«Da!», rief Louisa und lief dem Tier nach. «Das genügt! Jetzt haben wir den Beweis!» Sie kam mit der Katze im Arm zurück und setzte sie wieder auf das Sofa. Ihr Gesicht glühte vor Erregung, die Knöchel ihrer geballten Hände waren weiß, der kleine Haarknoten am Hinterkopf hatte sich gelockert und rutschte auf die Seite. «Was sagst du nun, Edward? Was meinst du?» Sie begleitete ihre Worte mit einem nervösen Lachen.
«War ganz amüsant, finde ich.»
« Amüsant! Mein lieber Edward! Das ist das größte Wunder aller Zeiten! O Himmel!», rief sie, nahm die Katze auf und presste sie an sich. «Ist es nicht ein herrlicher Gedanke, dass Franz Liszt bei uns wohnt?»
«Na, Louisa, wir wollen doch nicht hysterisch werden.»
«Ich kann nicht anders, wirklich nicht. Und sich vorzustellen , dass er für immer in unserem Haus leben wird!»
«Wie bitte?»
«Ach Edward! Ich kann vor Aufregung kaum sprechen. Und weißt du, was ich als Nächstes tun werde? Natürlich wird jeder Musiker in der ganzen Welt mit ihm zusammentreffen wollen, um ihn nach den großen Komponisten zu fragen, die er gekannt hat – nach Beethoven und Chopin und Schubert …»
«Sie werden nur keine Antwort kriegen», warf der Mann ein.
«Ja – richtig. Aber sie werden alle herkommen wollen, um ihn zu sehen, ihn anzufassen und ihm ihre eigenen Kompositionen vorzuspielen, moderne Musik, die er noch nie gehört hat.»
«So bedeutend war Liszt doch gar nicht. Ja, wenn es Bach wäre oder Beethoven …»
«Bitte, unterbrich mich nicht, Edward. Ich werde also alle bekannten lebenden Komponisten benachrichtigen. Das ist meine Pflicht. Ich werde ihnen mitteilen, dass Liszt hier ist und dass sie ihn besuchen können. Pass auf, wie sie dann von allen Ecken der Welt herbeieilen.»
«Um eine graue Katze zu sehen?»
«Liebling, das ist doch dasselbe. Die Katze ist er. Wen kümmert’s denn, wie er aussieht? Ach Edward, das wird die größte Sensation, die es je gegeben hat!»
«Sie werden dich für verrückt halten.»
«Warte nur ab.» Sie hielt die Katze in den Armen und streichelte sie zärtlich, schaute aber dabei zu ihrem Mann hinüber, der zur Verandatür gegangen war und in den Garten hinausblickte. Es wurde Abend, das Grün des Rasens färbte sich nach und nach schwarz, und in der Ferne sah Edward den Rauch seines Feuers als weiße Säule in die Luft steigen.
«Nein», sagte er, ohne sich umzuwenden, «das will ich nicht haben. Nicht in meinem Haus. Wir beide würden ja als komplette Narren dastehen.»
«Wie meinst du das, Edward?»
«Genau wie ich es sage. Ich verbiete dir ein für alle Mal, mit einer so verrückten Geschichte Staub aufzuwirbeln. Du hast zufällig eine dressierte Katze gefunden. Okay – schön und gut. Wenn’s dir Spaß macht, behalte sie. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber weiter darfst du nicht gehen, Louisa, verstanden?»
«Weiter als was?»
«Ich will nichts mehr von diesem blöden Geschwätz hören. Du benimmst dich, als ob du irrsinnig wärst.»
Langsam setzte Louisa die Katze auf das Sofa. Dann richtete sich die kleine Person langsam zu ihrer vollen Höhe auf und machte einen Schritt vorwärts. «Verdammt nochmal, Edward!», schrie sie und stampfte mit dem Fuß auf. «Zum ersten Male in unserem Leben passiert etwas wirklich Aufregendes, und du willst nichts damit zu tun haben! Du zitterst vor Angst, dass jemand über dich lachen könnte! So ist es doch, nicht wahr? Kannst du das leugnen?»
«Louisa», sagte der Mann, «jetzt ist aber Schluss. Reiß dich zusammen und höre sofort mit dem dummen Gerede auf.» Er nahm eine Zigarette aus der Dose auf dem Tisch und zündete sie mit dem großen Feuerzeug an. Seine Frau stand daneben; unter ihren Lidern quollen Tränen hervor, die in zwei Bächen über die gepuderten Wangen liefen und schmale glänzende Streifen hinterließen.
«Solche Szenen haben wir in letzter Zeit mehr als genug gehabt, Louisa», fuhr Edward fort. «Nein, nein, unterbrich mich nicht. Ich will gern zugeben, dass gerade dieser Abschnitt deines Lebens nicht leicht für dich ist und dass …»
«O mein Gott! Du Idiot! Du riesengroßer Idiot! Begreifst du denn nicht, dass es sich um etwas ganz anderes handelt – um etwas Wunderbares? Sieh das doch endlich ein!»
Er trat auf sie zu und packte sie fest an den Schultern. Die frisch angezündete Zigarette hing zwischen seinen Lippen, und seine Haut war fleckig von getrocknetem Schweiß. «Hör mal», sagte er, «ich bin hungrig. Ich habe heute auf mein Golfspiel verzichtet und dafür den ganzen Tag im Garten geschuftet, ich bin müde und hungrig und möchte essen. Du wirst auch Hunger haben. Geh also in die Küche und mach uns etwas Gutes zurecht.»
Louisa zuckte zusammen und presste beide Hände auf den Mund. «Du lieber Himmel!», rief sie. «Das habe ich ganz vergessen. Er muss ja völlig ausgehungert sein. Bis auf die Milch hat er seit seiner Ankunft nichts zu essen bekommen.»
«Wer?»
«Na, er natürlich. Ich muss ihm sofort etwas recht Leckeres kochen. Wenn ich nur wüsste, was seine Leibgerichte waren! Kannst du mir nicht einen Rat geben, Edward?»
«Himmeldonnerwetter, Louisa …»
«Bitte, Edward, mäßige dich! Jetzt werde ich einmal tun, was ich will. Du bleibst hier», sagte sie zu der Katze und strich ihr sanft über das Fell. «Es dauert nicht lange.»
Louisa ging in die Küche, wo sie einen Augenblick stehen blieb und überlegte, was für ein Gericht sie zubereiten sollte. Vielleicht ein Soufflé? Ein gutes Käsesoufflé? Ja, das war etwas Vortreffliches. Edward liebte es allerdings nicht sehr, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen.
Kochen war Louisas schwache Seite, und sie wusste nie, ob ein Soufflé geraten würde oder nicht, aber diesmal gab sie sich besondere Mühe und achtete darauf, dass der Ofen genau die richtige Temperatur hatte. Während das Soufflé buk, suchte sie nach einer passenden Zuspeise. Plötzlich fiel ihr ein, dass Liszt vermutlich noch nie Avocadobirnen oder Grapefruit gekostet hatte, und sie entschloss sich, ihm beides zusammen als Salat vorzusetzen. Ich bin gespannt, wie er darauf reagiert, dachte sie. Sehr gespannt, wirklich.
Als alles fertig war, brachte sie die Schüsseln auf einem Tablett ins Wohnzimmer. Beim Eintreten sah sie, dass ihr Mann durch die Verandatür aus dem Garten hereinkam.
«Hier ist das Essen», sagte sie, stellte das Tablett auf den Tisch und wandte sich zum Sofa. «Wo ist er?»
Ihr Mann schloss die Tür hinter sich, ging durch das Zimmer und nahm eine Zigarette aus der Dose.
«Edward, wo ist er?»
«Wer?»
«Du weißt genau, wen ich meine.»
«Ach ja. Richtig. Nun … hm … die Sache ist so …»
Er beugte sich vor, um die Zigarette anzuzünden, und seine Hände umfassten das große Feuerzeug. Als er den Kopf hob, bemerkte er, dass Louisa ihn musterte – sie betrachtete seine Schuhe und die Hosenbeine, die feucht waren vom Gehen im hohen Gras.
«Ich war eben mal draußen, um nach dem Feuer zu sehen», erklärte er.
Ihr Blick glitt langsam höher und blieb an seinen Händen haften.
«Es brennt noch gut», fuhr er fort. «Ich glaube, es wird die ganze Nacht brennen.»
Die Art, wie sie ihn anstarrte, bereitete ihm allmählich Unbehagen.
«Was ist denn?», fragte er, ließ das Feuerzeug sinken und schaute an sich hinab. Erst jetzt sah er, dass ein langer, dünner Kratzer diagonal über den Rücken seiner einen Hand lief, vom Fingerknöchel bis zum Handgelenk.
«Edward!»
«Ja», sagte er, «ich weiß. Diese Brombeerranken sind grässlich. Sie reißen einen geradezu in Stücke. Nanu, Louisa, sachte, sachte. Was ist denn los?»
«Edward!»
«Um Himmels willen, Frau, setz dich hin und sei ruhig. Du hast überhaupt keinen Grund, dich aufzuregen. Louisa! Louisa, setz dich hin !»
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