sich das gegenüberliegende Tor, und Manning, der ältere Soldat, erscheint aus dem Schatten. Er hat wildes graues Haar und blutunterlaufene Augen und trägt eine riesige Streitaxt in der Hand. Seine Bewegungen, als er auf die Mitte zustolpert, gleichen denen eines Zombies.
Als die beiden Kämpfer aufeinander zutaumeln, brüllt der Governor: »Sehr geehrte Damen und Herren, ich präsentiere Ihnen hiermit voller Stolz den ›Ring des Todes‹!«
Die Menge stöhnt wie eins auf, als die restlichen Vorhänge in der Arena plötzlich fallen, erneut wie auf ein Stichwort, und den Blick auf einen Ring zischender, halb verwester, hungriger Zombies freigibt. Einige der Zuschauer springen auf, wollen instinktiv fliehen, als die Beißer die ersten Schritte tun, die Hände nach dem menschlichen Fleisch ausgestreckt.
Die Zombies legen circa die halbe Strecke zur Mitte der Arena in ihrer eigenartigen, schlurfenden Gangart zurück, ehe die Ketten sich zu spannen beginnen. Einige verlieren durch die plötzliche Bewegungsunfreiheit das Gleichgewicht und stürzen in Slapstick-Manier in den Schlamm, während andere vor Empörung über die Ungerechtigkeit ihrer Gefangenschaft wütend zu knurren anfangen und wild mit den Armen fuchteln. Die Menge johlt begeistert auf.
»LASST DIE SCHLACHT BEGINNEN!«
In der Mitte der Arena stürzt Zorn sich auf seinen Widersacher, ehe Manning weiß, wie ihm geschieht. Selbst der Governor bringt sich nur mit Mühe und Not in Sicherheit, und Manning schafft es gerade noch, die Streitaxt in die Höhe zu halten, um den Schlag zu blockieren.
Die Machete trifft mit voller Wucht auf das Metall der Axt, dass die Funken fliegen.
Die Menge grölt, als Manning nach hinten durch den Matsch torkelt, ins Rutschen kommt und nur wenige Zentimeter vor einem der Zombies zu Boden geht. Der Beißer, die Augen vor Blutrausch weit aufgerissen, schnappt mit den Zähnen nach Mannings Fersen und reißt dabei fast die Kette aus der Verankerung. Manning rafft sich wieder auf, das Gesicht vor Terror und Wahnsinn völlig verzerrt.
Der Governor lächelt, als er die Arena verlässt und durch einen der Tunnel verschwindet.
Das Getöse der Zuschauer hallt in dem Gang wider, umhüllt ihn, während er durch die Finsternis eilt und bei dem Gedanken, dass eine der Wachen gebissen und vor den Augen der Menge selbst zum Zombie wird, vor sich hin kichert. Das wäre Entertainment allererster Klasse.
Er kommt um eine Ecke und sieht einen seiner Männer, der neben einem verlassenen Essensstand steht und ein neues Magazin in seine AK-47 steckt. Der junge Mann, ein groß gewachsener Bauernjunge aus Macon, trägt einen abgewetzten Daunenmantel und eine Mütze. Er blickt auf. »Hey, Gov … Wie läuft es denn da draußen?«
»Nervenkitzel pur, Johnny. Nervenkitzel pur«, erwidert der Governor und blinzelt ihm im Vorbeigehen zu. »Ich schau mal nach Gabe und Bruce an den Ausgängen … Pass du drauf auf, dass die Zombies in der Arena bleiben. Wir wollen schließlich nicht, dass sie in den Tunneln verschwinden.«
»Wird gemacht, Boss.«
Der Governor geht weiter, verschwindet um die nächste Ecke und geht einen weiteren leeren Gang hinunter.
Der gedämpfte Lärm der Zuschauer hallt ihm noch immer nach, als er nach Osten zum Ausgang eilt. Er beginnt zu pfeifen, fühlt sich wie auf Wolke neun , als er plötzlich verstummt und langsamer wird. Instinktiv holt er seine .38er hervor, die in seinem Gürtel steckt. Irgendetwas stimmt auf einmal nicht mehr.
Er hält mitten im Tunnel inne. Der östliche Ausgang, er kann ihn gerade um die Ecke in sechs Metern Entfernung ausmachen, ist völlig unbewacht. Gabe ist weit und breit nicht zu sehen. Das äußere Tor – es ist aus Holz gefertigt – ist geschlossen, und Lichtstreifen von einem Auto scheinen durch die Spalten zwischen den Brettern.
Dann erblickt er den Lauf eines M1-Maschinengewehres. Es kann sich nur um Gabes Waffe handeln, die auf dem Boden liegt.
»Schweinehund!«, schimpft der Governor, hebt seine Waffe und dreht sich um.
Die blauen Funken eines Elektroschockers erwischen ihn mitten im Gesicht, und der Schock lässt ihn rückwärtstaumeln.
Martinez verschwendet keine Zeit, hält den Taser in der einen Hand und einen mit Leder überzogenen Schlagstock in der anderen. Als der fünfzigtausend Volt starke Stromschlag den Governor gegen die Wand wirft, fliegt ihm die Waffe aus der Hand.
Martinez holt aus und trifft den Governor mit dem Schlagstock gegen die Schläfe. Der Aufprall hört sich wie eine tonlose Glocke an, die geschlagen wird. Der Governor krümmt sich, schlägt wild um sich, gibt nicht so schnell auf. Vor ohnmächtiger Wut brüllt er wie ein Stier. Die Venen an Hals und Schläfen schwellen an, als er blindlings in Martinez’ Richtung tritt.
Der Schwede und Broyles stehen links und rechts hinter Martinez und warten darauf, den Governor mit Panzerband und Seil zu fesseln. Martinez holt erneut aus, triff den Governor noch einmal am Kopf, und diesmal funktioniert es.
Der Governor erstarrt und sinkt zu Boden. Seine Augen rollen nach hinten. Der Schwede und Broyles nähern sich dem zuckenden, bebenden Körper, der zusammengekrümmt auf dem Boden liegt.
Sie fesseln und knebeln ihn in weniger als einer Minute. Martinez pfeift kurz, und kurz darauf öffnet sich das Tor.
»Ich zähle bis drei«, murmelt Martinez, steckt den Taser weg und verstaut den Schlagstock in seinem Gürtel. Dann schnappt er den gefesselten Governor an den Fesseln. »Eins … zwei … drei!«
Broyles greift unter die Achselhöhlen, und der Schwede führt sie durch das Tor hinaus in den kalten Wind, wo sie den gefesselten Mann zu einem wartenden Lieferwagen tragen.
Die Ladentür steht bereits offen, so dass sie den Governor schnurstracks auf die Ladefläche werfen können.
Innerhalb von Sekunden sind auch die Männer in dem fensterlosen Lieferwagen verschwunden und haben sämtliche Türen geschlossen. Nach einem Klopfzeichen fährt der Wagen rückwärts weg vom Tor.
Nach wenigen Metern hält er an, der erste Gang wird eingelegt, und er schießt davon.
Kurz darauf ist bereits nichts mehr von ihnen zu sehen, und lediglich eine sich in Luft auflösende Wolke von Abgasen bleibt als Hinweis auf das, was gerade geschehen ist.
»Aufwachen, du krankes Arschloch!« Lilly gibt dem Governor eine Ohrfeige, und seine Augen öffnen sich langsam, während der voll besetzte Lieferwagen aus der Stadt verschwindet.
Gabe und Bruce sind ebenfalls gefesselt und geknebelt und liegen weiter vorne. Der Schwede hält einen .45er Smith & Wesson auf die beiden gerichtet. Sie haben die Augen aufgerissen, wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Der Wagen ist mit Kartons voller militärischer Ausrüstung beladen. Es ist alles dabei, von stahldurchschlagender Munition bis hin zu Brandbomben.
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