Diesmal war die Katze vorbereitet, und anfangs war nur zu bemerken, dass sich ihr Körper ein wenig mehr straffte. Dann aber, als die Musik anschwoll und schneller wurde, als die erregende Einleitung zur Fuge erklang, zeigte sich auf dem Gesicht des Tieres ein seltsamer, fast ekstatischer Ausdruck. Die gespitzten Ohren erschlafften, sanken nach und nach zurück, die Augenlider schlossen sich, der Kopf neigte sich zur Seite, und in diesem Augenblick hätte Louisa schwören können, das Tier genieße die Musik.
Was sie sah (oder zu sehen vermeinte), war etwas, was sie oft an Menschen beobachtet hatte, die einem Musikstück mit Hingabe lauschen. Wenn sie von den Klängen gepackt und überwältigt werden, bekommen sie einen eigenartig verzückten Blick, der so leicht zu erkennen ist wie ein Lächeln. Soweit Louisa feststellen konnte, hatte die Katze jetzt genau diesen Gesichtsausdruck.
Louisa beendete die Fuge, ging zur Siciliana über und ließ dabei die Katze nicht aus den Augen. Der entscheidende Beweis, dass das Tier zuhörte, war für Louisa sein Verhalten, als die Musik verstummte. Die Katze blinzelte, bewegte sich ein wenig, streckte ein Bein aus, legte sich bequem zurecht, schaute sich rasch im Zimmer um und sah dann erwartungsvoll zu ihr hin. Genauso benimmt sich ein Konzertbesucher in der kurzen Pause zwischen zwei Sätzen einer Symphonie. Diese durchaus menschliche Reaktion rief bei Louisa eine merkwürdige Erregung hervor.
«Hat’s dir gefallen?», fragte sie. «Magst du Vivaldi?»
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da kam sie sich lächerlich vor, wenn auch – und das war ihr etwas unheimlich – nicht ganz so lächerlich, wie sie wusste, dass sie sich hätte vorkommen müssen.
Nun, sie konnte nichts anderes tun, als zu der nächsten Nummer ihres Programms übergehen, zu Schumanns Carnaval. Bei den ersten Tönen fuhr die Katze hoch und saß wie erstarrt; dann schien sie ganz in der Melodie aufzugehen, sank langsam und selig in eine seltsam hingegebene Ekstase, die an Traum oder Verklärung denken ließ. Es war wirklich ein ungewöhnlicher Anblick – und dazu ein sehr drolliger –, diese silberhaarige Katze so verzückt auf dem Sofa sitzen zu sehen. Und das erstaunlichste, dachte Louisa, ist die Tatsache, dass diese Musik, die dem Tier offenbar so sehr gefällt, überaus schwierig, überaus klassisch und somit für die meisten Menschen viel zu hoch ist.
Aber vielleicht, dachte sie weiter, genießt das Tier die Musik gar nicht. Möglicherweise handelt es sich um eine Art hypnotischer Reaktion, wie bei Schlangen. Man kann eine Schlange mit Musik bezaubern, warum also nicht auch eine Katze? Allerdings hören Millionen von Katzen ihr Leben lang täglich Musik – durch Radio, Grammophon und Klavier –, und doch hat sich, soviel man weiß, noch nie eine so benommen wie diese. Sie scheint jede einzelne Note zu verfolgen. Phantastisch ist das.
Ja, es war phantastisch, das reinste Wunder. Wenn sich Louisa nicht sehr täuschte, war die Katze eines von jenen Wundertieren, die alle hundert Jahre nur einmal vorkommen.
«Ich habe dir angesehen, wie sehr du dieses Stück liebst», sagte sie, als die Musik verklungen war. «Ich fürchte nur, dass ich es heute nicht besonders gut gespielt habe. Wer gefällt dir besser – Vivaldi oder Schumann?»
Die Katze gab keine Antwort. Um die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörerin nicht zu verlieren, ging Louisa sofort zur nächsten Nummer des Programms über, zu Liszts Petrarca-Sonett.
Und nun geschah etwas Erstaunliches. Kaum hatte sie drei oder vier Takte gespielt, als die Barthaare des Tieres zu zucken begannen. Langsam reckte es sich hoch, neigte den Kopf erst auf die eine Seite, dann auf die andere und sah starr vor sich hin, mit einem grüblerischen, konzentrierten Blick, der zu sagen schien: Was ist das? Nein, verrate es nicht. Ich kenne das Stück ganz genau, kann es nur im Moment nicht unterbringen. Louisa war fasziniert. Lächelnd, mit halb geöffnetem Mund spielte sie weiter und wartete, was wohl passieren würde.
Die Katze erhob sich, ging auf dem Sofa entlang, setzte sich in die Ecke, lauschte ein Weilchen, sprang dann plötzlich auf den Boden und von dort auf die Klavierbank, wo sie sitzen blieb. Sie hörte sich das schöne Sonett an, diesmal nicht träumerisch, sondern sehr aufmerksam, die großen gelben Augen auf Louisas Finger gerichtet.
«Ach», sagte Louisa, als sie den letzten Akkord anschlug, «du hast dich also neben mich gesetzt? Gefällt’s dir hier besser als auf dem Sofa? Na schön, wenn du artig bist und nicht herumspringst, darfst du hierbleiben.» Sie strich der Katze sanft über den Rücken, vom Kopf bis zum Schwanz. «Das war Liszt», fuhr sie fort. «Manchmal, weißt du, kann er entsetzlich vulgär sein, aber in solchen Sachen ist er wirklich bezaubernd.»
Diese seltsame Tierpantomime machte ihr Spaß, und so begann sie sogleich mit der vierten Programmnummer, mit Schumanns Kinderszenen. Nachdem sie ein oder zwei Minuten gespielt hatte, bemerkte sie, dass die Katze auf ihren Sofaplatz zurückgekehrt war. Louisa hatte inzwischen auf ihre Hände geachtet, und deswegen war ihr wohl das Verschwinden der Katze entgangen. Trotzdem musste es eine äußerst schnelle und leise Bewegung gewesen sein. Das Tier schaute noch immer zu ihr hinüber, horchte noch immer auf die Musik, doch zweifellos nicht mehr mit der gleichen hingerissenen Begeisterung wie bei dem Stück von Liszt. Schon der Umstand, dass es die Klavierbank verlassen hatte, schien ein kleines, aber deutliches Zeichen von Enttäuschung zu sein.
«Was ist denn los?», fragte Louisa, als sie fertig war. «Magst du Schumann nicht? Was ist eigentlich so Wunderbares an Liszt?» Die Katze sah sie unverwandt mit ihren gelben Augen an, in deren Zentrum kleine pechschwarze Striche lagen.
Jetzt wird die Sache wirklich interessant, sagte sich Louisa – sogar etwas unheimlich, wenn man’s recht bedenkt. Doch sie beruhigte sich rasch, als sie einen Blick auf die Katze warf, die sehr aufmerksam, sehr interessiert in der Sofaecke kauerte und offensichtlich auf weitere Darbietungen wartete.
«Gut», sagte sie, «weißt du was? Ich werde mein Programm ändern, eigens für dich. Du scheinst Liszt besonders zu lieben und sollst noch mehr von ihm hören.»
Sie zögerte einen Moment, suchte in ihrem Gedächtnis und entschloss sich für den Weihnachtsbaum. Sie spielte leise das erste der zwölf kleinen Stücke und beobachtete dabei die Katze genau. Sie stellte fest, dass die Barthaare wieder zu zucken begannen. Das Tier sprang auf den Teppich, blieb einen Augenblick stehen, zitternd vor Erregung und mit gesenktem Kopf, ging dann langsam um das Klavier herum, war mit einem Satz auf der Bank und setzte sich neben Louisa.
So weit waren sie, als Edward hereinkam.
«Edward!», rief Louisa und lief ihm entgegen. «Edward, Liebling, stell dir vor, was passiert ist!»
«Was ist denn los?», knurrte er. «Ich möchte Tee haben.» Sein schmales, scharfnasiges und leicht gerötetes Gesicht glänzte von Schweiß und erinnerte an eine lange, nasse Traube.
«Es handelt sich um die Katze!» Louisa deutete auf das Tier, das ruhig sitzen geblieben war. «Du wirst staunen, wenn du hörst, was geschehen ist!»
«Habe ich nicht gesagt, du sollst sie zur Polizei bringen?»
«Aber Edward, hör doch zu. Es ist schrecklich aufregend. Dies ist eine musikalische Katze.»
«Ja?»
«Sie liebt Musik und versteht sie auch.»
«Red keinen Unsinn, Louisa, und kümmere dich gefälligst um den Tee. Ich bin todmüde, nachdem ich all die Brombeersträucher ausgerissen und verbrannt habe.» Er setzte sich in einen Sessel, nahm aus der Dose neben ihm eine Zigarette und zündete sie mit einem großen Feuerzeug an, das auf dem Tisch bereitlag.
«Bitte, begreife doch», sagte Louisa, «während du im Garten warst, hat sich hier in unserem Haus etwas unglaublich Aufregendes ereignet, etwas, was sogar … nun … folgenschwer sein könnte.»
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