Louisa lief den Abhang hinunter auf ihren Mann zu. Natürlich hätte sie nur noch einmal zu rufen brauchen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber das schöne Feuer zog sie an, lockte sie, dicht heranzutreten, damit sie die Hitze fühlen und das Knistern hören könnte.
«Das Essen ist fertig», sagte sie beim Näherkommen.
«Oh, hallo. Ja, gut – ich komme.»
«Das ist aber ein prächtiges Feuer.»
«Ich habe mir vorgenommen, hier gründlich Ordnung zu schaffen», erklärte der Mann. «Dieses Brombeergestrüpp ist eine schreckliche Plage.» Sein langes Gesicht war nass von Schweiß. An dem Schnurrbart hingen kleine Tropfen wie Tau, und zwei schmale Bäche rannen den Hals hinab auf den Rollkragen des Sweaters.
«Gib nur acht, dass du dich nicht überanstrengst, Edward.»
«Ich wollte, Louisa, du würdest mich nicht immer wie einen Achtzigjährigen behandeln. Ein bisschen Bewegung hat noch niemand geschadet.»
«Ja, Lieber, ich weiß. Ach, Edward, sieh mal – sieh!»
Der Mann drehte sich erstaunt nach Louisa um, die auf die andere Seite des Feuers deutete.
«Da drüben, Edward! Die Katze!»
Auf der Erde, so dicht am Feuer, dass die Flammen sie manchmal zu streifen schienen, saß eine große Katze von sehr ungewöhnlicher Farbe. Ganz still saß sie, den Kopf schräg gelegt, die Nase in der Luft, und beobachtete mit kühlen gelben Augen den Mann und die Frau.
«Sie wird sich verbrennen!» Louisa ließ das Geschirrtuch fallen, sprang rasch auf die Katze zu, packte sie mit beiden Händen, riss sie weg und setzte sie in sicherer Entfernung von den Flammen ins Gras.
«Was ist denn mit dir los, du närrisches Tier?», sagte sie, während sie sich die Hände abwischte.
«Katzen wissen, was sie tun», bemerkte der Mann. «Die tun nichts, was sie nicht wollen. Niemals.»
«Wem gehört sie? Hast du sie schon mal gesehen?»
«Bestimmt nicht. Hat eine eigenartige Farbe.»
Die Katze saß jetzt im Gras und schaute die beiden von der Seite an. Sie hatte einen verschleierten, nach innen gekehrten Ausdruck in den Augen, der ihr etwas seltsam Allwissendes und Nachdenkliches gab, und um die Nase lag ein kaum wahrnehmbarer verächtlicher Zug, als sei der Anblick dieser beiden Personen mittleren Alters – die eine klein, untersetzt und rosig, die andere mager und sehr verschwitzt – zwar einigermaßen überraschend, im Grunde aber sehr unwichtig. Für eine Katze war ihre Farbe tatsächlich recht eigenartig – ein reines Silbergrau ohne jede Spur von Blau –, und sie hatte überaus lange seidige Haare.
Louisa bückte sich und streichelte ihr den Kopf. «Du musst jetzt heimgehen», sagte sie. «Sei ein braves Tier, lauf zu deinem Frauchen.»
Die Eheleute stiegen den Abhang hinauf, um in ihr Haus zurückzukehren. Die Katze erhob sich und folgte ihnen. Anfangs hielt sie sich in einigem Abstand, allmählich aber kam sie näher und näher. Bald war sie neben den beiden, dann lief sie vor ihnen her über den Rasen, mit einem Gang, als gehöre ihr hier alles. Ihr Schwanz ragte wie ein Mast steil in die Luft.
«Fort mit dir», rief der Mann. «Los, verschwinde. Wir wollen dich nicht haben.»
Doch die Katze schlüpfte hinter ihnen ins Haus, und Louisa gab ihr in der Küche etwas Milch. Als das Essen aufgetragen war, sprang das Tier auf den freien Stuhl zwischen dem Ehepaar, blieb während der Mahlzeit dort sitzen, mit dem Kopf gerade in Tischhöhe, und beobachtete alles, was vorging, mit seinen dunkelgelben Augen, die es langsam von der Frau zu dem Mann und wieder zurück wandern ließ.
«Die Katze gefällt mir nicht», sagte Edward.
«Ach, ich finde sie wunderschön. Hoffentlich bleibt sie ein Weilchen bei uns.»
«Also hör mal, Louisa, hier bleiben kann das Tier unmöglich. Es gehört jemand anders. Es ist weggelaufen. Und wenn es sich nachmittags immer noch hier herumtreibt, bringst du es am besten zur Polizei. Dort wird man schon den Besitzer ermitteln.»
Nach dem Essen ging Edward in den Garten zurück. Louisa beschloss, sich wie gewöhnlich ans Klavier zu setzen. Sie liebte Musik über alles, war eine ausgezeichnete Pianistin und verwendete fast täglich eine Stunde darauf, für sich allein zu spielen. Die Katze lag auf dem Sofa. Louisa blieb einen Augenblick bei ihr stehen und streichelte sie. Das Tier öffnete kurz die Augen, schloss sie dann wieder und schlief weiter. «Du bist eine sehr liebe Katze», sagte Louisa. «Und du hast eine so schöne Farbe. Ich wollte, ich könnte dich behalten.» Als sie über ihr Fell strich, fühlte sie am Kopf, dicht über dem rechten Auge, eine kleine Erhebung, eine Art Höcker. «Arme Katze», murmelte sie, «du hast ja Beulen auf deiner schönen Stirn. Jung scheinst du nicht mehr zu sein.»
Louisa setzte sich auf die lange Klavierbank, fing aber noch nicht an zu spielen: Es gehörte zu ihren besonderen Freuden, jeden Tag ein kleines Konzert zu veranstalten, mit einem sorgfältig ausgewählten Programm, das sie in allen Einzelheiten festlegte, bevor sie begann. Sie unterbrach nicht gern ihr Spiel, um zu überlegen, was nun folgen sollte. Wenn sie nach jedem Stück eine kleine Pause machte, dann nur, damit die Zuhörer begeistert applaudieren und nach mehr verlangen konnten. Ein imaginäres Publikum war viel angenehmer als ein wirkliches. Mitunter – an Glückstagen – verblasste das Zimmer, verschwamm in Dunkelheit, und dann sah sie nichts als Sitzreihen und ein Meer von weißen Gesichtern, die andächtig, hingerissen, bewundernd zu ihr aufblickten.
Manchmal spielte sie auswendig, manchmal nach Noten. Heute wollte sie auswendig spielen; ihr war gerade danach zumute. Und das Programm? Die Hände im Schoß gefaltet, saß sie vor dem Klavier, eine dralle, rosige kleine Person mit einem runden, noch immer hübschen Gesicht, das Haar in einem schlichten Knoten am Hinterkopf aufgesteckt. Wenn sie die Augen ein wenig nach rechts wandte, konnte sie die zusammengerollte, schlafende Katze sehen, deren silbergraues Fell sich wunderschön von dem purpurroten Bezug des Sofas abhob. Ob man mit Bach anfangen sollte? Nein, lieber mit Vivaldi. Bachs Orgelbearbeitung des Concerto grosso d-Moll. Ja, das zuerst. Dann vielleicht Schumann. Den Carnaval ? Sehr schön. Und danach – nun, zur Abwechslung ein wenig Liszt. Eines der Petrarca-Sonette. Das zweite in E-Dur war das hübscheste. Dann noch einen Schumann, etwas von seinen fröhlichen Sachen – die Kinderszenen. Und zum Schluss, als Zugabe, einen Walzer von Brahms, vielleicht auch zwei, wenn sie dazu aufgelegt war.
Vivaldi, Schumann, Liszt, Schumann, Brahms. Ein sehr schönes Programm und eines, das sie auswendig spielen konnte. Sie rückte die Bank zurecht und wartete einen Moment, weil im Publikum – sie spürte schon, dass dies einer ihrer Glückstage war –, weil im Publikum noch gehustet wurde; dann hob sie mit jener lässigen Anmut, die fast allen ihren Bewegungen eigen war, die Hände zu den Tasten und fing an zu spielen.
In diesem Moment beachtete Louisa die Katze nicht – sie hatte das Tier sogar völlig vergessen –, doch als die ersten tiefen Töne des Vivaldikonzerts sanft erklangen, bemerkte sie aus dem Augenwinkel eine aufgeregte, blitzschnelle Bewegung auf dem Sofa zu ihrer Rechten. Sofort unterbrach sie ihr Spiel.
«Was ist?», fragte sie, zu der Katze gewandt. «Was hast du denn?»
Das Tier, das eben noch friedlich geschlafen hatte, saß jetzt kerzengerade, mit gestrafftem Körper und gespitzten Ohren. Seine weit aufgerissenen Augen starrten auf das Klavier.
«Habe ich dich erschreckt?», fragte Louisa freundlich. «Vielleicht hast du noch nie Musik gehört.»
Nein, sagte sie sich, ich glaube nicht, dass es daran liegt. Bei näherem Hinsehen schien die Haltung der Katze keine Furcht auszudrücken. Da war nichts Verkrampftes zu erkennen, keine Spur von ängstlichem Zurückweichen. Eher ein Sichvorlehnen, eine Art Begierde. Und das Gesicht – nun, das hatte einen sonderbaren Ausdruck, ein Mittelding zwischen Überraschung und Schock. Natürlich ist das Gesicht einer Katze klein und ziemlich ausdruckslos, aber wenn man genau auf das Zusammenspiel von Augen und Ohren achtet und vor allem auf die Stelle unter den Ohren und etwas seitlich davon, wo das Fell beweglich ist, dann kann man gelegentlich den Reflex sehr starker Erregungen wahrnehmen. Louisa behielt nun die Katze im Auge, und weil sie gespannt war, was beim zweiten Mal passieren würde, griff sie in die Tasten und begann von neuem, Vivaldi zu spielen.
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